Heiligenkalender
7. April
Die selige Ursulina von Parma Jungfrau
Da dieselbe erst ein Kind von vier Monaten war, soll sie auf einmal die Worte: „O Gott, Gott Vater“, gesprochen haben. Hingegen wurde sie fünf Jahre alt, bis sie gehen lernte. Sehr bald aber wendete sich ihr Gemüt so sehr den religiösen Betrachtungen zu und hielt sich so fern von allen weltlichen Lustbarkeiten, daß die Nachbarinnen zu ihrer Mutter sagten: Eure Tochter muss recht stolz und zurückhaltend sein, daß sie nie in unsere Gesellschaft kommt, wie andere Personen. Da die Mutter es der seligen Ursulina sagte, antwortete diese: „Warum soll ich den Umgang mit meinem Herrn Jesus Christus und den Heiligen aufgeben um jene Leute willen? Der Herr hat mich so berufen; ihm diene und folge ich auf diese Weise.“
Ursulina erwarb sich eine außerordentliche Kenntnis der heiligen Schrift und der Religions-Wahrheiten, und wußte Zweifel und Einwürfe dagegen so klar und überzeugend zu lösen, daß Jedermann sich wunderte, wie solche Weisheit in einer Jungfrau wohne. Dabei zeigte sie aber stets die anmutigste Bescheidenheit. Einmal wurde ihr von einem vornehmen und hochmütigen Geistlichen die vorwitzige Frage vorgelegt: „Wenn du so große Erleuchtungen hast, wie es heißt, so erkläre einmal offen und deutlich, was die Dreifaltigkeit ist.“ – Die Selige erwiderte: „Wenn du den dreieinigen Gott selbst anschauen dürftest, würdest du Ihn dann ergründen und sein Wesen mit Worten erklären können?“ – Der Geistliche sagte: „Gewiß nicht.“ – „Also ist auch deine Frage unnütz“, erwiderte die Jungfrau. – Voll Übermut und Spott fragte der Geistliche noch einmal: „Wenn du vielen Umgang mit Gott hast, so wirst du auch wissen, welche Menschen selig werden, und welche einmal verloren gehen.“ Darauf erwiderte die fromme Jungfrau: „Wenn du einen blühenden Baum siehst, kannst du unterscheiden, welche Blüten Frucht bringen werden, und welche ohne Frucht zu bringen abfallen?“ Da er nichts zu antworten wußte, so setzte die fromme Jungfrau hinzu: „Solches ist Gott allein bekannt, und wem es Gott offenbaren will.“
Ursulina musste wegen ihrer großen Geistesgaben und besonderen Erleuchtung manche Verdächtigung, selbst Verfolgung ausstehen; ja sie wurde einmal, wie es zu damaliger Zeit (1400 n. Chr.) oft geschah, als eine Hexe behandelt, indem bösartige Menschen lieber der Wirkung des Teufels zuschrieben, als der Wirkung Gottes, was sie Außerordentliches an Ursulina wahrnahmen. Hingegen wurde Ursulina auch von Gott bei den damaligen verwirrten Zuständen der Kirche verwendet, um hochgestellte Personen zu beraten und zu warnen. Da jedoch diese Begebenheiten nicht von der Art sind, daß sie auch bei unsern Verhältnissen als Vorbild und zur Nachahmung dienen können, so will ich sie übergehen und statt dessen den Leser unmittelbar an das Sterbebett der Seligen führen; es ist nämlich noch aufgeschrieben, was sie bei ihrem Tod gesprochen hat. Wenn es oft schon bei einem gewöhnlichen Menschen das Bemerkenswerteste in seinem ganzen Leben ist, was er am Schluß desselben tut und sagt; so muss noch mehr Solches der Fall sein bei einer Person, die ein heiliges Leben geführt hat. Denn wenn die Seele schon halb los gelöst ist von der Umhüllung des Körpers, so strahlt dann oft heller das Licht der andern Welt in sie hinein, so daß sie klarer und bestimmter, als in gesunden Tagen, die höheren Wahrheiten schaut und der Welt verkündet.
