Heiligenkalender
22. Oktober
Heiliger Agatho der Schweigsame, Einsiedler
(Weisheitssprüche)
Ich bringe am heutigen Tag diesen Heiligen, von dessen Leben und Tod man weiter nichts Genaues weiß, als daß er in ähnlicher Art wie Hilarion als Altvater in der Wüste Scethe gelebt hat. Wohl aber hat man eine ganze Sammlung von Aussprüchen, welche seine Jünger aufgeschrieben und der Welt hinterlassen haben. Die christliche Weisheit, welche darin enthalten ist, dient allen Zeiten zur Belehrung, folglich auch uns:
Man erzählt von dem Vater Agatho, daß er drei Jahre lang einen Stein im Mund behielt, bis er vollkommen das Stillschweigen gelernt hatte.
Ein Bruder sagte zu dem Greis: „Ich habe einen Auftrag von meinem Obern bekommen, aber der Ort, wo ich den Auftrag zu vollführen habe, gereicht mir zur Versuchung. Ich möchte nun gehen wegen des Gehorsams, aber ich fürchte auch die Gefahr; was soll ich tun?“ Agatho antwortete: „Ich würde den Auftrag vollführen und die Versuchung überwinden.“
Ein gewisser Bruder kam zu Agatho und sprach: „Ich will bei den Brüdern wohnen; sag` du mir nun, wie ich mich bei ihnen verhalten soll.“ Der Greis antwortete: „Wie am ersten Tag, da du bei ihnen eintrittst, so behalte alle Tage deines Lebens die Demut bei und nimm kein freies Wesen an: denn die Ungebundenheit ist die Mutter aller Leidenschaften. Der Mönch soll darum nicht ungebunden sein, selbst wenn er allein in der Zelle ist.“
Ein Bruder suchte ihn auf und sprach: „Vater, die Leidenschaften wollen nicht von mir weichen.“ – Agatho antwortete: „Der Stoff dazu ist in dir selbst; lebe ihnen zu leid und tue in Allem, was ihnen entgegen gesetzt ist, und sie werden von dir fliehen.“
Agatho sagte: „Ich habe mich nie schlafen gelegt und noch etwas gegen Jemanden gehabt; und habe auch nie Jemanden schlafen gehen lassen, der etwas gegen mich gehabt hätte, ohne mich vorher mit ihm zu versöhnen, soweit es meinerseits möglich war.“
Es war ein Ausspruch des Altvaters: „Wenn du mit einem Andern zusammen wohnst, so sei wie eine steinerne Säule, welche nicht zürnt, wenn man sie beschimpft, nicht hochmütig wird, wenn man sie rühmt.“
Er pflegte zu sagen: „Wenn ein Zornmütiger selbst einen Toten auferwecken würde, so gefiele er Gott doch nicht wegen seines Zornes.“
Einmal kamen Brüder zu ihm und wollten die Probe mit ihm machen, ob er wirklich so große Demut und Geduld habe als die Sage ging. Sie sagten zu ihm: „Viele nehmen Ärgernis an dir, Vater, weil du so sehr vom Laster des Stolzes eingenommen seist und deshalb Andere verachtest und für nichts ansehest, ja auch nicht aufhörest die Brüder zu verkleinern. Sehr Viele behaupten auch, du tuest solches deshalb, weil du dem Laster der Unzucht ergeben seist, und setzest darum Andere fortwährend herab, damit du nicht allein als Sünder erscheinest.“ – Darauf antwortete der Greis: „Alle diese Laster, welche ihr genannt habt, finde ich an mir, und ich kann meine so großen Schlechtigkeiten nicht leugnen.“ Sodann fiel er ehrerbietig vor den Brüdern nieder: „Ich bitte euch, Brüder, daß ihr nicht aufhört, für mich Elenden und so vielen Lastern Unterworfenen zum herrn Christus zu beten, daß er meinen vielen und bösen Übeltaten Verzeihung erteile.“ – Darauf sagten die Brüder: „Und auch das möge dir nicht verborgen bleiben, daß auch sehr Viele behaupten wollen, du seist ein Ketzer.“ – Da aber der Greis dieses gehört hatte, sagte er zu ihnen: „Obschon ich mit vielen Sünden behaftet bin, so bin ich doch kein Ketzer, das sei fern von meiner Seele.“ – Darauf warfen sich alle Brüder, die gekommen waren, ihm zu Füßen und sprachen: „Wir bitten dich, Vater, daß du uns sagst, warum du ganz ruhig geblieben bist, da wir so große Laster und Sünden über dich sagten, über das Wort Ketzer aber dich so sehr entsetzet hast und es nicht hören konntest.