Das Kirchenjahr
Die heilige Weihnachtszeit
Weihnachtsvigil und hochheiliger Weihnachtstag
Der glückliche Tag der Weihnachtsvigil neigt sich zu Ende. Mit der Feier des großen Opfers hat die Kirche den, der Erwartung des Herrn gewidmeten, Gottesdienst geschlossen…
Aber eine so hohe Feier, wie die morgige, muss nach dem alten Brauch der Kirche ihre Strahlen schon auf den vorher gehenden Tag werfen. In wenigen Augenblicken lädt der Gottesdienst der ersten Vesper die Christen zur Kirche und die Pracht der Zeremonien, die Erhabenheit der Gesänge öffnen alle Herzen den Regungen der Liebe und Dankbarkeit, welche sie zum Empfang der Gnaden des erhabenen Anblickes geeignet machen sollen…
Zuerst hören wir die Stimme der heiligen Väter, die in ihrer Kraft und ihrem Schwung bis in die Tiefe jeder lebenden Seele dringt. Da ist vorab der heilige Gregor, mit dem Beinamen „der Theologe“, Bischof von Nazianz. In seiner 38. Rede, die er der Theophanie, d. h. der Geburt des Herrn, gewidmet hat, entwickelt er die erhabensten Gedanken. Wer könnte es hören und dabei kalt bleiben, wenn er sagt:
Hl. Gregor von Nazianz
„Christus wird geboren, preist seine Herrlichkeit! Christus steigt vom Himmel herab, zieht vor ihm her! Christus ist auf Erden, Menschen erhebt euch! Die ganze Erde singe dem Herrn! Und um Alles in einem Wort zu vereinen: es freuen sich die Himmel und die Erde bebe in Freude vor Demjenigen, der da zugleich himmlisch und irdisch ist. Christus ist mit unserem Fleisch bekleidet; zittert vor Furcht und Freude: vor Furcht wegen der Sünde, vor Freude wegen der Hoffnung. Christus wird geboren aus einer Jungfrau; Frauen, ehret die Jungfräulichkeit, um Mütter Christi zu werden.
„Wer möchte ihn nicht anbeten, der im Anfang war! Wer will ihn nicht loben und preisen, der eben geboren wurde? Siehe, die Finsternisse zerstreuen sich, das Licht ist geschaffen; …
Klatschet in die Hände, alle Völker: denn ein kleines Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben worden. Das Zeichen seiner Herrschaft ruht auf seiner Schulter; denn es ist das Kreuz das Mittel seiner Erhebung. „Sein Name ist Engel des großen Rates“, d. h. des Rates vom Vater…
Hl. Bernhard
Höret jetzt in der lateinischen Kirche den Gott liebenden heiligen Bernhard. Eine heilige Freude weht durch die sanft klingenden Worte in seiner sechsten Predigt über die Weihnachtsvigil:
„Sehet, wir haben eben eine gnadenvolle Nachricht gehört, eine Nachricht, die uns mitgeteilt wurde, damit wir sie voll Jubel aufnehmen mögen; Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist zu Bethlehem in Judäa geboren worden. Meine Seele hat sich berauscht in diesem Wort, mein Geist wallt in mir, euch ein solches Glück zu verkünden. Jesus, das will sagen, Heiland, Retter. Und was ist notwendiger, als ein Retter denen, die verloren waren, was ersehnter den Unglücklichen, was kann sie mehr aufrichten, deren Herz schon die Verzweiflung ergriff? Wo war das Heil, wo auch nur die leiseste Hoffnung des Heiles unter diesem Sündengesetz, in diesem abgestorbenen Körper, inmitten dieser Verkehrtheit, in dieser Fülle von Trübsal? Und da wurde dies Heil plötzlich geboren und es wurde geboren gegen alle Hoffnung. O Mensch, du sehnst dich, es ist wahr, nach Heilung; aber im Bewusstsein deiner Schwäche und Kraftlosigkeit fürchtest du die Strenge des Heilmittels. Fürchte nichts: Christus ist sanft und milde; seine Barmherzigkeit ist ohne Maß; als Christus hat er das Öl als seinen Teil empfangen, aber nur, um es in Wunden zu gießen. Und wenn ich dir sage, daß er milde ist, so gib dich nicht der Besorgnis hin, daß dein Heiland der Kraft entbehre; denn man sagt dir, daß er der Sohn Gottes ist. Freuen wir uns denn von Herzen, denken wir darüber bei uns selbst nach und rufen wir es dann freudig in die Welt hinaus das sanfte, das milde Wort: „Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist in Bethlehem in Judäa geboren worden.“
