Heiligenkalender
19. April
Der heilige Gerold Einsiedler im Wallgau
Der große Prophet Isaias verkündet die Macht der göttlichen Gnade mit den Worten: „Der Herr wird seine Wüste wie zu einem Lustgarten machen und seine Einöde wie zu einem Garten des Herrn; Freude und Wonne wird man darin finden, Danksagung und Lobgesang.“ (Is.51, 3) Ja, einer Wüste gleicht unser Leben; der unfruchtbare Boden sind unsere Launen und Leidenschaften, die umher gestreuten Steine sind unsere bösen Werke, das wilde dornige Strauchwerk sind unsere wirren Sorgen und Pläne. Willst du, daß diese Wildnis deines Lebens zu einem Lustgarten des Herrn werde, so folge dem Zug der Gnade, suche dir ein heimliches Plätzchen, räume das Gestein weg, rotte das verworrene Strauchwerk mit der Wurzel aus, baue dir eine Klause des Friedens, setze den schönen Kreuzesbaum der heiligen Liebe an ihren Eingang, damit er dieselbe mit seinen Zweigen überschatte und schirme, pflanze ringsum die lieblichen Blumen der Tugenden: das Veilchen der Demut, die Lilie der Unschuld, die Rose der Geduld, den Rittersporn des Starkmutes, den rankenden Efeu der Hoffnung, die Sonnenblume der Sehnsucht nach dem Himmel. So wird die Wildnis dir zum Garten des Herrn voll Freude und Wonne in Dank – und Lobgesang, wie sie es vor neunhundert Jahren dem hl. Gerold geworden ist.
Er war ein Herzog von Sachsen und stammte sehr wahrscheinlich aus dem Geschlecht der Edlen von Hohen-Sax, deren Burgruinen im St. Gallischen Bezirk Werdenberg (Ostschweiz) heute noch zu sehen sind. Er lebte in glücklicher Ehe und im Kreise hoffnungsvoller Kinder, reich an zeitlichen Gütern, an ererbtem Adel, an dargebrachten Huldigungen: aber die Gnade des Herrn zog sein herz hinweg von dieser Vergänglichkeit und gab ihm die Kraft, allem Irdischen zu entsagen und in beschaulicher Einsamkeit sich zu heiligen. Vorsichtig ordnete er sein Hauswesen, sorgte für die Gemahlin und Kinder und nahm Abschied von der Familie und Verwandtschaft. Schmerzliche Tränen weinten seine Teuren, ihm wogte das Herz; aber er preßte die Hand auf die wunde Brust, schaute zum Himmel auf und – ging, das schwerste Opfer, das ein liebendes Vaterherz Gott geben kann, war vollbracht.
Ohne zurück zu schauen, legte er seine Hand in die der göttlichen Vorsehung und folgte festen Schrittes dem kleinen Saumtier, welches sein ärmliches Gepäck mit einigen Büchern ihm in das rauhe Drusustal – später Wallgau genannt – hinein trug. Dort im dunklen Urwald an steilem Bergesabhang fand er eine hohle Eiche und nahe dabei einen frischen Brunnquell von saftiger Kresse umsäumt, und dies genügte ihm zu seinem Aufenthalt – fern von allen Menschen, aber in innigster Vereinigung mit Gott.
Frei von allen Erdensorgen und Menschen-Rücksichten heiligte der fromme Einsiedler die Tage und Nächte in stiller Betrachtung und Beschauung der göttlichen Offenbarung, welche in wunderbarer Kürze und Reichhaltigkeit in den zwölf Artikeln des apostolischen Glaubens-Bekenntnisses enthalten ist: auf den Flügeln der Hoffnung und der Liebe hielt er seine Seele empor gehoben über das Irdische, und die Engel trugen den Weihrauch des Gebetes, den er auf der Glut seines Bußeifers und Fastens verbrannte, vor den Thron des Allerhöchsten. Der gütige Gott, welcher die Vögel in den Lüften nährt und denRaben in der Wüste speist, erfreute den treuen Diener öfters durch Engels-Erscheinungen, welche ihm erquickende Nahrung brachten.