Nachdem die heilige Ursulina aus Parma, wo sie zu Haus war, durch den tyrannischen Herrn der Stadt vertrieben war, flüchtete sie sich mit ihrer Mutter nach Verona, und lebte daselbst still in Arbeit und Frömmigkeit. Nach einigen Jahren wurde sie schwer krank. Ihre Mutter bat nun ihre Tochter flehentlich, sie solle doch recht kräftig um Herstellung der Gesundheit beten und daß Gott sie ihr nicht hinweg nehme. Die selige Ursulina sagte: „Liebe Mutter, wir müssen uns ruhig in Gottes Willen ergeben; denn er weiß am besten, was uns Not tut. Hat uns Gott in dieser armseligen Welt nicht gut bisher geführt? Ist es aber nicht auch recht, daß wir sündige Menschen mit unserm unschuldigen Haupt Christus etwas leiden? Wir sind ja seine Glieder. Ich weiß aber, daß ich jetzt beim Ziel alles Fleisches angelangt bin, und der Muttererde zurück geben muß, was ihr gehört. Wir wollen unsern Nacken dem göttlichen Willen beugen.“
Ihre Mutter, die am besten wußte, wie heilig Ursulina gelebt hatte, ergab sich nun darein, daß ihre Tochter jetzt in den Himmel eingehe, forderte sie aber auf, ihr und den umstehenden Personen noch ein Andenken für das Seelenheil zurück zu lassen. Da sprach Ursulina: Vor Allem bitte ich euch inständig, daß ihr Liebe zu einander habt; ferner haltet fest den wahren und lebendigen Glauben, und seid überzeugt, daß Alles, was euch begegnen mag, von Gott kommt aus seiner unermeßlichen Liebe, die er zu seinen Geschöpfen hat, nicht aus Haß. Dann ermahne ich euch, und lasse es euch als ein besonderes Vermächtnis zurück, daß ihr Niemanden mit euerm Urteil verdammt; denn das Richten Anderer ist trügerisch und das verderblichste Seelengift.
Als es den andern Tag mit ihr zum Sterben kam, betete sie noch folgendes Gebet: „O ewiger Gott, bester Herr und Meister, der du diesen Leib deines Geschöpfes aus Erde gebildet hast! O süßeste Liebe, o innige Güte! Aus so Geringem hast du die Wohnung gemacht, in welcher du den großen unermeßlichen Schatz, die Seele, dein Ebenbild, eingetan hast. Du, mein geliebter Meister, bist es, der dieses Gebilde baut und abbricht und wieder herstellt nach dem Wohlgefallen deiner Güte. Dir, ewiger Vater, opfere ich, deine arme Magd, mein Leben; erbarme dich und verzeih` mir meine Sünden und Nachlässigkeiten, erbarme dich und spende mir deinen Segen!“
Hierauf schlug sie mehrmals auf ihre Brust und sprach: „Meine Schuld, ewige Dreieinigkeit, daß ich deine Majestät beleidigt habe, durch viele Nachlässigkeit, durch Ungehorsam, durch Undank, durch Unwissenheit und viele andere Fehler. Ach ich Elende, daß ich deine Gebote so schlecht befolgt habe, namentlich jenes, das du mir besonders vorgeschrieben hast, dir stets Ehre und meinem Nächsten Dienst zu erweisen. Ich habe das Gegenteil getan, ich habe die eigene Ehre gesucht, und in der Zeit der Not die Mühe für den Nächsten geflohen. Meine Schuld! Du Vater hast mir befohlen, daß ich mich ganz aufgebe und verleugne, und nur das Lob und die Ehre deines Namens suche und das Heil der Seelen; aber ich habe meinen Trost gesucht. Barmherzigster Vater! Du hast mich fortwährend eingeladen dich zu umfangen mit feuriger Liebe, mit herzlichen Tränen, mit demütigem, anhaltendem, treuen Gebet für deine heilige Kirche und das Heil der ganzen Welt. Aber ich habe nicht entsprochen, sondern bin schlafend gelegen auf dem Bett meiner Trägheit. Ich Elende! Du hast mich von Jugend an auserwählt, und ich bin dir nicht treu gewesen, denn ich habe nicht in stetem Andenken getragen dich selbst und deine großen Wohltaten; mein Wille war nicht wohl geneigt dich zu lieben und dir nachzugehen, wie du von mir verlangt hast.“
