Gott wurde Mensch damit wir wie Gott werden

Ein Glasfenster mit Jesus, Maria und Joseph

Gott wurde Mensch, damit wir wie Gott werden

III. Fortsetzung 2

Ich stelle die vielleicht anfechtbare Behauptung auf, daß der Gedanke: Gott wird Mensch, nur von Gott gedacht werden konnte und daher wahr sein muss, weil der Gedanke da ist und in der Geschichte Wirklichkeit geworden ist. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort… und das Wort ist Fleisch geworden.“ Unsere Behauptung klingt zunächst einmal ganz sonderbar, aber vielleicht steckt doch wenigstens ein Körnchen Wahrheit darin und sicher eine Ahnung, daß Christus Gott sein muss.

Der Gedanke, daß der große und gewaltige, der ewige und unermeßliche, der alles beherrschende und überragende Gott als Mensch in die Schöpfung eintreten könnte und wirklich eingetreten sei, ist so unheimlich, so unfaßbar, so ungeheuerlich, ja man möchte fast sagen so entsetzlich oder so lächerlich, daß der Satz „Gott ist ein Mensch“ ein Widerspruch in sich zu sein scheint. Entweder ist Gott Gott oder Er ist es nicht, aber Er ist doch kein Mensch! Das Gold ist Gold und kann nicht zugleich Eisen sein. So unerhört ist der Gedanke der Gottheit eines Menschen, daß ein Mensch nie auf diesen Gedanken kommen konnte.

Christi und des ganzen Christentums Auffassung von der Menschwerdung Gottes ist ein Gedanke, den nur Gott allein sich ausdenken konnte und der nur denkbar war, weil er auch verwirklicht werden konnte und Wirklichkeit wurde im Jahre eins. Richtig gesehen ist dieser Gedanke so gegen alles Menschen mögliche Denken, daß er nur in Gott geboren werden konnte.

Noch ein Letztes soll zur These von der Gottheit Christi gesagt sein. Wir gehen aus von einem Wort Friedrich Nietzsches: „Wenn es einen Gott gibt, wie kann ich es ertragen, nicht Gott zu sein?“ Dieses Wort kann als ein sehr hochmütiges und stolzes Wort angesehen werden, aber es trifft doch einen wesentlichen Punkt der menschlichen Existenz. In den tiefsten Tiefen, in den Urgründen der menschlichen Seele schlummert eine unstillbare Sehnsucht nach dem Oben, nach dem Glück, nach Gott. Der Mensch hält Ausschau nach dem höchsten Gipfel, ob er ihn etwa erreichen könnte. Dieser höchste Gipfel ist Gott.

Nach dem Bericht der Heiligen Schrift hat Luzifer nach diesem Gipfel die Hand ausgestreckt, indem er aus eigener Kraft Gott gleich sein wollte. Adam machte denselben Versuch, denn der Teufel lockte ihn mit dem Versprechen, er werde Gott gleich sein. Beim Engel wie beim Menschen ist der Geist darauf angelegt, in unstillbarer Sehnsucht nach Gott zu streben, und daher hält der Geist ohne Unterlaß Ausschau nach dem höchsten Gipfel. Diese Anlage, sicherlich das Ergreifendste und das Letzte und Tiefste im Menschen, kann nur im Schöpfer der Natur ihren Ursprung haben. Legte Gott aber diesen Drang in die Geistnatur hinein, dann hat Er auch die Möglichkeit, dieser Veranlagung die Erfüllung zu schenken, und Er will diese Potenz in die Aktualität überführen. Versucht es aber der Mensch oder der Geist, mit eigener Kraft und in Stolz und Überheblichkeit zu dieser schwindelnden Höhe zu gelangen, dann geht der Sturz unfehlbar in die Tiefe, so wie es bei Luzifer und bei den ersten Menschen der Fall gewesen ist.

Wartet aber der Geist, bis Gott ihn anruft, wartet er in Bereitschaft, jenen Weg zur Höhe zu gehen, den Gott dem Menschen zeigen will, dann tritt ihm Gott entgegen als die Ergänzung und Erfüllung der letzten Veranlagung des Menschen, dann nimmt Er selber ihn bei der Hand und führt ihn Stufe für Stufe aufwärts, bis in das Herz Gottes hinein. Nur die Liebe Gottes hat jenen Weg ersinnen können, der Christus ist. Dadurch, daß Gott in Christus Mensch geworden ist, wollte Er uns den Weg zeigen, den wir zu gehen haben, um zu Gott aufzusteigen und Ihm ähnlich zu werden. „Deus factus est homo, ut homo fieret Deus.“ So hat es Augustinus und so haben es viele Kirchenväter ausgesprochen.

Gott wurde Mensch, damit wir Gott werden könnten, daß heißt, damit wir „wie Gott“ werden könnten. Hier hat nur die Liebe, und zwar die göttliche Liebe gesprochen, und wo diese Liebe spricht, da steht der Verstand, der kleine menschliche Verstand still. Er kommt nicht mehr mit und hier beginnt der Glaube. Auch von hier her öffnet sich ein Weg zur Erkenntnis jener Tatsache, daß Gott in Christus Mensch wurde, das heißt zur These von der Gottheit Christi. (Siehe Beitrag: Gottheit Jesu Zeugnis des himmlischen Vaters) –
aus: Benedikt Reetz, Christus, die große Frage, Vortrag gehalten vor der Gemeinschaft der katholischen Akademiker in Graz am, 8. Mai 1946, S. 29 – S. 32

Bildquellen

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