Die mächtige Wirkung der Gnade Gottes

Die sieben Worte Jesu Christi am Kreuz – Heute wirst du mit mir im Paradiese sein

Erklärung des zweiten Wortes: „Wahrlich sage ich dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Christus am Kreuz Vater verzeihe ihnen: Sieben Worte Christi am Kreuz, Illustration, Niederlande, 17. Jahrhundert

VI. Hauptstück – Zweite Lehre aus dem zweiten Wort – Die Mächtige Wirkung der Gnade Gottes

Die zweite Nutzanwendung aus diesem zweiten Wort gibt die nähere Betrachtung der mächtigen Wirkung der Gnade Gottes und die der Schwäche des menschlichen Willens. Aus dieser Betrachtung können wir lernen, dass es am besten sei, am meisten auf die Hilfe Gottes zu vertrauen, und dagegen auf seine eigene Kraft Misstrauen zu setzen. Willst du die Macht der göttlichen Gnade erkennen, so sehe auf den gebesserten Missetäter.

Dieser war ein ausgezeichneter Sünder und hatte in diesem schrecklichen Zustand bis zur Todesstrafe am Kreuz verharrt, also wenige Augenblicke bis vor seinem Tod; und es stand ihm in dieser so großen Gefahr der ewigen Verdammnis niemand zur Seite, der ihn durch Rat oder Hilfeleistung unterstützte; denn obgleich er ganz nahe bei dem Erlöser war, so hörte er doch die Priester und Pharisäer ihn einen Verführer und Ehrgeizigen nennen, der nach fremder Herrschaft strebte; er hörte seinen Gefährten, den Missetäter, wie er Christus gleiche Vorwürfe machte. Niemand sprach für Christus ein Wort; und nicht einmal Christus selbst widerlegte jene Gotteslästerungen und Beschimpfungen.

Die göttliche Gnade berührte den Missetäter auf der rechte Seite

Und dennoch berührte ihn die göttliche Gnade, da er ohne alle Rettung verloren schien, der Hölle sehr nahe und vom ewigen Leben ganz weit entfernt war; er wurde augenblicklich erleuchtet und zum Besseren bekehrt, er bekennt, dass Christus unschuldig und der König des künftigen Reiches sei; und indem er gleichsam zu einem Prediger wurde, weist er seinen Kameraden zurecht und ermahnt ihn zur Reue, und empfiehlt sich in Gegenwart aller Christus mit frommem Sinn und mit Demut.

Endlich betrug er sich so, dass die Qualen, welche er noch am Kreuz auszustehen hatte, ihm als Reinigungsstrafe angerechnet wurden und er sogleich nach dem Tode in die Freude seines Herrn einging. Daraus lernen wir, dass niemand an seiner Rettung verzweifeln dürfe, da jener, der ungefähr um die zwölfte Stunde in den Weinberg des Herrn gekommen war, denselben Lohn erhielt, wie jene, die um die erste Stunde gekommen waren.

Der zweite Missetäter hingegen wurde jedoch, damit sich die menschliche Schwachheit zeigte, durch die so ausgezeichnete Liebe Christi, der so liebevoll für seine Peiniger bat, nicht gebessert, weder durch seine eigene Strafe, noch durch das Zureden und das Beispiel seines Gefährten, nicht durch die ungewöhnliche Finsternis und das Spalten der Felsen (siehe den Beitrag: Die Sonnenfinsternis bei der Kreuzigung Jesu); noch durch das Beispiel jener, die nach erfolgtem Tod Christi zurückkehrten, indem sie an ihre Brust schlugen. Dieses alles trug sich nach der Bekehrung des gebesserten Missetäters zu, damit wir erkennen, der eine Missetäter habe ohne diese Hilfsmittel bekehrt werden können; der andere hingegen habe es mit all denselben nicht gekonnt, oder vielmehr nicht gewollt.

Warum hat Gott nur dem einen Missetäter die Gnade verliehen?

Allein warum, fragt vielleicht jemand, hat Gott dem einen die Gnade der Bekehrung verliehen, dem andern aber nicht? Darauf erwidere ich, dass die hinreichende Gnade keinem gemangelt habe; und wenn der eine zu Grunde ging, so ging er durch eigene Schuld zu Grunde; wenn der andere sich bekehrte, so wurde er durch die Gnade Gottes nicht ohne Mitwirkung des freien Willens bekehrt.

Allein warum, fragt man vielleicht, gab Gott nicht beiden jene wirksame Gnade, die von keinem harten Herzen zurückgewiesen wird? Dieses gehört unter die Geheimnisse Gottes, welche anzustaunen, nicht aber zu ergrübeln für uns sich geziemt, da uns jenes genügen soll, dass nach den Worten des Apostels in Gott keine Ungerechtigkeit sei, und dass die Urteile Gottes wohl geheimnisvoll, aber nicht ungerecht sein können, wie der heil. Kirchenlehrer Augustin sagt.

Siehe auch den Beitrag: Gott ist frei in der Austeilung der Gnade

Nur selten fand eine Bekehrung am Ende des Lebens statt

Dies geht uns mehr an, dass wir aus diesen Beispielen lernen, die Bekehrung nicht bis an das Ende des Lebens zu verschieben. Denn obgleich es dem einen glückte, in der letzten Stunde der Gnade Gottes teilhaft zu werden, so fand doch der andere nur sein Gericht. Und wenn jemand entweder die Geschichte liest oder die täglichen Vorfälle beobachtet, so wird er wahrlich finden, dass die, welche glücklich aus dieser Welt gingen, nachdem sie während ihrer ganzen Lebenszeit nur ein liederliches Leben geführt hatten, nur sehr selten gewesen seien, und dass es dagegen sehr viele gegeben habe, die nach einem leichtsinnigen Leben zur ewigen Strafe verdammt wurden.

Siehe dazu auch den Beitrag: Die Bekehrung soll man nicht aufschieben

Auf gleiche Weise zählt man nur wenige, die nach einem guten und heiligen Leben dennoch ein unseliges und klägliches Ende nahmen; und dagegen sehr viele, die nach einem heiligen und frommen Wandel zur ewigen Freude gelangten. Überhaupt sind jene allzu keck und verwegen, die in einer so wichtigen Sache, wenn es sich um das ewige Leben oder um die ewigen Strafen handelt, auch nur einen Tag in einer Todsünde zu verbleiben wagen, da wir alle Augenblicke aus diesem Leben abgehen können, und nach dem Tod keine Reue und aus der Hölle keine Erlösung mehr stattfindet. –
aus: Robert Bellarmin SJ, Die Sieben Worte Jesu Christi am Kreuz, 1838, S. 34 – S. 36

siehe auch den Beitrag: Die Bekehrung des guten Schächers am Kreuz

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