“ – Der Greis antwortete: „Jene ersten Anschuldigungen und Sünden habe ich der Demut zu lieb ertragen, damit ihr mich für einen Sünder ansehen möchtet; denn wir wissen, daß die Tugend der Demut bewahren der Seele zum großen Heil gereicht. Unser Herr und Heiland Jesus Christus hat Alles geduldig ertragen, als die Juden viele Beschuldigungen und Schimpf gegen ihn vorbrachten, um uns das Beispiel der Demut zu geben. Den Vorwurf wegen Ketzerei konnte ich aber nicht ertragen und habe ihn zurück gewiesen, weil die Ketzerei Trennung von Gott ist. Der Ketzer reißt sich nämlich los von dem lebendigen und wahren Gott und verbindet sich mit dem Teufel und seinem Anhang. Abgefallen von Christus hat er keinen Gott mehr, den er für seine Sünden anflehen könnte; er geht ganz und gar zu Grund.“
Oft ermahnte der Altvater Agatho seinen Jünger: „Erwirb dir nie etwas, das du nicht gern dem Bruder, der dich darum bittet, gäbest; denn sonst würdest du das Gebot des Herrn übertreten; Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, welcher bei dir leihen will.“
Einst machte Agatho eine Reise mit seinen Schülern; da fand einer von ihnen einen kleinen Bündel grüner Erbsen am Weg und sprach zu Agatho: „Vater, wenn du befiehlst, so nehme ich es mit.“ Der Greis schaute ihn verwundert an und sprach: „Hast du jenes hergelegt?“ Der Jünger sagte: nein. Darauf erwiderte der Greis: „Wie willst du weg nehmen, was du nicht her getan hast?“
Es fragten die Brüder den Altvater: „Vater, welche Übung kostest im gottseligen Leben am meisten Mühe?“ Er antwortete: „Ich glaube, daß nichts solche Anstrengung erfordert, als recht beten; denn wenn der Mensch Gott anflehen will, so eilen allemal die feindlichen Geister sein Gebet zu stören, weil sie wissen, daß sie durch keine Sache mehr verhindert werden, als durch rechtes Gebet zu Gott. Bei jeder andern Übung eines guten Werkes mag der Mensch Ruhe bekommen, wenn er standhaft fortfährt; im Gebet aber hat er von Anfang bis ans End die Mühe des innerlichen Kampfes.“
Agatho wurde einst gefragt: „Was ist mehr, die Arbeit des Körpers oder die Überwachung des innern Menschen?“ – Agatho antwortete: „Der Mensch ist gleich einem Baum; die leibliche Arbeit bringt das Laub, die Überwachung des innern Menschen aber bringt die Frucht. Da aber, wie geschrieben steht, jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, umgehauen und ins Feuer geworfen wird, so müssen wir sehr besorgt sein für unsere Frucht, das ist für die Überwachung des Geistes. Doch haben wir auch Bedeckung und den Schmuck der Blätter notwendig, welches die Arbeit des Körpers ist.“
Es wird von Agatho erzählt, daß er mit seinen Jüngern längere Zeit und Mühe aufwendete, um eine Zelle zu bauen. Als dieselbe fertig war und sie dieselbe bezogen hatten, so fand Agatho etwas in der ersten Woche, was ihm für die Seele verderblich schien. Er sagte daher zu den Jüngern: „Machet euch auf, wir wollen von hier weg gehen.“ Jene waren ganz bestürzt und sagten: „Wenn du im Sinn gehabt hast nicht hier zu bleiben, warum haben wir so viele Arbeit aufgewendet die Zelle zu bauen? Zudem werden auch die Leute Ärgernis wegen uns nehmen und sagen: Seht, hetzt wechseln sie schon wieder den Wohnplatz, diese unsteten Landstreicher.“ Da er sie nun so von Zaghaftigkeit nieder gedrückt sah, redete er also zu ihnen: „Wenn wir Einigen zum Ärgernis gereichen, so werden wir Andern auch zur Erbauung gereichen; diese werden sprechen: Selig jene Menschen, die wegen Gott Alles verlassen haben und fort gewandert sind. Jedoch wer kommen will, komme; ich gehe nun fort.“ Da warfen sich die Jünger vor ihm nieder, und baten ihn um die Erlaubnis ihn begleiten zu dürfen.
