Heiligenkalender
6. November
Der heilige Leonhard von Noblat Einsiedler
Leonhard, der Sohn sehr vornehmer Eltern, verlebte seine ersten Jugendjahre am Hofe des Frankenkönigs Chlodwig I., wurde vom hl. Remigius im christlichen Glauben unterrichtet und hatte die besondere Ehre, daß der König selbst bei seiner Taufe Pate war. Hell leuchtete über dem ritterlichen Edelmann, der mit körperlicher Schönheit wie mit geistiger Begabung geziert war, der Hoffnungsstern irdischen Glückes und Glanzes; aber die Gnade Gottes in seinem frommen Herzen sagte ihm, daß der Aufenthalt am königlichen Hoflager und das wüste Treiben der Umgebung in Lüge und Heuchelei, in Habgier und Sinnenlust der Tugend der Tugend zu gefährlich sei. Folgsam dem Rufe der Gnade verließ er den Hof, trat in den geistlichen Stand und predigte das Evangelium mit großem Segen, so daß sich viele noch heidnische Franken bekehrten. Der König, darüber hoch erfreut, wollte seinem geistlichen Patenkind ein Bistum übergeben, aber Leonhard bat nur um die Gnade und erhielt sie auch, die Gefangenen in den Kerkern frei besuchen und trösten zu dürfen. Sein Eifer war so glücklich, vielen dieser Unglücklichen, die teils unschuldig eingesperrt, teils zu hart bestraft, teils wahrhaft gebessert waren, die Freilassung zu erwirken.
Um weitern Anträgen, welche des Königs Gewogenheit ihm machte, auszuweichen, flüchtete sich Leonhard in das Kloster Micy bei Orleans, dessen Abt Maximin seiner Heiligkeit wegen in hohem Rufe stand, und legte die heiligen Ordensgelübde ab. Unter der Lehre und Leitung dieses vortrefflichen Meisters erkämpfte sich der junge Mönch mit den Waffen strenger Abtötung, tiefer Demut und beharrlichen Gebetseifers eine hohe Stufe der Gottesliebe.
Nach dem Tode des heiligen Abtes und Lehrers Maximin verließ Leonhard das Kloster, um als Einsiedler in vollkommener Abgeschlossenheit ganz nur Gott zu lieben und der heiligen Kirche durch seine Fürbitte zu dienen. Auf seiner Wanderung durch die Landschaft Berry bekehrte er viele heidnische Bewohner zum katholischen Glauben und drang tief hinein in die schauerliche Wildnis, bis in die Waldungen von Limoges, wo er sich eine Hütte baute. Fern von allen Menschen waren hier Gott und seine Engel allein Zeugen seiner innigen Gebete, seiner langen Betrachtungen, seiner freiwilligen Entbehrungen und tapfern Kämpfe wider das Fleisch und die Hölle. So gingen verdienstvolle Jahre dahin.
Aber sein Seeleneifer trieb ihn doch öfters aus der Einsiedelei heraus, daß er den Bewohnern der Umgebung das heilige Evangelium verkünde und ihr ewiges Heil fördere. Manche der Bekehrten wünschten seine Lebensweise nachzuahmen und suchten ihn in seiner Wildnis auf. So entstand nach und nach ein Kloster, das später sehr berühmt wurde und den Namen St. Leonhard von Nobilac (Noblat) trug.
Gott fügte es, daß Theodebert, König von Austrasien nach Limoges kam, um in den ausgedehnten Forsten dieser Gegend das Vergnügen der Jagd zu genießen. Da kam ihm die betrübende Nachricht, daß das Leben seiner teueren Gemahlin in Folge schwerer Geburt fast hoffnungslos gefährdet sei. Das Volk machte den bestürzten König auf den wundertätigen Einsiedler Leonhard aufmerksam. Theodebert bat vertrauensvoll den Heiligen um seine Hilfe. Leonhard betete und versicherte dem König: daß die Königin ganz wohl behalten ihn mit einem gesunden Söhnlein erfreuen werde. So geschah es. Der dankbare Fürst wollte den armen Einsiedler reichlich beschenken; dieser aber nahm nur ein Stück Wald, wo seine Hütte lag, als Geschenk an und die Erlaubnis, auch die Gefangenen in den Kerkern besuchen zu dürfen.
Das geschenkte Stück Wald nannte er Nobilac (Edelgut) und baute darauf mit seinen Genossen ein Kirchlein zu Ehren der heiligsten Jungfrau Maria. Sein Wirken war jetzt ein sehr ausgedehntes. Von weiter Ferne her kamen Leute, um bei ihm in leiblichen und geistigen Anliegen Trost, Rat und Hilfe sich zu erbitten; er selbst suchte die Eingekerkerten auf und erwirkte wieder Vielen beim König die Freiheit. Ja, gar manche Gefangene, die er nie gesehen und gesprochen hatte, erlangten durch seine Fürbitte wunderbar wunderbar die Befreiung, kamen von ferne her zu ihm und brachten ihm mit ihren Dankestränen ihre Ketten. Diese Befreiten segnete er dann voll Liebe und ermahnte sie väterlich: „Brüder, ihr seid nun frei von den Ketten des Leibes, machet jetzt euch los von Ketten der Seele, von euern Sünden, durch aufrichtige Buße, damit euch der gerechte Gott nicht einst in den ewigen Kerker der Hölle werfen muss.“ Leonhard schloß sein segensreiches Leben am heutigen Tage 559, fand in der Kirche zu Nobilac eine sehr geehrte Ruhestätte und wirkte noch nach dem Tode viele Wunder.
Besonders berühmt und beglaubigt ist aus dem vierzehnten Jahrhundert die Befreiung des Herrn Martel von Bacqueville. Dieser war mit zwei andern französischen Edelleuten in türkische Gefangenschaft geraten. Eines Abends sagte ihm sein Wärter, daß er am folgenden Tage werde hingerichtet werden. Im Angesicht des Todes rief Martel die Hilfe des hl. Leonhard an, gelobte, im Falle der Rettung, zu seiner Ehre eine Kirche zu bauen und verharrte im Gebet, bis er erschöpft einschlief. Beim Erwachen fand er sich am Eingang des Waldes von Bacqueville, die Ketten noch an den Händen und Füßen tragend. Voll des Dankes gegen seinen heiligen Befreier baute er sogleich die gelobte Kirche bei seinem Schloß, und die Ortsbewohner zogen alljährlich, zur Erinnerung an dieses Wunder, in feierlicher Prozession in dieselbe. Dem hl. Leonhard, der als Schutzpatron der Gefangenen verehrt wird, sind in Frankreich und Deutschland, namentlich in Bayern, viele Kirchen geweiht; an mehreren orten kommen an seinem Festtage viele Reiter zusammen, reiten um die ihm geweihte Kirche und empfehlen ihre Pferde und ihr Rindvieh dem besonderen Schutz des Heiligen. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 828 – S. 829