Die sieben Worte Jesu Christi am Kreuz – Heute wirst du mit mir im Paradiese sein
IV. Hauptstück – Erklärung des zweiten Wortes: „Wahrlich sage ich dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“
Das zweite Wort, oder der zweite von Christus am Kreuz getane Ausspruch war nach dem Zeugnis des hl. Lukas jenes herrliche Versprechen an den Räuber, der mit ihm am Kreuze hing: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Die Veranlassung zu diesem Ausspruch war folgende:
Da mit ihm zwei Missetäter gekreuzigt wurden, der eine zu seiner Rechten, der andere zu seiner Linken, so fügte der eine davon seinen früheren Sünden noch diese bei, dass er Christus beschimpfte und ihm Unmacht vorwarf, indem er sprach (Luk. 23, 29): Wenn du Christus bist, so rette dich selbst und uns. Es schreiben zwar der heilige Matthäus und der heilige Markus, die mit Christus gekreuzigten Missetäter hätten ihm Unmacht vorgeworfen. Allein es ist durchaus glaublich, dass Matthäus und Markus die vielfache statt der einfachen Zahl setzten, was in der heiligen Schrift häufig vorkommt, wie der hl. Augustin in seinen Büchern von der Übereinstimmung der Evangelisten bemerkte.
Nur der Missetäter auf der linken Seite lästerte Christus
Denn in seinem Brief an die Hebräer sagt der Apostel von den Propheten (Hebr. 11, 33 u. 37): Sie haben Löwen die Rachen verstopft, sie wurden gesteinigt, zerfleischt, sie gingen in Schaf- und Ziegen-Fellen umher, und doch verstopfte nur der einzige Daniel den Rachen der Löwen; der einzige Jeremias wurde gesteinigt, der einzige Isaias zerfleischt. Überdies schreiben Matthäus und Markus nicht ausdrücklich: „Beide Missetäter“ hätten Christus Vorwürfe gemacht, da aber Lukas schreibt (Luk. 23, 39): Einer aber von den aufgehängten Misstätern lästerte ihn.
Auch ist kein Grund vorhanden, warum denn derselbe Misstäter bald lästern, bald loben sollte. Die Ansicht einiger, dass der Misstäter, der anfangs lästerte, seinen Sinn geändert und Christus gelobt habe, als er ihn rufen hörte: Vater verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (*), widerspricht offenbar dem Evangelium. Denn der hl. Lukas erzählt, dass Christus eher für seine Verfolger den Vater gebeten habe, als der linke Missetäter ihn zu lästern begann. Man muss daher der Ansicht des heil. Ambrosius und Augustin (Lib. 3. de consensu evang.) beitreten, welche annehmen, dass nur der eine von den beiden Misstätern gelästert, der andere dagegen ihn gelobt und verteidigt habe.
(*) siehe Bellarmin: Die sieben Worte am Kreuz – Vater verzeihe ihnen
Er antwortete daher dem lästernden Missetäter der andere (Luk. 23, 41f.): Auch du fürchtest Gott nicht, der du die nämliche Strafe erduldest? Jener, durch die Gesellschaft Jesu am Kreuz und durch die göttliche Erleuchtung, die ihm zuteil ward, glückliche Missetäter, versuchte es seinen Bruder zurechtzuweisen und zu einer besseren Gesinnung zu bringen. Der Sinn seiner Worte ist aber folgender:
Du wolltest die lästernden Juden nachahmen; allein jene hatten das Gericht Gottes noch nicht fürchten gelernt; weil sie gesiegt zu haben glauben und über ihren Sieg frohlocken, da sie Christus am Kreuz hängend erblicken, sich selbst aber frei und ungebunden und von keinem Übel geplagt sehen. Da aber du wegen deiner Verbrechen am Kreuz hängst und dem Tod entgegeneilst, warum fängst du nicht Gott zu fürchten an? Warum häufest du Sünde auf Sünde?
Die Gnade des heiligen Geistes im Herzen des Schächers
Zuletzt bekennt er, da er im Guten zunahm und gestärkt durch das Licht der göttlichen Gnade, seine Sünden, und preist die Unschuld Christi (Luk. 23, 41f): Wir sind, sprach er, mit Recht zum Kreuz verurteilt, denn wir empfangen den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Böses getan. Da aber das Licht der Gnade zunahm, so setzte er zuletzt noch bei: Herr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst.
