Das Kreuz ist eine Himmelsbrücke

Das Kreuz ist eine Himmelsbrücke, wie der Regenbogen das Zeichen des Bundes mit Gott

Das Kreuz eine Himmelsbrücke in die ewige Seligkeit

Das Kreuz ist endlich, um alles in eins zusammen zu fassen, die Himmelsbrücke, auf der wir aus der Zeit hinüber in die Ewigkeit, aus der Trübsal dieses Lebens hinüber in die Seligkeit des Himmels gelangen. Bei den alten Deutschen ging die Sage von einer wundervollen Himmelsbrücke, die aus Steinen von lauter Kristall und den reinsten Regenbogen-Farben gebaut war, und ehedem Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit miteinander verband, so daß man auf dieser Brücke aus der Ewigkeit herüber in die Zeit, und aus der Zeit hinüber in die Ewigkeit wandern konnte. Diese wunderbare Himmelsbrücke aber, welche die Gestalt des siebenfarbigen Regenbogens hatte, wurde durch die Schuld der Menschen abgebrochen, ohne daß hernach ein Baumeister imstande gewesen wäre, sie wieder aufzubauen. Daher habe denn auch seit dem Zusammenbruch der Himmelsbrücke kein verkehr mehr zwischen Himmel und Erde statt gefunden, keiner habe mehr von der Erde hinüber gekonnt in den Himmel, wie auch von drüben kein Friede, kein Segen, kein Heil und Himmelsglück mehr herüber gelangt auf die Erde. Das war nun freilich sehr verhängnisvoll für die armen Menschenkinder: sie konnten nicht mehr mit Gott verhandeln, nicht mehr in den Himmel kommen, die Brücke war abgebrochen. Daher war es gewiß ein Werk der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, als endlich ein Baumeister sich angekündigt, der imstande sei, die eingesunkene Himmelsbrücke wieder aufzubauen. Dieser Baumeister aber ist unser Heiland Jesus Christus, qui fecit utraque unum, der im Kreuz aus beiden eins gemacht und den Himmel mit der Erde wieder verbunden hat. Der also hat recht, der da den göttlichen Baumeister dieser neuen Himmelsbrücke also besingt:

Es kam der Heiland voll Erbarmen,
Der Gottessohn in diese Welt,
Und hat mit mächt`gen Gottesarmen
Die Himmelsbrücke hergestellt;
Nun steht der Himmel wieder offen
Als unser altes Vaterland,
Wir können glauben, können hoffen
Und fühlen uns mit Gott verwandt.

Das ist doch aber ein unaussprechliches Glück für uns arme Erdenpilger, daß wir nach dem harten Tagewerk unsers Lebens auf dieser Brücke eingehen können „in die Freude, in die Ruhe des Herrn“. Der heilige Benediktiner-Mönch Notker, der im 1o. Jahrhundert zu St. Gallen in der Schweiz lebte, sah einmal zu, – meines Wissens war er auch Baumeister – wie über einen schwindelnden Abgrund eine Brücke geschlagen wurde, und dabei die Werkleute auf dem Gerüst stets zwischen Leben und Tod schwebten und schwankten. Diese Gefahr der Werkleute aber, jeden Augenblick in den Abgrund hinunter zu stürzen, erfüllte den heiligen Mönch mit großem Schaudern. Daher verfaßte er das bekannte Lied, oder vielmehr Gebet (*), das späterhin alle Brückenbauer, ehe sie an ihre Arbeit gingen, und alle, die gefahrvolle Unternehmungen zu besorgen hatten, miteinander sangen:

Media vita in morte sumus,
Mitten im Leben schweben wir im Tode,
Wen suchen wir als Helfer, außer dir, o Herr?
Sancte Deus, Kyrie eleison, heiliger Gott, erbarme dich unser!

Mitten in dem bittern Tod dein Gericht uns schrecket:
Wen suchen wir als Retter, außer dir, o Herr!
Auf dich haben unsere Väter gehofft, haben gehofft und du hast sie erlöst:
Sancte, fortis Deus, Kyrie eleison, heiliger, starker Gott, erbarme dich unser!

Mitten in der Todesnot laß uns nicht versinken;
Denn zu dir haben unsere Väter gerufen, o Herr!
Sie haben gerufen, und du hast sie nicht zu Schanden gemacht:
Sancte, fortis et immortalis Deus, Kyrie eleison, heiliger starker und unsterblicher Gott, erbarme dich unser!

Mitten in der Todesnot, laß uns nicht verzagen:
Wenn unsere Kraft gebrochen, verlaß uns nicht, o Herr,
Übergib uns nicht einem bösen Tod, wenn wir von diesem Leben scheiden:
Heiliger, starker und unsterblicher Gott, barmherziger Erlöser, erbarme dich unser!

Wo nun aber der Christ das Kreuz als Steg, als Brücke benützt, um über die schwindelnden Abgründe dieses Lebens hinüber zu gelangen, braucht er vor all den Nöten, von welchen in dem angeführten Lied die Rede ist, nicht zu bangen; denn er, der göttliche Baumeister dieser Brücke selbst, steht jenseits derselben, um alle, die sie betreten, um alle, die das Kreuz verehren, lieben und umfassen, an sich zu ziehen; er aber ist mächtig und läßt keinen fallen, der nach ihm die Arme ausstreckt. Das Kreuz also, diese Himmelsbrücke, ist für alle zaghaften Herzen die leibhaftige Mahnung: Was seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen?

Ein Strom ist diese Welt, das Kreuz, daß du es weißt,
Die Brück`, worauf die Seel` nach Hause sicher reist.

Das sind nun so einige Gedanken, die sich der Rosenkranz-Beter schon gleich beim Kreuzzeichen, womit er den Rosenkranz beginnt, machen kann, um seine Seele, wie oben schon gesagt wurde, in eine andächtige Stimmung zu versetzen. Daher steht denn auch das Kreuz vorn am Eingang zum Rosenkranz wie eine Himmelsleiter da, auf der die Seele im Gebet zu Gott aufsteigen kann; es ladet uns ein, vor allen Dingen alles dessen zu gedenken, was uns durch das Kreuz zu teil geworden ist; das ist aber so viel, daß kein Mensch es jemals im Gebet auszudenken vermag. Zudem wird ja auch „dieses Zeichen am Himmel erscheinen, wenn der Herr zum Gericht kommt: dann werden alle, die das Kreuz verehrt und geliebt, hinzutreten – ad Christum iudicem, zu Christus, dem Richter, cum magna fiducia, mit großem Vertrauen“. Darum soll uns jedesmal, wenn wir den Rosenkranz beginnen und das Kreuzzeichen machen, dabei zu Mute werden, wie jenem, der da sang:

Sei gegrüßt, du Siegeszeichen,
Hell erstrahlend, sondergleichen,
Hohes, heil`ges Kreuz des Herrn!
Kreuz, an dem mein Gott gehangen,
Laß mich büßend dich umfangen,
Süßer, milder Gnadenstern!

Sei gegrüßt mit treuem Herzen,
Sei gegrüßt in Not und Schmerzen,
Hohes, heil`ges Kreuz des Herrn!
In dem letzten Hauch des Lebens
Leuchtest du mir nicht vergebens,
Schöner, holder Rettungsstern!

aus: Philipp Hammer, Der Rosenkranz, eine Fundgrube für Prediger und Katecheten, ein Erbauungsbuch für katholische Christen, I. Band, 1896, S. 107 -S. 111

(*) siehe auch den Beitrag: Der heilige Notker berühmt für seinen geistlichen Gesang

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