Wenn Agatho etwas Schlimmes an Andern sah und sich versucht fühlte zu richten, sprach er zu sich: „Agatho, tue dieses nicht“; und dann kehrte er in sich selbst ein und legte alle Gedanken gegen den Bruder ab.
Ein Bruder fragte den Altvater, wie man sich zu verhalten habe bei Anfechtungen gegen die Reinigkeit. Dieser gab zur Antwort: „Gehe und bekenne deine Schwachheit vor Gott und bitte um seinen Beistand, dann wirst du Ruhe haben.“
Agatho sagte einmal: „Wenn mir Jemand über die Maßen lieb wäre und ich würde erkennen, daß er mich zur Sünde bringen könnte, so würde ich ihn von mir abschneiden.“
Agatho hatte in Allem große Behutsamkeit und pflegte zu sagen: „Ohne die größte Behutsamkeit schreitet der Mensch auch nicht in einer einzigen Tugend fort.“
Als Agatho einmal in eine Stadt ging, um seine geflochtenen Körbchen zu verkaufen, fand er einen aussätzigen am Weg, der ihn fragte, wohin er gehe. Der Altvater Agatho antwortete: In die Stadt, Körbe zu verkaufen.“ Da sagte der Aussätzige: „Erweise mir die Liebe und trage mich dorthin.“ Und er hob ihn auf und trug ihn in die Stadt. Da sagte jener: „Setze mich da nieder, wo du die Körbe zu verkaufen pflegst.“ Agatho tat so. Da er nun ein Körbchen verkauft hatte, fragte der Aussätzige, um wie viel er es verkauft habe. Um so und so viel, sagte Agatho. Da sagte der Aussätzige: „Kaufe mir einen Kuchen.“ Er kaufte. Er setzte wieder ein anderes Körbchen ab. Der Aussätzige sagte: „Um wie viel aber hast du dies verkauft?“ Um so viel, sagte Agatho. Da begehrte der Aussätzige etwas Anderes, was er ihm darum kaufen solle. Agatho kaufte es. Nachdem er alle Körbe verkauft hatte und fort gehen wollte, sagte der Aussätzige zu ihm: „Gehst du jetzt fort? Tue noch ein Werk der Barmherzigkeit und trage mich wieder an den Ort zurück, wo du mich gefunden hast.“ Agatho nahm ihn und trug ihn dorthin zurück. Da sagte er zu ihm: „Gesegnet seit du Agatho von dem Herrn im Himmel und auf Erden.“ Und da der Altvater die Augen erhob, sah er Niemand mehr; denn es war ein Engel des Herrn gewesen, der gekommen war, daß er ihn prüfe.
Agatho sagte einmal: „Wenn ich einen Aussätzigen finde und es wäre möglich daß ich ihm meinen Leib gäbe und ich dafür seinen eintausche, so würde ich es gern tun; denn dies ist die vollkommene Liebe.“
Man erzählt vom Altvater Agatho, daß er jeden Auftrag auszuführen suchte. Wenn er in einem Schiff überfuhr, ergriff er zuerst das Ruder. Wenn Brüder angekommen waren, so legte er sogleich nach dem Gebet Hand an, den Tisch zu rüsten. Denn er war voll Liebe Gottes. Als aber die Zeit seines Todes heran nahte, verharrte er drei Tage mit offenen und unbeweglichen Augen. Die Brüder stießen ihn aber zuletzt an und sprachen: „Vater Agatho, wo bist du?“ Er antwortete ihnen: „Ich stehe vor dem Gericht Gottes.“ Sie sprachen: „Fürchtest auch du dich ?“ Er sagte: Ich habe bisher getan was ich konnte, um die Gebote zu halten; aber ich bin ein Mensch; woher soll ich wissen, ob meine Werke Gott gefallen haben?“ Die Brüder sagten: „“Vertrauest du nicht auf deine Werke, daß sie Gott gemäß seien?“ Der Greis antwortete: „Ich habe kein vertrauen, wenn ich mich vor Gott stelle. Anders ist nämlich das Urteil Gottes, anders das der Menschen.“ – Da sie ihn nun noch über Anderes fragen wollten, sprach er zu ihnen: „Tuet das Liebeswerk und redet nicht weiter mit mir, denn ich bin beschäftigt.“ Und er schied vom Leben mit Freude; sie sahen ihn nämlich nach dem Abscheiden, wie wenn Einer seine Freunde und Geliebte grüßt. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 124 – S. 129