Hl. Ephräm
Es ist also in Wahrheit ein großer Tag, der Tag der Geburt des Heilandes, ein Tag, den das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden erwartet hatte, ein Tag, dessen die Kirche die vier Wochen des uns so teuren Adventes hindurch hatte, ein Tag, nach dem sich die ganze Natur sehnt, da mit seinem Hereinbrechen sie in jedem Jahr die Sonne wiederum über die wachsende Finsternis triumphieren sieht…
Der große Lehrer der syrischen Kirche, der heilige Ephräm preist voll Begeisterung den Reiz und die Fruchtbarkeit dieses geheimnisreichen Tages…
„Die anderen Tage des Jahres entlehnen diesem ihre Schönheit, die folgende Feste schulden ihm die Würde und den Glanz, in welchem sie strahlen. Der Tag deiner Geburt ist ein Schatz, o Herr! Ein Schatz, bestimmt die allgemeine Schuld zu tilgen. Gesegnet sei der Tag, der uns, in der finsteren Nacht Irrenden, die Sonne wieder gegeben hat; der uns die göttliche Garbe gebracht, auf welche wiederum der Überfluss ausgebreitet worden ist; der uns den Rebzweig wieder gegeben mit dem Saft des Heiles, dessen wir uns bedienen müssen. Im Schoß des Winters, der die Bäume ihrer Früchte beraubt, treibt der Weinstock seine göttlichen Ranken; unter der Herrschaft des Eises entsprießt das Reis dem Stock von Jesse. Im Dezember, in jenem Monat, in welchem noch die Eingeweide der Erde den ihr anvertrauten Samen bergen, erhebt sich die Ähre unseres Heiles aus dem Schoß der Jungfrau, in welchen sie sie in den Tagen des Frühlings hinab gestiegen war, als die Lämmer weideten auf den Wiesen.“
Es darf daher kein Erstaunen erregen, wenn es Gott gefallen hat, in der Einteilung der Zeiten diesen Tag besonders zu bevorzugen. Es war ein gewisses Vorgefühl, daß Gott diesem Tag eine besondere Würde vorbehalten, wenn schon die heidnischen Völkerschaften demselben eine eigene Feier widmeten. Wir haben bereits oben gesehen, daß die Heiden geheimnisvolle Beziehungen zwischen der göttliche Sonne der Gerechtigkeit und dem geschaffenen Gestirn, welches die Welt erleuchtet und erwärmt, geahnt haben. Auch die heiligen Kirchenlehrer, ja die ganze Liturgie verkünden laut diese unaussprechliche Harmonie. Bemerken wir nun noch, daß nach einer ehrwürdigen alten Überlieferung die Menschwerdung des Sohnes Gottes an einem Freitag, dem 15. März, statt gehabt, daß also die Geburt des Heilandes, der sich das Licht der Welt nennt, an einem Sonntag, dem 25. Dezember, statt gehabt haben muss: dies gibt dem Weihnachtsfest noch eine ganz besondere Weihe in den Jahren, in welchen der Geburtstag des Herrn gerade auf einen Sonntag fällt; einem Tage, der bereits im Anfang der Zeiten durch die Schöpfung des Lichtes und später durch die glorreiche Auferstehung des Erlösers geheiligt worden ist. Der heilige Sophronius von Jerusalem hat in prachtvollen Zügen in seiner ersten Homilie über das Weihnachtsfest dies Geheimnis gezeichnet. –
aus: Dom Prosper Guéranger, Die heilige Weihnachtszeit, 1892, S. 135 – S. 140
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