Die messianischen Psalmen – Psalm 2 und Psalm 15
Unter den messianischen Psalmen sind die nachstehenden die vorzüglichsten, weil sie im NT und durch die allgemeine Auslegung der Kirchenväter als messianisch verbürgt sind:
Der Psalm 2
Der 2. Psalm, in welchem die Auflehnung der heidnischen oder heidnisch gesinnten Könige und Völker gegen den Messias und seine Kirche geschildert und als eitel dargestellt wird.
Daß dieser Psalm messianisch sei, lehrt nicht bloß das NT (1) und die Überlieferung der Kirche wie auch der Juden, sondern auch der Wortlaut des Psalms selbst, besonders Vers 7, der Zeugung aus Gott, und Vers 8, der die Herrschaft über den ganzen Erdkreis aussagt.
Warum toben die Heiden, und sinnen Eitles die Völker?
Es stehen auf die Könige der Erde, zusammen treten die Fürsten,
wider den Herrn und wider seinen Gesalbten (2):
„Zerreißen lasst uns ihre Fesseln, abwerfen von uns ihr Joch!“ (3)
Doch der im Himmel thront, verlacht sie, und der Herr spottet ihrer.
Dann redet er sie an in seinem Zorn,
und in seinem Grimme verwirrt er sie.
„Ich aber (4) bin als König eingesetzt von ihm auf Sion,
seinem heil`gen Berg; verkünde sein Gesetz (5):
Der Herr sprach zu mir: Mein Sohn bist du,
ich habe heute dich gezeugt. (6)
Ford`re von mir, und ich gebe dir die Heiden zum Erbe
und zum Besitz der Erde Grenzen.
Du magst sie beherrschen mit eisernem Zepter
und sie wie Tongeschirr zerschlagen.“
Und nun (7), ihr Könige, seid weise:
lasst euch belehren, die ihr Richter seid auf Erden!
Dienet dem Herrn in Furcht und jauchzt ihm zu mit Zittern!
Nehmt an die Unterweisung, auf der Herr nicht zürne,
und daß ihr nicht zu Grunde geht (fernab) vom rechten Weg,
wenn plötzlich sein Zorn entbrennt (8);
selig alle, die auf ihn vertrauen!
(1) Apg. 4, 25ff; 13. 33; Hebr. 1, 5; 5, 5.
(2) Hier wird der künftige Erlöser maschiach Jahve = Christus Domini, der Gesalbte des Herrn mit Vorzug genannt… Nur noch einmal, Dn. 9, 26 (Vulg.) wird der Ausdruck im AT im gleichen Sinne gebraucht. Als Eigenname („der Gesalbte“, ohne Zusatz = Messias) erscheint er erst in den Apokryphen, namentlich im Buch Henoch, 4 Esdras und in den Psalmen Salomons, und zwar in Verbindung mit dem Ausdruck „Sohn Gottes“ (wie in Ps. 2), der auf himmlischen Ursprung (Präexistenz) des Gesalbten hinweist.
(3) So lautet ihr aufrührerisches Losungswort.
(4) Bisher hat der Psalmist den allgemeinen Aufruhr geschildert; nun läßt er den Messias selbst reden.
(5) Seinen ewigen Ratschluss bezüglich meiner.
(6) Wer an die Möglichkeit der Offenbarung bzw. Prophetie glaubt, kann keinen Anstoß daran nehmen, daß in diesem Ausdruck das Geheimnis der persönlichen Gottessohnschaft ausgesprochen ist. Der Ausdruck „mein Sohn bist du“ = „ich habe dich gezeugt“, ist unmittelbar der Verheißung an David entlehnt und findet in dieser seine nächste (atl.) Erklärung. 1. Chr. 22, 10; 28, 6 wird diese Verheißung ausdrücklich auf Salomon bezogen, womit nahe gelegt ist, daß der rechtmäßige König aus dem Hause Davids als solcher „Sohn Gottes“ = „Erstgeborener, Höchster unter den Königen der Erde“(Ps. 88, 28) ist. Es handelt sich nicht bloß um einen Ausdruck der väterlichen Liebe und Fürsorge Gottes, sondern um eine Art Adoptionsformel, die das natürliche Sohnesverhältnis voraussetzt: Der Erwählte wird durch die Berufung zum Königtum, durch die Einsetzung auf Sion in das Verhältnis des Sohnes zu Gott als seinem Vater gesetzt; daher das „heute“.
