Ein mahnendes Wort an die jungen Leute
Es ist gewiß, daß dir so gut wie der seligsten Jungfrau gesagt ist: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, aus allen deinen Kräften.“ Das gilt für Alle und bei Allen für`s ganze Leben, von der Zeit an, wo man ein Herz hat, Gott zu lieben. Es darf von Rechtswegen nie in deinem Leben einen Tag oder eine Zeit geben, wo du Gott nicht liebst, weil es eben nie einen Tag gibt, wo Gott nicht liebenswürdig wäre, und wo du nicht die Pflicht hast, ihn zu lieben. Und wenn es heißt: „aus allen Kräften“, so ist da nicht erst die Kraft des besten Mannesalters zu verstehen, noch weniger die Kraftlosigkeit des Greisenalters, sondern eben alle Kraft, die ein Mensch hat, folglich auch die Kraft der Jugend und Kindheit. Es ist ganz falsch, daß die Kindheit nur zum Spielen und die Jugend nur zur Unterhaltung da sei, und man erst in späteren Jahren Gott zu dienen brauche. Wenn ein Kind von acht, neun Jahren stirbt, wird es eben so gerichtet werden über seine Liebe zu Gott, wie über seinen Gehorsam gegen die Eltern. Und dem jungen Menschen ist gesagt: „Freue dich immerhin in deiner Jugend, und wohlgemut sei dein Herz in deinen jungen Tagen und wandle in den Wegen deines Herzens und nach der Lust deiner Augen! Aber – wisse, daß für alles dieses Gott dich zu Gericht bringen wird!“ (Pred. 11)
Ja, man muss noch mehr sagen. Wenn es überhaupt eine Zeit gibt, wo der Mensch mehr verpflichtet ist, sich Gott in Liebe hinzugeben und aufzuopfern, so ist es ganz entschieden die Kindheit und Jugend. Weißt du warum? Sieh! Wenn du ein schwaches Kind auf ein kleines Fahrzeug setzest, das mitten in einem reißenden Wasser sich befindet, was wird sehr wahrscheinlich mit ihm geschehen? Wie leicht kann es dabei zu Grunde gehen; es ist zu schwach das Ruder zu führen, und versteht es überhaupt nicht; vielleicht ist es erst auch noch übermütig und läßt sich den Tanz in den Wellen gefallen. Um so sicherer und schneller kommt sein Untergang. Und so ist die Seele im Kindesleibe mitten in einer Welt, die voll ist von allerlei Schlechtigkeiten. Es ist unerfahren, schwach, unbesonnen und unklug, mitunter auch noch übermütig. Wie gar leicht kann es da in Sünden hinein geraten! Wo aber kann es dagegen Halt und Kraft gewinnen? Ich sage: einzig nur in Gott. Gibt das jugendliche Herz sich Gott in Liebe hin, so wird Gott ihm zum festen, großen, unzerstörbaren Schiff und bewahrt es vor dem Untergang. Und wie das Kind mit jedem Tag im Gespräch mit anderen Leuten die Sprache besser sich angewöhnt, und dieselbe nicht leicht mehr vergißt, so erstarkt es auch mit jedem Tage im Guten, wenn es sich Gott hingegeben, und läßt später so leicht nicht vom Wege des Rechten. Wo aber das Gegenteil der Fall ist, und schon die junge Seele sich dem Schlechten hingibt, so ist für sie eine Besserung in späterer Zeit doppelt schwer. Je länger man nämlich in Sünden gelebt hat, desto mehr gewöhnt sich die Seele daran, desto heftiger wird die Neigung dazu, desto härter ist der Kampf dagegen, und desto mehr wird das Gewissen abgestumpft.
Es kommt also sehr viel, ja fast alles darauf an, daß schon die junge Seele sich Gott darstelle, hingebe und aufopfere nicht etwa bloß mit süßen Empfindungen…, sondern geradezu in Liebe aus ganzem Herzen und mit allen Kräften. „Das aber ist Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten“, sagt der Apostel. Nur der Ernst und die Treue, womit man sucht den Willen Gottes zu erfahren, zu tun und zu ertragen, ist das zuverläßigste Merkmal wahrer Liebe, echter Aufopferung seines Herzens an Gott. –
aus: Franz Ser. Hattler SJ, Christkatholisches Hausbrod für Jedermann, der gut leben und fröhlich sterben will., II. Band, VI. Teil, 1892, S. 50 – S. 51