Eine Marienpredigt von Maria der Gottesmutter
In dem ewigen Ratschluss Gottes, die Menschen zu erlösen durch seinen Sohn, warst auch du bereits inbegriffen; auch für dich wollte er seinem Sohn eine Mutter geben, und wollte, daß diese Mutter deines Erlösers auch für dich ein Mutterherz habe, und mit ihrem Sohn mitwirke, mitbete, mitleide und mitopfere auch für deine Erlösung; er wollte, daß sie auch für dich sei die „Ursache der Freude“, die „Pforte des Himmels“, deine „Königin“. Nach Gottes ewigem Plan wurde also Maria auch für dich vorherbestimmt, und zwar so, daß du nach ihrem Sohne, deinem Heiland, ihr zu allererst dein Heil zu verdanken habest.
Daraus folgt von selbst, daß der dreieinige Gott auch wolle, du sollst ihr gegenüber Herz und Gesinnung zeigen, wie es sich geziemt. Mache dich also mit ihrem Leben, mit ihrer Würde, mit ihrem Beispiel, mit ihrem Mutterherzen recht vertraut und schließe dich recht eng an sie an, wie der Kranke an „das Heil der Kranken“, wie der treue Diener an seine „Königin“, wie der brave Schüler an seine „Lehrmeisterin“, wie das gute Kind an seine „Mutter“…
Du darfst und sollst hochachten die Würde und Größe und Heiligkeit, zu der sie Gott der Herr auserwählt hat und darfst und sollst sie darum lieben. Es kann doch gewiß nicht Gott mißfallen, wenn du diejenige ehrst und liebst, die er selber ehrenwert gemacht hat; wohl aber muss es ihm mißfallen, wenn es Leute gibt, welche gegen die gerechte und geziemende Andacht zur Gottesmutter auftreten. Du aber zeige, daß du von Gottes Geist beseelt bist, bezeige ihr deine Andacht…
Vorläufig soll dir die Gottesmutter selbst sagen, was sie von dir fordert, und was sie dir für solche Verehrung verspricht.
An derselben Schriftstelle, welche ich (…) aus dem Brevier angeführt habe, hält die Gottesmutter auch eine kurze Predigt an alle die Ihrigen. Es sind goldene Worte voll Mutterliebe. Höre sie ehrfurchtsvoll an und hinterlege sie in deinem Herzen.
Maria spricht:
„Übermut und Stolz und böse Wege und zweideutige Zunge verabscheue ich.“
„Mein ist Rat und Recht, mein ist Klugheit, mein ist Stärke.“
„Ich liebe, die mich lieben, und diejenigen, welche früh erwachen zu mir, werden mich finden.“
„Bei mir ist Reichtum und Ehre, herrliche Schätze und Gerechtigkeit.“
„Auf den Wegen der Gerechtigkeit wandle ich, in Mitte der Bahnen des Rechtes um zu bereichern, die mich lieben, und ihre Schatzkammern zu füllen.“
„Wohlan denn, Söhne, höret mich: Glückselig, die einhalten meine Wege.“
„Merket auf Zucht und seid weise und verachtet sie nicht.“
„Glückselig der Mensch, der mich hört, und der wacht an meinen Türen Tag für Tag.“
„Wer mich gefunden hat, wird Leben finden, und Heil schöpfen vom Herrn.“
(Sprichw. 8, 13-21; 32-35)
In dieser Marienpredigt ist die Hauptsache das Wort: „Söhne, hört mich! Glückselig, die einhalten meine Wege.“ Die Marienwege kannst du sehen in ihrem Lebenswandel auf Erden. Das erste demnach, was du bei deiner Andacht zu Maria tun hast, ist dies, daß du hinschaust, wie sie gewandelt ist. Da wirst du vor allem sehen, wie wahr sie sagt: „Böse Wege, Wege des Stolzes und der Falschheit, verabscheue ich.“ Du wirst sie dann sehen bald auf ihrem Weg zu Gott, um sich im Gebet mit ihm zu unterhalten, bald auf dem Weg zu einer edlen Tat, bald auf dem Weg der Nächstenliebe oder auf dem Leidenswege, immer aber, wie sie selber wieder sagt, auf dem Wege der Gerechtigkeit und mitten auf der Straße des Rechtes.
Aber bei diesem Hinschauen auf ihre Wege darfst du nicht stehen bleiben; denn Maria geht immer und rasch weiter voran auf dem Wege der Heiligkeit, und entfernt sich also immer weiter von dir, wenn du still stehst; du kannst sie gar leicht aus dem Gesicht verlieren. Du musst also suchen, ihr auch nachzugehen. Sie sagt ja deutlich, man solle ihre Wege nicht bloß anschauen, sondern auch einhalten, also ihr nachfolgen, und sie sagt deutlich, nur diejenigen würden das Leben und Heil vom Herrn empfangen, welche sie finden. Du findest sie aber nur, wenn du ihr überall nachgehst. Ich meine demnach, du würdest etwas ihr sehr wohlgefälliges und dir selber sehr nützliches tun, wenn du gleich jetzt dich einmal umschauen und dich fragen wolltest: „Wo gehe denn eigentlich ich? Bin ich auf der Marienstraße? Das ist der enge, steile Weg der Gebote Gottes mit der engen Pforte, die zum Leben führt. Oder gehe ich „böse Wege“, die breite Landstraße, worauf die Vielen wandeln und deren Ausgang zwar eine breite Pforte hat, hinter welcher aber der Abgrund ewigen Verderbens sich auftut? –
aus: Franz Ser. Hattler SJ, Christkatholisches Hausbrod für Jedermann, der gut leben und fröhlich sterben will., II. Band, VI. Teil, 1892, S. 9 – S. 11