„Ich bin frei so lange ich Christo diene“
Über die christliche Freiheit
„Ich bin frei so lange ich Christo diene“, sagte die christliche Sklavin Julia, und es dürfte dir schwer sein, irgend einen Reichen oder Mächtigen zu finden, der einen so erhabenen Begriff von und eine so begeisterte Liebe zur Freiheit hätte, wie diese hl. Sklavin. „Ich bin frei so lange ich Christo diene“, ist die schönste Erklärung der christlichen Freiheit. Zum richtigen Verständnis dieser Erklärung denke nach:
1. Über das Wesen der Freiheit. Sie ist ein sehr kostbares Geschenk, womit Gott deine Vernunft und deinen Willen geschmückt hat; sie ist die erhabene, dir anerschaffene Macht, das sittlich Böse, d.h. Alles, was deiner wahren Würde und Bestimmung widersprechend und schädlich ist, wenn es auch deinen Sinnen noch so angenehm und wünschenswert scheinen sollte, zu verabscheuen, von dir abzuwehren, und das sittlich Gute, d.h. Alles, was deine Würde ehrt und dich zum Ziele deiner Bestimmung fördert, wenn es auch Mühe und Opfer kostet, zu wählen und anzustreben. Da du dich nicht selbst erschaffen, sondern von Gott dein Dasein und Leben, deine Würde und Bestimmung empfangen hast und nur in Gott die wahre ewige Glückseligkeit gewinnen kannst, so besteht deine Freiheit in der bewunderungswürdigen Macht, gerne und freudig den heiligen Willen Gottes in allen deinen Entschließungen zu wählen und zu tun. Denn da Gott in sich die unendliche Heiligkeit und Güte, Weisheit und Liebe ist, und dir nur das als seinen Willen offenbaren kann, was für dich gut, heiligend und vervollkommnend ist, so ist es klar, daß du von deiner Freiheit den besten Gebrauch machst, wenn du in allen deinen Entschließungen den heiligen Willen Gottes zur Richtschnur nimmst und alle Schmeicheleien, Lockungen oder auch Drohungen, welche von der äußern Welt, von der eigenen Sinnlichkeit oder vom bösen Geist kommen und dich von der Erfüllung des Willens Gottes abhalten wollen, mit Abscheu von dir weisest. Wie wahr und schön ist daher das Wort der hl. Julia: „Ich bin frei so lange ich Christo diene.“
2. Denke nach über die notwendigen Bedingungen zur Ausübung deiner Freiheit. Vor allem ist notwendig, daß du den heiligen Willen Gottes über deine ewige Bestimmung und den sichern Weg zu derselben klar und bestimmt erkennst. Denn wie für den Blinden der herrliche Sonnenschein, für den Tauben die lieblichste Musik keinen Wert hat, so für den Unwissenden, den geistig Blinden die Freiheit, er weiß ja nicht, was sittlich gut, für sein wahres Wohl nützlich ist. Da nun Jesus Christus einen jeden Menschen erleuchtet (Joh. 1), eines jeden Menschen Weg, Wahrheit und Leben ist (Joh.14), so hast du zum richtigen Gebrauch deiner Freiheit eine klare Erkenntnis der Glaubens- und Sittenlehre Jesu Christi notwendig; „nur wenn dich der Sohn Gottes frei macht, so wirst du wahrhaft frei sein“ (Joh. 8,26). Ebenso notwendig ist es dir, daß dein Wille rein, nicht geschwächt und gekettet sei von bösen Neigungen und Leidenschaften, wie der betrunkene Eusebius, der weibersüchtige Felix, oder die geldgierigen Vandalen in Karthago; denn Jesus sagt: „Jeder, welcher Sünde tut, ist ein Slave der Sünde“ (Joh. 8,34). – Da aber dein Wille von Geburt aus unrein und geschwächt ist von der Erbsünde und in der Welt durch die Versuchungen, Ärgernisse und Gelüste noch unreiner wird: wie kannst du zur wahren Freiheit gelangen? Der hl. Paulus gibt dir die ganz bestimmte Antwort: „Frei machen kann dich nur die Gnade Gottes durch Jesum Christum, unsern Herrn:“ (Röm. 7) Jesus unser Herr gibt dir die Gnade Gottes durch jene genau festgesetzten sichtbaren Zeichen, welche Sakramente heißen; folglich kannst du deinen Willen reinigen, stärken, zur wahren Freiheit erheben durch den heilsbegierigen Empfang der heiligen Sakramente. Es ist also wahr, nur die Lehre und Gnade Jesu Christo macht dich frei, und die hl. Julia hat Recht: „Ich bin frei so lange ich Christo diene!“ und du bist dann und so lange frei, wenn und so lange du Christo dienst. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 392 – S. 393