Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Vigilantius
Vigilantius, Häretiker zu Anfang des 5. Jahrhunderts, war zu Calagurris (jetzt Casères) im südlichen Gallien als der Sohn eines Wirtes geboren und wurde in seiner Jugend zur Führung desselben Geschäftes, das der Vater hatte, angehalten. Bald verlegte er sich aber auf das Studium der Wissenschaften, war Schüler von Sulpitius Severus und wurde als solcher von diesem mit einer Botschaft an den hl. Paulinus von Nola geschickt. Die Priesterweihe erhielt Vigilantius um das Jahr 395. In Palästina, wohin er eine Reise unternahm und einen Brief des hl. Paulin an den hl. Hieronymus überbrachte, mischte er sich in den Origenistenstreit, indem er in mißverstandenem Eifer für die Religion den hl. Hieronymus des Origenismus beschuldigte. Hieronymus wollte sich rechtfertigen. Vigilantius aber verließ schleunig Palästina und agitierte auf dem Rückweg und besonders nach seiner Ankunft in Gallien, indem er nicht bloß mündlich, sondern auch schriftlich den hl. Hieronymus und dessen Freunde origenistischen Ansichten anklagte. Nun verfaßte Hieronymus zur Rettung seines Namens und der guten Sache die Epistola ad Vigilantium, in welcher er seine Ansichten über Origenes auf`s Klarste ausspricht, das Treiben des Vigilantius aus Beschränktheit und Hochmut erklärt und ihm selbst den Vorwurf macht, entweder aus Schwäche gegen seine bessere Überzeugung oder als bewußter Häretiker origenistischen Ansichten zugestimmt zu haben. Das ganze Auftreten des Vigilantius war bis dahin einem wenn auch mißverstandenen Eifer für die Religion entsprungen; da er aber bei nur geringer theologischer Bildung in seiner unverständigen Polemik einigen Beifall erntete, kam er zum Fall, wollte Missbräuche in der Kirche entdecken, suchte als Reformator zu glänzen und verfiel der Irrlehre. Zum Hochmut gesellte sich Sinnlichkeit bei ihm, zur Irrlehre sittliche Verderbtheit. Zu Calagurris hatte er eine Schenke, liebte übermäßig das Geld, philosophierte bei Kuchen und Weinbechern, wie Hieronymus sagt, verachtete die Mäßigkeit, scheint selbst die Enthaltsamkeit nicht mehr beobachtet zu haben und wurde so ein Nachfolger Jovinians, des christlichen Epikur. Seine Irrtümer gingen nicht, wie bei eigentlichen Häresiarchen, aus einem Hauptgedanken hervor, sondern waren durch einzelne vermeintliche Missbräuche veranlaßt.
Der Hauptpunkt betraf die Verehrung der heiligen Reliquien. Er fand es besonders anstößig, daß man die heiligen Gebeine in kostbare Tücher hüllte, küßte, unter großer Beteiligung des Volkes von einem Ort zum andern übertrug, an den Gräbern der Märtyrer viele Lichter brennen ließ und häufig Vigilien feierte; das sei Götzendienst; man solle den Reliquien überhaupt gar keine Verehrung erweisen und nicht einmal die Basiliken der Märtyrer besuchen. Da man für die Erlaubtheit des Reliquienkultes sich auf die Wunder berief, welche bei den heiligen Gebeinen zu geschehen pflegten, behauptete Vigilantius, „die Wunder nutzten nur den Ungläubigen, nicht aber den Gläubigen“. Damit wollte er dieselben einerseits, falls sie wirklich geschehen sollten, aller Beweiskraft berauben, sie andererseits aber (und dies war ihm wohl das Wesentliche) in Abrede stellen und für Betrug erklären.
