Das Ostermahl
Durchführung des Ostermahls im Abendmahlssaal
Am folgenden Tage (1), dem ersten der ungesäuerten Brote (2), an dem man das Osterlamm schlachten musste (3), traten die Jünger zu Jesus und fragten ihn: „Wo willst du, daß wir hingehen und dir das Osterlamm bereiten?“ Da sandte er zwei seiner Jünger, den Petrus und Johannes, und sprach: „Geht in die Stadt; sowie ihr hinein kommt, wird euch einMensch begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Diesem folgt in das Haus, in das er hinein geht, und sagt dem Herrn des Hauses: Der Meister läßt dir sagen: Meine Zeit ist nahe (4). Bei dir halt ich Ostern mit meinen Jüngern; wo ist der Ort, an dem ich das Osterlamm mit meinen Jüngern essen kann? Und er wird euch einen großen, mit Polstern belegten Speisesaal zeigen; daselbst richtet für uns zu.“ Sie gingen hin und fanden es so, wie Jesus ihnen gesagt hatte (5), und bereiteten das Osterlamm (6).
Vor dem Festtag der Ostern (7) also, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen sei, um aus dieser Welt zum Vater zu gehen, und er die Seinigen, die in dieser Welt waren, liebte, so liebte er sie bis ans Ende (8).
Als es Abend geworden, kam Jesus mit den Zwölfen, und da die Stunde gekommen war, setzte er sich mit ihnen zu Tisch und sprach zu ihnen: „Sehnlichst habe ich verlangt, dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide. Denn ich sage euch, ich werde es von an an nicht mehr essen, bis es seine Erfüllung erhält im Reich Gottes.“ (9)
Und er nahm einen Kelch (10), dankte und sprach: „Nehmet ihn und teilt ihn unter euch; denn ich sage euch, daß ich nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken werde, bis das Reich Gottes kommt, bis zu jenem Tage, da ich es erneut mit euch trinke im Reich Gottes.“
(1) Am Donnerstag, den 14. Nisan (6. April)
(2) Dies war eigentlich der 15. Nisan. Da aber schon zum Osterlamm Ungesäuertes gegessen werden musste, so hatte sich die Gewohnheit gebildet, daß bereits am 13. abends das Haus feierlich mit Lichtern durchsucht wurde, um alles Gesäuerte zusammen zu bringen. Man aß davon noch bis gegen 10 oder 11 Uhr des 14. und fastete sodann bis zum Essen des Osterlammes. Die ungesäuerten Brote wurden frühestens am Morgen des 14. zu backen angefangen. Daher kommt es, daß Josephus (Jüdisches Altertum 3, 10,5; 2,15,1) bald von sieben bald von acht Tagen der ungesäuerten Brote bezeichnet werden konnte (vgl. Ex. 12,18); nimmer mehr aber konnte auch schon der 13. Nisan so genannt werden.
(3) Es war noch am Morgen, da immerhin mancherlei vorzubereiten und das Lamm schon am Nachmittag in den Tempel zu bringen war, um dort geschlachtet zu werden.
(4) Die Zeit meines Leidens und Sterbens. Die Worte lassen auf einen der vertrautesten, auch den Aposteln bekannten Jünger Jesu schließen, wie auch das folgende: „Bei dir halte ich Ostern etc.“, so viel als: dir gebe ich vor vielen, die mich gerne aufnähmen, den Vorzug. Manche denken an Nikodemus. Der Heiland nannte ihn nicht mit Namen, sondern ordnete mit seiner göttlichen Allwissenheit die Sache so, daß die zwei Jünger das Haus fanden, Judas aber nicht vorzeitig von dem Ort des Mahles Kenntnis erhielt.
(5) Andeutung der Absicht Jesu, bei dieser Gelegenheit einen Beweis seiner göttlichen Allwissenheit zu geben. Beachten wir, welch schwere Glaubens-Prüfung für die Apostel die Erniedrigung Christi in seinem Leiden war, und wie groß das Ärgernis des Verrats durch Judas, so begreifen wir leicht, warum Jesus gerade in diesen letzten Tagen seinen Jüngern so auffallende Beweise seiner göttlichen Allmacht und Allwissenheit geben wollte.
