Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Tanz
Tanz. Nicht das religiöse Erleben als solches, sondern das Bedürfnis, seelische Spannungen jeder Art durch rhythmische Körperbewegung in die Sinnenwelt zu übersetzen, regte zum Tanz, mithin zur Entfaltung der dem Menschen nächstliegenden Kunst, an. Nur soweit der Tanz ausgesprochen religiösen Seelen-Schwingungen entspringt, kann er selbst religiösen Sinn annehmen. So finden sich bei primitiven Völkern, in deren Brauchtum der Tanz einen sehr wichtigen Faktor darstellt, auch Kulttänze zur Ehre guter und zur Abwehr böser Geister. Unter den antiken Kulturvölkern pflegten besonders die Griechen den Tanz nicht nur im Interesse der Geselligkeit, der körperlichen Ertüchtigung und des Dramas, sondern auch des Gottesdienstes. Der Dionysoskult und das Mysterienwesen brachten orgiastische Tänze (bis zur Ausschweifung und Raserei) mit sich. Der Gedanke, der Tanz führe eine Einswerdung des Menschen mit dem Gott herbei, tritt besonders in den ägyptischen und syrisch-kleinasiatischen Kulten mit ihren bis zur Ekstase gesteigerten Tänzen auf. Der Tanz war ein wesentliches Element der Mysterien und besaß, auch wegen der Aktivierung der Gläubigen im Kult, starke Anziehungskraft. Auch die altrömische Religion ließ Tänze zu (Priesterkollegium der salii mit dem „praesul“), so wenig es die gute Sitte dem Römer gestattete, im bürgerlichen Leben zu tanzen (Cicero, Pro Mur. 6).
Das Alte Testament bezeugt sakrale Tänze zu Gottes Lob (Ex. 15, 20; 2. Sm. 6, 14; Ps. 149, 3; 150, 4), aber auch götzendienerische (Ex. 32, 19; 1. Kg. 18, 26; Baalspriester) und profane Tänze (Richt. 11, 34; 21, 21; Hl. 7, 1); es warnt im Hinblick auf die letzteren vor Übermaß und Ausschreitung (Is. 3, 16; Eccli. 9, 4). Auch das außerbiblische Judentum zog den Tanz zu Kultzwecken heran (Fackeltanz der Männer zum Laubhüttenfest im Tempelvorhof (Mischna, Sukk. 5, 4); Nachtfeier der Therapeuten (Philo, Vita contempl. 83/89)).
Daß Tänze in ältesten christlichen Gottesdiensten verwendet wurden, läßt sich aus bildlichen Anspielungen bei Hermas (Sim. 9, 11) und Klemens von Alexandrien (Protr. XII 120, 1) kaum nachweisen. Jedenfalls bildete der Tanz keinen Wesensbestandteil der altkirchlichen Liturgie. In gnostischen Kreisen (vgl. die apokryphen Johannesakten c. 94), bei Manichäern, Mandäern, Meletianern, Messalanern, Priszillianern, erfreuten sich Kulttänze freilich hoher Wertschätzung, wobei man sich gelegentlich auf die mystische Vereinigung des Tanzenden mit Gott berief (vgl. auch die suggestiven Tänze der Derwische, Schiiten, Methodisten, Quäker, Chlysten, Skopzen). Hingegen hat die eschatologische Vorstellung von einem Reigen der Seligen im Himmel Eingang ins alte, jedoch nicht ins älteste Christentum gefunden (die Apk. kennt keine himmlischen Tänze). Nach dem Aufhören der Christenverfolgungen mehren sich die Anhaltspunkte für religiöse Tänze in christlichen Gemeinden; es handelte sich dabei meist um ehedem heidnische Veranstaltungen, denen das Volk eine christliche Deutung geben wollte. Manche Kirchenväter waren ihrer Zulassung nicht abgeneigt, aber Augustinus tadelte Kirchentänze an Märtyrer-Gräbern und -Festen scharf und lehnte auch chorische Aufzüge vor den Gotteshäusern ab. Dem entsprach die Stellungnahme der afrikanischen Kirche (Cod. Ca, eccl. Afric., can. 60; Mansi III 767). Auch spätere Synoden, so das 3. Konzil von Toledo 589, wandten sich gegen Tänze an Heiligenfesten, ähnlich die merowingische Gesetzgebung und die durch Bonifatius eingeleitete Kirchenreform.
Im Mittelalter wuchs sich die Tanzfreudigkeit, ja Tanzwut fast zu einer „psychischen Epidemie“ (Diepgen) aus; sie steigerte u. a den Veitstanz (Vitus), verstärkte die Anrufung von Krampf- und Epilepsie-Patronen durch (Heil-)Tänze, machte die religiöse Schwärmerei der Dansatores (Chorizanten) möglich und öffnete durch die geistlichen Schauspiele dem Tanz selbst wieder das Gotteshaus. Mehrere Synoden, auch Deutschlands, hatten über Entweihung von Kirchen durch Tanzaufführungen zu klagen. Im Mexiko und Paraguay der ersten spanischen Zeit baute eine weitgehende Akkomodation den Tanz in Kultus und Frömmigkeit ein. Als Überreste sakraler Tanzfreudigkeit sind anzusprechen die Springprozessionen von Echternach und Prüm und die 1926 kirchlich verbotenen spanischen Fronleichnams-Tänze (besonders in der Kathedrale von Sevilla; früher auch in Mexiko häufig); vgl. auch die Tänze der koptischen Priester Abessiniens an Kirchenfesten.
Sittlich ist der Tanz als indifferent zu bewerten (vgl. Matth. 11, 17: Tanz als Kinderspiel); er kann jedoch durch böse Absicht oder durch die Umstände sündhaft werden (vgl. Mk. 6, 22; Tanz der Salome). Härtere Urteile bei Kirchenvätern, z. B. Chrysostomus, sind aus ihrer Zeit zu verstehen. Die Kirche verbietet Tanz-Belustigungen in der sogenannten Geschlossenen Zeit und lehnt die mondänen Tänze, die nur die Sinnlichkeit erregen wollen, zudem meist exotischer Herkunft sind, entschieden ab (Österreich. Bischofskonferenz Nov. 1926). Kleriker ist die Teilnahme an Tanz-Veranstaltungen (besonders Balletts) als unschicklich untersagt (CIC can. 140; Acta ApSed 1918, 17). –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IX, 1937, Sp. 990 – Sp. 991