Wie er die Reliquien-Verehrung verwarf, so erklärte er auch die Fürbitte der Heiligen für unmöglich und ihre Anrufung für vergeblich, indem er sich sowohl auf mißverstandene Stellen der heiligen Schrift und des apokryphischen vierten Buches Esdra`s , als auf die Unmöglichkeit einer Gegenwart der Heiligen an ihren Gräbern, welche er für erforderlich hielt, zu stützen suchte. Dabei schloß Vigilantius sich derjenigen Richtung unter den Vätern an, welche die visio beatifica bis zum jüngsten Gericht verschoben und die abgeschiedenen Seelen der Gerechten inzwischen an einem andern Ort, getrennt von Gott, verweilen ließen. Ein besonderes Gewicht legte Vigilantius auf die Osterfeier, indem er bei seiner Abneigung gegen Vigilien doch die der Osternacht beibehalten und nur an Ostern Alleluja singen wollte. –
Mit den angeführten Ansichten verbanden sich noch einige andere, welche das aszetische Leben zum Gegenstand hatten. Vigilantius erklärte die Lehre von der Vortrefflichkeit der Keuschheit für Häresie, den Stand der Virginität für die Quelle von Ausschweifung; er verlangte Fortsetzung der von den höheren Klerikern vor der Ordination geschlossenen Ehen. Ferner tadelte er die freiwillige Armut und das klösterliche Leben, mißbilligte, daß man den Mönchen Almosen sende, und verhöhnte das Fasten. Vigilantius versuchte auch, wie Hieronymus nebenbei bemerkt, sein exegetisches Talent, indem er als sehr ungeschickter Interpret den Berg, von welchem sich nach Daniel ein Stein ohne Hände abgelöst hat, vom Teufel erklärte.
Da der Häretiker in Privatkreisen und kirchlichen Versammlungen seine Irrlehren mündlich und schriftlich kühn verbreitete, einigen Anhang fand und von seinem Bischof nicht zur Rechenschaft gezogen wurde, so ersuchte der Presbyter Riparius, dessen Kirche in der Nachbarschaft lag, den hl. Hieronymus um Widerlegung von Vigilantius` Behauptungen. Hieronymus antwortete im Jahre 404 mit einem kurzen Schreiben (Epistola ad Riparium), welches besonders die Verehrung der Reliquien und die Feier der Vigilien durch die triftigsten Worte und Beispiele der heiligen Schrift begründet und in Schutz nimmt. Eine tiefer eingehende Antwort versprach er, um nicht gegen Ungewisses zu kämpfen, nach Übersendung von Vigilantius` Schriften zu liefern. Riparius in Verbindung mit Desiderius schickten deshalb die verlangten Bücher und baten von Neuem um Widerlegung. Der heilige Kirchenlehrer verfaßte nun 406 die Schrift Contra Vigilantium, welche er, um den boten nicht aufzuhalten, in einer kurzen Nachtwache ausgearbeitet hatte. In seiner Polemik verrät Hieronymus allerdings bisweilen neben einer etwas grellen Darstellung durchweg eine große Bitterkeit, mit welcher er seinen Gegner, den er oft Dormitentius, nennt, zurecht weist. Dabei ist indessen zu bedenken, daß Vigilantius` ganzes Auftreten aus Hochmut, Beschränktheit und Sinnlichkeit hervor ging und daher anstatt mit Gründen vielmehr mit einer gewissen Indignation zurück gewiesen zu werden verdiente. –
Was das Schicksal des Häretikers und seiner Lehren betrifft, so fand er zunächst einigen Anklang; größeren und dauernden Anhang scheint er aber nicht gefunden zu haben, weil seine Neuerungen mit dem Geist der damaligen Zeit in größtem Widerspruch standen, und weil auch die Stürme der Völkerwanderung seine Anhänger bald zerstreuten und seine Lehre vertilgten. Nur das kann mit Sicherheit behauptet werden, daß seine häretischen Lehren nach kurzer zeit auf Jahrhunderte spurlos verschwanden. Daß er übrigens, wie die Verfasser der Hist. Littér. De la France II, 5 meinen, seine Irrlehren aufrichtig widerrufen und sich nach Barcelona begeben habe, woselbst er mit der Sorge für eine Kirche betraut worden sei, ist durchaus zweifelhaft. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 12, 1901, Sp. 953 – Sp. 956