Manches Jahr schon war Gerold, diese herrliche Leuchte vor dem Herrn, in der hohlen Eiche des Wallgaues verborgen, da gefiel es Gott, ihn auf den Leuchter zu stellen. Eines Tages verfolgten die Jäger des Grafen Otto von Jagdberg einen Bären, welcher, von den Hunden gehetzt, zu den Füßen des Eremiten sich flüchtete und in der hohlen Eiche Schutz suchte. Der Heilige wehrte die kläffenden Hunde ab, welche auf seinen Wink auch sogleich wie gebannt stehen blieben. Die Jäger, betroffen über diese seltsame Begebenheit und noch mehr über die Entdeckung eines geisterhaften Mannes in so abgelegener Wildnis, brachten eilig Kunde davon ihrem Herrn. Graf Otto untersuchte den Sachverhalt genau und war nicht wenig erstaunt, in dem ehrwürdigen Eremiten den frommen Herzog Gerold von Sachsen kennen zu lernen, von dem er wohl mochte gehört haben, daß derselbe aus heiliger Gottesliebe Familie und Heimat verlassen und in eine unbekannte Einsamkeit sich begeben habe. Otto bat den bewunderungswürdigen Diener Gottes, den ganzen, durch Buße und Gebet geheiligten Wald von ihm als Geschenk anzunehmen, und baute ihm eine Wohnung mit einem Kirchlein, wobei der für seine Lebensrettung dankbare Bär durch Herbeitragen von Holz und Steinen als kräftiger Handlanger mitgewirkt haben soll.
Inzwischen hatte Graf Otto sich nach der von Gerold zurück gelassenen Familie erkundigt und dieselbe eingeladen, zu ihm zu kommen und eine wichtige Nachricht von ihm zu vernehmen. In ahnungsvoller Erwartung erschienen bald zwei junge Edelleute auf dem Schloß Jagdberg, welche sich dem Grafen als die Söhne des Herzogs von Sachsen anmeldeten und um die angekündigte Nachricht baten. Otto bewirtete sie gastlich, ohne ihre Neugierde zu befriedigen, und lud sie ein, mit ihm und seiner Gemahlin Benedikta einen merkwürdigen Eremiten zu besuchen, welcher im nicht fernen Wald ein wunderbares Büßerleben führte. Kaum war die Gesellschaft bei der Klause des Eremiten angekommen, da erkannte das Kindesauge schon die unvergeßlichen Gesichtszüge des teuren Vaters und mit einem lauten Schrei der Freude stürzten die Söhne in dieArme und an die Brust desselben. Unbeschreiblich war der Jubel des Wiedersehens; Alle dankten und priesen Gott, der den Seinen hier einen Vorgeschmack des seligen Wiedersehens im Himmel zu kosten geben wollte. Kuno und Ulrich – so hießen diese beiden Söhne – wünschten nun ebenfalls die Welt zu verlassen und die Schüler ihres heiligen Vaters zu werden; doch Gerold ermunterte sie, in der Meinradszelle (jetzt Kloster Einsiedeln) um das Ordenskleid des hl. Benedikt zu bitten, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil dieses Kloster durch die Heiligkeit des Abtes Eberhard und durch die wunderbare Einweihung der dortigen Mutter-Gottes-Kapelle (948) gerade sehr berühmt war. (siehe dazu den Beitrag: Die Bulle von Leo VIII zur Engelweihe in Einsiedeln) Willig befolgte das edle Brüderpaar den Rat des Vaters. Einsiedeln feiert alljährlich das Andenken des sel. Kuno am 8. März, des sel. Ulrich am 29. April.
Als der hl. Gerold erkannte, daß sein Tod heran nahe, füllte er seinen Korb mit Erde, trug ihn nach der Meinradszelle und legte ihn dort auf den Altar der göttlichen Gnadenmutter nieder als Urkunde, daß er Alles, was er im Wallgau zu eigen besaß, diesem Kloster, das seine Söhne beherbergte, für ewige Zeiten schenkte. In langem und inbrünstigem Gebet empfahl er sich und seine Kinder der Gnade Gottes und dem Schutz Mariä und kehrte dann wieder in seine Klause zurück, wo er am 19. April 978 seine heilige Seele in die Hand Gottes aushauchte. Die alten Chroniken berichten viele Wunder, welche durch seine Fürbitte im Leben und nach dem Tode geschahen. Einsiedeln hat dankbar seine Schenkung und sein Grab hoch in Ehren gehalten, durch die Stürme der Jahrhunderte treu gehütet und die ihm geweihte Kirche auf die neunte Säkularfeier 1878 prachtvoll restauriert. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 295 – S: 297