Heiligenkalender
6. Juli
Der heilige Goar Priester und Einsiedler
Dieser berühmte Bekenner Jesu Christi war der Sohn angesehener Eltern aus Aquitanien, groß, schön und edel von Gestalt, aber unvergleichlich schöner und edler an Geist und Herz und Liebe zu Gott. Zum Priester geweiht und in der Seelsorge tätig, wurde er wegen seiner ausgezeichneten Eigenschaften und Tugenden der bevorzugte Liebling des Volkes. Seine Demut aber erkannte die Gefährlichkeit dieser Huldigungen. Deshalb ging er heimlich nach Deutschland, um in unbekannter Einsamkeit Gott zu leben. Mit Erlaubnis des Bischofs von Trier baute er sich zwischen Oberwesel und Boppard eine Klause und Kapelle, die er mit Reliquien ausschmückte, in der er Tag und Nacht dem Gebet und der Betrachtung oblag und den ihn besuchenden Leuten – darunter noch viele Heiden waren – die heiligen Religions-Wahrheiten erklärte. Zahlreiche Wunder, die er an Kranken und Bedrängten wirkte, vermehrten das Zutrauen und die Zahl der Besuchenden, und seine unzerstörbare Freundlichkeit hatte für Alle Worte des Trostes, der Belehrung, der Aneiferung zur Furcht vor der Sünde, zur Liebe Gottes und des Nächsten. Soweit seine Hand reichte, war seine Güte auch bereit, mit freundlichem Wohlwollen zu helfen. Jedem Armen und Fremden stand seine Klause offen und war ein herzlicher Willkomm gewiß. Der gastfreundliche Goar bot Jedem eine Erquickung an, wußte für Jeden einen weisen Rat für die Weiterreise und gab Allen eine passende Lehre, wie sie ihre Seele heiligen und zu einem guten Tode vorbereiten sollten.
In der damaligen barbarischen Zeit und in jener waldigen Gegend, wo Raub und Mord die Wege so unsicher machte und die abergläubische Furcht vor Gespenstern und Kobolden allgemein herrschte, musste eine so herzliche Freundlichkeit, gastliche Aufnahme und liebreiche Dienstfertigkeit, wie dieser heilige Priester sie bei Tag und Nacht übte, einen außerordentlich heilsamen Einfluß ausüben und ihm ein großes Feld der Wirksamkeit für die Ehre Gottes öffnen; aber auch den Feind alles Guten zu wildem Grimm aufstacheln. Goar wurde beim Bischof Rusticus von Trier verleumdet, daß er ein Fresser, Säufer und geschwätziger Gleißner sei, daß er seine Einsiedlerzelle zu einer gemeinen Zechstube herabwürdige und mit allem Lumpengesindel in brüderlicher Vertraulichkeit lebe. Der Bischof schickte sogleich zwei Beamte ab, den Sachverhalt streng zu untersuchen und falls sie Unrechtes beobachteten, den Einsiedler zur Verantwortung und Strafe zu ihm zu bringen. Diese zwei Beamten, die unter den Verleumdern des heiligen Goar die tätigsten waren, empfing der Einsiedler auf`s freundlichste und erklärte auf ihre Einladung, daß er in wichtiger Angelegenheit zum Bischof kommen möchte, mit Freude: „Gott helfe, daß ich sogleich den meinem Herrn schuldigen Gehorsam leiste.“ Dann bewirtete er die bischöflichen Abgeordneten mit dem Besten, was er hatte, wofür ihm diese das höhnische Kompliment machten: „Wir hätten nicht geglaubt, in dieser Klause, bei diesem angeblich so abgetöteten Mann eine so seine Mahlzeit zu finden.“ „Ihr würdet nicht so sprechen“, belehrte sie der Heilige sanft, „wenn ihr mit liebe essen möchtet, was euch die Liebe aufgestellt hat.“ Am andern Morgen bereitete Goar wieder ein gutes Frühstück auf die mühsame Reise; aber die zwei Herren schlugen unhöflich den Imbiss aus, um durch ihre Abtötung sein Wohlleben zu strafen, und stiegen zu Pferd, ganz zufrieden, genug Stoff zur Klage wieder diesen Heuchler zu haben. Goar reichte das Frühstück zwei eben angekommenen Fremden, erquickte sich mit ihnen in liebevollem Gespräch und folgte dann den zwei Abgeordneten.