(6) Auf die bildliche Bedeutung dieser Zurüstung weist gar schön die „Nachfolge Christi“ hin, indem sie den Herrn zur christlichen Seele vor der heiligen Kommunion sprechen läßt: „Wenn du willst, daß ich bei dir einkehre und bei dir bleibe, so fege den alten Sauerteig aus und reinige die Wohnung deines Herzens. Bereite mir zugleich einen geräumigen und geschmückten Speisesaal, und ich werde Ostern bei dir halten mit meinen Jüngern.“ (4. Buch, 12. Kap., Nr. 1)
(7) Also am 14. Nisan; denn der gesetzliche Festtag selbst war der 15. Nisan.
(8) Eine würdige Einleitung für die großen Geheimnisse der Liebe des Sohnes Gottes, die nun innerhalb weniger Stunden sich vollziehen sollten. Er liebte die Seinigen bis ans Ende seines Lebens auf Erden, bis zum letzten Atemzug, und bis ans Ende der Liebe, d. h. so, daß er sie nicht mehr und nicht vollkommener lieben konnte; denn er gab ihnen jetzt gerade die wunderbarsten Beweise seiner Liebe, indem er, der Sohn Gottes, sich zum Diener seiner Geschöpfe machte in der Fußwaschung, sich auf das innigste mit ihnen vereinigte im heiligsten Sakrament seines Leibes und Blutes (vgl. Joh. 6,37), in seinen letzten Reden sie seiner unwandelbaren Liebe versicherte und sein Leben für sie dahin gab als Lösegeld für ihre Sünden und zur Erlösung der ganzen Welt. (Joh. 15,13; vgl. 19,34; 1. Joh. 2,2; 4,10). Die Seinigen sind seine Apostel und nach ihnen alle Gläubigen. (Joh. 17,20; vgl. Mt. 26,28; Mk. 14,24; Lk. 22,20)
(9) Lk. 22,15f. Es geschieht nun zum letzten Mal im Vorbild und erhält sofort seine Erfüllung durch die Einsetzung des heiligsten Sakramentes noch in geheimnisvoller Verhüllung, dereinst aber im Himmel durch die Anschauung Gottes in seliger Enthüllung. (Offb. 19,1)
(10) Die Vorgänge im Abendmahlssaal hat man sich nach dem jüdischen Osterritus etwa so zu denken: Ankunft des Herrn mit den Jüngern gegen 6 Uhr abends, Händewaschung, Mischung, Segnung und Darreichung des ersten rituellen Bechers; Osterhaggadah, d.i. Erzählung über Veranlassung und Bedeutung der Passah-Feier; Trinken des zweiten Bechers und erster Teil des Hallel (Ps. 112 und 113, 1-8). – Das eigentliche Mahl beginnt; der Heiland spricht zu Beginn die Worte: „Sehnlichst habe ich verlangt“ usw.; zum Abschluss der dritte rituelle Becher und wohl dabei oder erst beim folgenden vierten Becher die Worte: „Nehmt ihn und teilt ihn unter euch … trinkt im Reiche Gottes.“ Rangstreit; Fußwaschung; Vorhersagung des Verrates und der Weggang des Verräters; Einsetzung des heiligsten Sakramentes beim vierten, eventuell fünften Bechers. – Ob Jesus den vierten rituellen Becher, bei dem der zweite Teil des Hallel (Ps. 113, 9 bis 117) und der Psalm 135 gebetet wurde, konsekrierte oder einen fünften, nicht mehr offiziellen Becher, dürfte eine unlösbare Frage sein. Denn die Evangelisten wollen nicht die Reihenfolge der rituellen Akte des Passahmahles schildern; darum läßt sich auch auf Grund ihrer Berichte nicht mit Gewissheit entscheiden, bei welchem Becher Jesus die Einsetzungsworte sprach. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. II, Neues Testament, 1910, S. 439 – S. 441