Auch dem auserwählten Volk Gottes wird der Ehrentitel eines Sohnes Gottes beigelegt (Ex. 4, 22; Dt. 14, 1 u. 2; 32, 6; Os. 11, 1; 1, 10; vgl. Is. 1, 2: Söhne habe ich aufgezogen, und Ir 31, 9; Mal. 1, 6), wobei der Nachdruck auf der Liebe und Auserwählung liegt, der Israel seine Existenz und Würde als Volk Gottes verdankt. Dabei ist von Israel derselbe Ausdruck gebraucht wie hier vom König auf Sion: der Erstgeborne = Bevorzugte (Dt. 26, 19; 28, 1). Das AT hat somit den Ausdruck, die Form geprägt, in welche die ntl. Offenbarung den kostbaren Inhalt des Geheimnisses der wesensgleichen Gottessohnschaft gegossen hat. Was im AT vorbildlich gegeben war und nur unvollkommen verstanden werden konnte, ist in Christus in voller Wirklichkeit in die Erscheinung getreten und dem gläubigen Verständnis erschlossen worden. Wir haben hier den gleichen Fall, wie in andern Weissagungen, die das Neue unter atl. Hülle (Form) verkünden. Das NT beruft sich auf unsere Stelle Apg. 13, 33; Hebr. 1, 5; 5, 5 und begründet damit deren dogmatische Beweiskraft, die von der Überlieferung festgehalten worden ist (Ecker, Porta Sion 1087 1311ff). Doch gehen die Erklärer in der Bestimmung des „heute“ im Leben Christi auseinander, indem die einen an die ewige Zeugung, andere an die Menschwerdung oder an die Taufe oder an die Auferstehung denken. –
Neueren zulieb muss noch auf die religions-geschichtlichen Parallelen hingewiesen werden. Die Tatsache nämlich, daß die ägyptischen und assyrischen Könige sich als „Göttersöhne“ und Lieblinge der Götter betrachteten und verehren ließen, beweist nur eine Ähnlichkeit im Ausdruck und in der allgemeinen Idee, daß die Würde und Gewalt des Königtums von oben stammt; möglicher Weise beruht diese Idee auf alter, gemeinsamer Überlieferung. In der altorientalischen Weltanschauung ist (nach O. Weber, Die Literatur der Babylonier und Assyrier, Leipzig 1907, 40) „die irdische Gewalt nur ein Ausfluss der göttlichen Weltregierung, der irdische König darum nur die Inkarnation des göttlichen Weltenherrn, oder er hat doch von ihm zum mindesten seine Berufung, ist sein Stellvertreter.“ Auch die persische Religion, insbesondere die später in die römische Welt eingedrungene Mithrasdoktrin kennt diese Lehre und leistet der Vergötterung der römischen Kaiser Vorschub: die Majestät des Monarchen stammt nur von Ahuramazda, sie ist eine Emanation der Gottheit; man stellt sie sich vor als eine Art übernatürlichen Feuers, als eine leuchtende Aureole; (…). Sie verleiht demjenigen, der sie empfangen, immerwährendes Glück, Ruhm und Sieg; durch sie wird der Monarch über die übrigen Sterblichen erhoben und soll von den Untertanen als ein Genosse der Unsterblichen verehrt werden. Die römischen Kaiser ließen sich dominus et deus natus nennen. –
Als biblische Parallele ist noch Weish. 2, 12-20 zu vergleichen, wo „der Gerechte“ als Sohn Gottes bezeichnet wird. Die Adoptionsformel des babylonischen Rechtes, auf die Delitzsch (Babel und Bibel III, 13) Bezug nimmt, ist einfach vom natürlichen Kindesverhältnis hergenommen und deshalb auch im Ausdruck ähnlich, beweist also nichts gegen die messianische Deutung.
(7) Das Folgende sind wieder, wie am Anfang, Worte Davids.
(8) Im messianischen Strafgericht, das die ewige Scheidung bringt und das durch stete Strafgerichte über die Feinde Gottes vorgebildet ist. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 732 – S. 734
Der Psalm 15
Der Psalm 15 ist ein Gebet des vollkommenen Gerechten, der seine unbedingte Hingabe an Gott beteuert und seiner Hoffnung auf die Auferstehung vom Tod Ausdruck gibt.
Daß dieser Psalm wesentlich messianisch ist, ergibt sich schon aus vielen Ausdrücken desselben, die nicht auf David, wohl aber auf Christus Bezug haben, besonders in den letzten Versen, nach der ausdrücklichen Lehre der beiden Apostelfürsten (1) und der einstimmigen Erklärung der heiligen Väter und Lehrer der Kirche. Daß auch die Juden zur Zeit der Apostel den Psalm auf den Messias bezogen, ergibt sich aus der apostolischen Beweisführung (2). Einige Ausdrücke in der ersten Hälfte des Psalms, die man gegen die messianische Beziehung geltend macht (3), betreffen die heilige Menschheit Christi und sind denen des hohenpriesterlichen Gebetes Jesu (4) und andern im Alten und Neuen Testament (5) ähnlich. Besonders wichtig sind die letzten Verse dieses Psalmes (8-12):
Ich habe allzeit den Herrn vor Augen;
er ist mir ja zur Rechten, daß ich nicht wanke.
Drob freut sich mein Herz und frohlockt meine Zunge,
auch mein Fleisch, es wird in Hoffnung ruhn.
Denn nimmer wirst du meine Seele lassen in der Hölle (6),
noch deinen Heil`gen die Verwesung schauen lassen.
Du machst mir bekannt die Wege des Lebens (7),
erfüllst mich mit Frohlocken durch deinen Anblick;
Wonnen sind zu deiner Rechten immerdar (8).
(1) Apg. 2, 25ff; 13, 35.
(2) Sie setzt diese Auffassung bei den Juden unbedingt voraus und hätte ohne dieses keinen Sinn.
(3) Z. B.: Ich hoffe auf dich, mein Gott bist du, meiner Güter bedarfst du nicht, er hat mir Einsicht verliehen usw.
(4) Joh 17, 1-5.
(5) Vgl. Ps. 21, 1 u. 7; Is. 53, 6; Mt. 4, 1ff; 27, 46; Lk. 22, 41; Gal. 3, 13 usw.
(6) D. h. im Totenreich (Scheol), in der Vorhölle, d. h. an dem Ort, wo die Seelen der Gerechten auf den Erlöser harrten, und wo er selbst ihnen ihre Erlösung verkündete. (1. Petr. 3, 18f.) Im gleichen Sinn beten wir: Abgestiegen zu der Hölle.“
(7) Durch die Auferstehung.
(8) Ergreifend ist die Anwendung dieses Psalmes bei der Aufnahme in den geistlichen Stand, der die Aufgabe hat, die Sendung Christi gewissermaßen fortzusetzen. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 734
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