Nach mehrstündigem Ritt fühlten diese quälenden Hunger und Durst und gänzliche Ermüdung, konnten aber nirgends einen Tropfen Wasser auffinden, deshalb sprachen sie zu Goar: „Du frommer Priester, hilf uns, wir sterben sonst vor Erschöpfung.“ Der Heilige, nur um ihre Seele bekümmert, sprach milde: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott. Als ich armer Sünder euch bewirten wollte, hättet ihr die Liebe nicht verschmähen sollen. Gott hat dieses Leiden zur Besserung über euch verhängt.“ Dann kniete er nieder zum Gebet. Sogleich huschten drei Hirschkühe aus dem Dickicht des Waldes hervor; Goar lockte sie, molk sie, erquickte kräftig die zwei Herren und gelangte wohlbehalten mit ihnen nach Trier.
Die Abgeordneten erstatteten dem Bischof genauen Bericht über das Geschehene und lobten den Einsiedler ebenso, wie sie ihn vorher getadelt und verleumdet hatten.
Aber Rusticus war nicht der Mann, der das auf dem Wege geschehene Wunder gläubig aufnahm als eine Rechtfertigung des angeklagten Goar, weil er nicht Mahlzeiten und gastliche Bewirtung, sondern strenges Fasten und zurückgezogene Abtötung für Zeichen der Heiligkeit hielt. Deshalb warf er mit harten Worten dem Einsiedler alle wider ihn erhobenen Klagen zur Beantwortung vor. Goar hängte bei Eintritt seinen Mantel an einen durch`s Fenster fallenden Sonnenstrahl auf, weil er ihn für einen Stab hielt, kniete vor dem Bischof nieder und erklärte in demütiger Aufrichtigkeit seine Absichten und Grundsätze, warum seine Lebensweise so beschaffen sei, – sprach aber zu tauben Ohren.
Unterdessen brachte der Küster der Domkirche ein kleines Kind auf dem Arm herein, welches eine herzlose Mutter vor die Kirchentüre hingelegt hatte, und fragte, was mit diesem Kinde zu geschehen habe. Der Bischof erwiderte: „Du kommst gerade recht; jetzt wollen wir uns überzeugen, ob Goar ein Mann Gottes ist, oder nicht. Wenn du, Einsiedler, uns die Eltern dieses Kindes zu nennen weißt, so bist du ein Heiliger; wenn nicht, so bist du ein Zauberer und des Todes schuldig.“ Inständigst bat Goar den Bischof, doch von dieser Probe abzustehen; aber umsonst. Nach kurzem Gebet sprach der Einsiedler zu dem dreitägigen Kind. „Ich beschwöre dich im Namen der hochhl. Dreifaltigkeit, daß du den Namen deiner Mutter und deines Vaters offenbarest.“ Das Kind sagte deutlich: „Flavia ist meine Mutter und Rusticus, der Bischof, mein Vater.“ Der Bischof erblaßte vor Schrecken, fiel Goar zu Füßen und rief weinend: „Du bist ein Heiliger, bitte für mich zu Gott um Gnade; denn die wohl verdiente Strafe hat mich getroffen.“ Rusticus legte sein Amt nieder und sühnte seine Sünde durch die erbaulichste Buße. Nun verlangte König Siegbert, die Geistlichkeit und das Volk, daß Goar den Bischofssitz annehme; er aber floh in seine Klause, wo eine zehnjährige schmerzliche Krankheit ihn gegen alle Zudringlichkeiten schützte. Als er im Jahre 575 im Beisein zweier Priester seine heilige Seele in die Hände Gottes empfahl, war der Zudrang des Volkes zu seiner Leiche, die in der von ihm erbauten Kirche beigesetzt wurde, ein außerordentlicher. Wegen der vielen Wunder, die auf seine Fürbitte geschahen, wurde sein Grab ein berühmter, nicht nur aus den Rheinlanden, sondern auch aus Belgien und der Schweiz viel besuchter Wallfahrtsort, der sich zu einer Stadt erweiterte und sich St. Goar nannte. In der Reformation verlor zwar die Bürgerschaft dieser Stadt den katholischen Glauben; allein der Name dieser Stadt bewahrte das Andenken an den Heilige treuer und reiner, als die undankbaren, angeblich für die Ehre Christi eifernden Bürger. Indessen hat doch die Barmherzigkeit Gottes, ohne Zweifel auf die Fürbitte des heiligen Goar, einem Teil der Einwohner den wahren katholischen Glauben wieder geschenkt; und wenn auch die St. Goar Kirche noch protestantisch ist, so verkünden doch die Glocken derselben den alten katholischen Glauben über Berg und Tal, indem eine derselben die Inschrift trägt: „Heiliger Goar, Bekenner des Herrn, erhabener Priester, stehe als gnädiger Beschützer uns Sündern zur Seite!“ –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 509 – S. 510