So klagte sich an diese „reinste Taube“, wie sie ihr Geschichtsschreiber nennt. Hierauf empfing sie die heiligen Sakramente mit tiefster Demut und Ehrfurcht; dann richtete sie ihre Augen auf ein Kruzifixbild, und fing an andächtig zu beten und so erhabene Dinge zu reden, daß die Umstehenden es kaum fassen konnten. Nach einiger Zeit rief sie die Mutter zu sich und sprach: „Gib, liebste Mutter, den Segen deiner Tochter, die du geboren hast, denn es ist zeit, daß ich zu meinem Schöpfer zurückkehre.“ Die Mutter fing an bitterlich zu jammern und zu weinen und sprach: „Meine Tochter, sei gesegnet; aber, ich bitte, segne du auch deine arme Mutter.“ Ursulina erhob ein wenig die Hand, segnete die Mutter und Umstehenden und sprach: „Herr, du rufst mich, sieh`, ich komme zu dir. Ich komme nicht kraft meiner Verdienste, sondern durch deine zuvorkommende Barmherzigkeit, welche ich von dir erflehe um des Blutes deines Sohnes willen.“ Nachdem sie noch mit sanfter Stimme die Worte gesprochen hatte: „Vater, in deine Hände empfehle ich meine Seele und meinen Geist – verschied sie in seligem Tod. Ihr Leib wurde zuerst zu Verona beigesetzt, später aber nach Parma in ihre Heimat geführt, wo er jetzt noch in der Klosterkirche des heiligen Quintinus verehrt wird.
Je vollkommener der Mensch wird, desto weniger bildet er sich auf sein tugendhaftes Leben etwas ein, desto mehr vergißt er seine guten Werke, desto heller sieht er, daß er vor dem heiligen Gott noch lange nicht fleckenlos sei. Es verhält sich damit, wie mit einem weißen Kleid; je weißer und schöner dasselbe ist, desto heller sieht man jeden, auch den geringsten Flecken daran, und desto unangenehmer fallen auch die Flecken dem Blick auf. Hingegen an einem recht unreinen und beschmutzten Kleid bemerkt man nicht einmal mehr einzelne Flecken, sondern es fällt mehr auf, wenn da und dort einzelne Stellen nicht beschmutzt und weiss geblieben sind. Desgleichen achtet der gewöhnliche sündige Mensch nicht, wie befleckt seine Seele sei, wohl aber hält er viel auf einzelne gute Eigenschaften oder Werke, auf das Wenige, was noch weiß geblieben ist. Er denkt nicht daran, daß Alles weiß sein sollte. Der Geizige z. B. meint, er habe ein großes Werk getan und er sei ein sehr guter Mensch, wenn er sich einmal zum Almosen von einem Gulden bringen läßt, während der bessere Christ nach Vermögen Viel gibt, und doch oft besorgt ist, er habe nicht genug gegeben. So auch die heilige Ursulina, welche kein anderes Streben hatte als mit ganzer Seele Gott zu dienen, sie fand noch manche dunkle Flecken an ihrer Seele. Frage dich, Leser, wozu du gehörst: zu denen, deren Seele so unrein ist, daß dir wenige hellere Punkte auffallen – oder zu denen, deren Seele im Ganzen rein ist, deshalb schmerzlich die einzelnen Flecken bemerkt? – Oder mit andern Worten: fällt dir mehr das Gute oder das Böse an deiner Seele auf? –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S.29-33
Ursulina Venerii, selige Jungfrau, * 14. 5. 1375 zu Parma, von Jugend an mit himmlischen Gesichten begnadet, suchte in göttlichem Auftrag den Gegenpapst Klemens VI. bei 2 Besuchen in Avignon zum Aufgeben des Schismas zu bewegen, war auch 3mal in Rom bei Papst Bonifaz IX. und wallfahrtete ins Hl. Land, hernach aus ihrer Vaterstadt in den Bürgerwirren verbannt, begab sich nach Bologna und Verona, † ebd. 7. 4. 1410. Fest 7. April.
aus: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. X, 1938, S. 455