Die Gnade des heiligen Geistes zeigte sich wahrlich auf eine erstaunungswürdige Weise in dem Herzen dieses Missetäters. Der Apostel Petrus verleugnet; der Missetäter am Kreuz bekennt; die Jünger sagten auf dem Weg nach Emmaus (Luk. 24, 21): Wir aber hofften; dieser aber spricht mit Zuversicht, indem er sagt: Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst. Der Apostel Thomas sagt (Joh. 20, 25): Dass er nicht glauben wolle, wenn er Christus nicht nach seiner Auferstehung sähe; der Missetäter am Kreuz, der Christus ebenfalls am Kreuz sieht, zweifelt nicht, dass er nach seinem Tode ein König sein werde.
Wer hatte jenen Missetäter so erhabene Geheimnisse gelehrt? Er nennt den seinen Herrn, welchen er nackt, verwundet, voll Schmerz, öffentlich verhöhnt und verachtet neben sich hängen sieht; er sagt, dass er nach dem Tode in sein Reich kommen werde. Daraus erkennen wir, dass jener nicht gedacht habe, das Reich Christi werde ein irdisches sein, wie die Juden erwarteten, sondern dass er nach dem Tode im Himmel in Ewigkeit ein König sein werde. Wer hatte ihn diese so erhabenen Geheimnisse gelehrt? Ohne Zweifel niemand als der Geist der Wahrheit, der ihm mit seinem liebreichen Segen zuvorkam.
Parabel eines vornehmen Mannes Reise zum Zweck der Erlangung der Königsherrschaft
Christus sagte nach seiner Auferstehung den Aposteln (Luk. 24, 46): So steht es geschrieben, und also musste Christus leiden und in seine Herrlichkeit eingehen. Allein der Missetäter hatte auf eine bewunderungswürdige Weise davon vorher Kenntnis, und es zu einer Zeit bekannt, wo Christus noch nicht entfernt einem Herrscher ähnlich sah. Denn die Könige regieren, so lange sie leben, wenn sie aber zu leben aufhören, so hören sie auch zu regieren auf; der Missetäter aber sagte deutlich, dass Christus durch den Tod zur Regierung gehen werde. Dasselbe setzte Christus auch in einer Parabel mit den Worten auseinander (Luk. 19, 12):
Ein Mensch aus einem vornehmen Geschlecht zog in ein fremdes Land, um königliche Gewalt an sich zu nehmen und dann zurückzukehren. Dieses sagte der Herr, da er seinem Leiden sehr nahe war, indem er andeutete, dass er durch den Tod in eine ferne Gegend gehen werde, das ist, in das andere Leben oder in den Himmel, der sehr weit von der Erde entfernt ist; dass er aber gehen werde, um das größte und ewige Reich anzunehmen, und dass er am Tage des Gerichtes wiederkehren werde, um allen zu vergelten, was sie in diesem Leben verdient hatten, entweder Belohnung oder Strafe.
In Beziehung auf dieses Reich also, das er gleich nach seinem Tode annehmen sollte, sagte der weise Missetäter: Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst. War also Christus der Herr nicht auch vor seinem Tode König?
Er war es allerdings, denn deswegen riefen die Magier (Matth. 2, 2): Wo ist der neugeborene König der Juden? Und Christus sagte selbst zu Pilatus (Joh. 18, 37): Du sagst es, dass ich ein König bin; ich bin zu dem geboren und zu dem in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Er war jedoch auf dieser Welt König, wie ein Fremder unter Feinden; und wurde deswegen auch nur von wenigen als König anerkannt, von den meisten aber verachtet und übel aufgenommen.
Deswegen sagte er auch in der angeführten Parabel, dass er in eine entfernte Gegend gehen werde, um ein Reich zu übernehmen; er sagte nicht, zu erwerben, gleichsam wie ein fremdes, sondern als das seinige, zu übernehmen und dann zurückzukehren; und der Missetäter sagte weislich: Wenn du in dein Reich kommst.
Unter dem Reich Christi wird an dieser Stelle nicht eine königliche Gewalt oder Herrschaft verstanden, denn diese hatte er von Anbeginn, nach jenen Worten des Psalmisten (Ps. 2, 6): Ich aber bin von ihm zum König über seinen heiligen Berg Sion gesetzt worden; und an einer andern Stelle (Ps. 71, 8): Und er wird von einem Meer bis zum andern, und von dem Fluss bis zu dem Ende des Erdbodens herrschen.
Isaias sagt (Is. 9): Ein kleines Kind ist uns gegeben, ein Sohn ist uns geboren worden, und seine Herrschaft ist auf seiner Schulter; und Jeremias (Jer. 23): Und ich werde dem David einen rechten Zweig erwecken; da wird ein König herrschen, der wird weise sein; er wird auch auf Erden Recht und Gerechtigkeit schaffen; und Zacharias (Zach. 9, 9): Erfreue dich, du Tochter Sion, frohlocke, du Tochter Jerusalems; denn sieh, dein König wird zu dir kommen, er ist gerecht und ein Erretter: er ist arm und reitet auf einer Eselin und auf einem jungen Füllen der Eselin.
Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst
So redet also Christus in der Parabel von der Übernahme des Reiches nicht von diesem Reich, noch auch der gebesserte Missetäter, wenn er sagt: Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst; sondern beide reden von der vollendeten Glückseligkeit, wodurch der Mensch von aller Sklaverei und Untertänigkeit unter die geschaffenen Wesen frei und nur Gott untertan wird, dessen Dienstbarkeit vielmehr Herrschaft ist, und von Gott selbst über alle seine Werke gesetzt wird. Dieses Reich, welches sich auf das Glück der Seele bezieht, hatte Christus vom Anfang seiner Empfängnis; allein in Beziehung auf den Körper hatte er es nicht wirklich, sondern nur ein Recht darauf, ausgenommen nach der Auferstehung.
So lange er auf der Erde wandelte, war er der Ermüdung, dem Hunger, dem Durst, den Kränkungen, den Verwundungen und sogar dem Tode ausgesetzt; weil ihm aber die Verherrlichung des Leibes gebührte, so ging er nach seinem Tode in die ihm gebührende Herrlichkeit ein.
So spricht der Herr selbst nach seiner Auferstehung (Luk. 24, 26): Musste denn Christus nicht leiden, und so ins eine Herrlichkeit eingehen? Diese Herrlichkeit wird auch deswegen sein genannt, weil er sich auch andern mitteilen kann, und daher heißt er auch (Ps. 3): König der Herrlichkeit, (Kor. 2, 8) Herr der Herrlichkeit und (Apok. 19, 16) König der Könige; er sagt selbst zu den Aposteln (Luk. 22, 29): Ich bestimme euch das Reich; denn ich kann die Herrlichkeit und das Reich nur annehmen, aber nicht geben; und es heißt auch (Matth. 25, 23): Gehe ein in die Freude deines Herrn; nicht in deine Freude.
Dies ist also das Reich, von dem der gebesserte Missetäter sagt: Wenn du in dein Reich kommst.
Der Missetäter spricht Christus als Herr an
Allein man darf die ausgezeichneten Tugenden, welche aus der Bitte jenes geheiligten Missetäters hervorleuchten, nicht übersehen, so dass wir uns weniger wundern, wenn wir die Antwort Christus des Herrn vernehmen werden.
Herr, sagte er, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst. Er nennt ihn Herrn, durch welche Benennung er sich als Diener, oder vielmehr als losgekauften Sklaven bekennt, und Christus als seinen Erlöser anerkennt. Er setzt bei: Gedenke meiner, welches Wort voll von Glaube, Hoffnung, Liebe, Andacht und Demut ist. Er sagt nicht, wenn du kannst, da er glaubt, dass er alles könne. Er sagt nicht, wenn es dir gefällt; weil er auf seine Liebe und Güte volles Vertrauen setzt. Er sagt nicht, ich will Teil an der Herrschaft haben; weil dies seine Demut nicht gestattete.
Endlich bittet er um nichts Besonderes, sondern nur: Gedenke meiner; als wenn er sagen wollte, wenn du dich nur würdigen willst, meiner zu gedenken, wenn du nur dein gütiges Auge auf mich wenden willst, so ist es mir genug, weil ich von deiner Macht und Weisheit gewiss bin, und auf deine Güte und Liebe volles Vertrauen setze. Er setzt zuletzt noch bei: Wenn du in dein Reich kommst, um anzudeuten, dass er um nichts Vergängliches und Hinfälliges bitte, sondern sich nur nach Ewigem und Höherem sehne.
Christi Worte „Wahrlich“ und „Amen“
Nun wollen wir die Antwort Christi hören: Wahrlich, sprach er, sage ich dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Jenes Amen: (Wahrlich) ist ein feierlicher Ausdruck Christi, dessen er sich bediente, wenn er etwas ernstlich bekräftigen wollte.
Der heilige Augustin trug wenigstens kein Bedenken, zu sagen, dass jener Ausdruck gleichsam der Eidschwur Christi sei; denn er ist kein eigentlicher Eid, da Christus bei Matthäus sagte (5, 34 u. 37): Ich sage euch: Ihr sollt gar nicht schwören; und kurz darauf: Eure Rede aber sei: Ja, ja: nein, nein; was aber darüber ist, ist vom Bösen. Es ist durchaus nicht glaublich, dass Christus so oft geschworen habe, als er das Wort „Amen“ gebrauchte, da er dasselbe sehr häufig gebrauchte.
Mit Recht hat daher der heilige Augustin gesagt, dass „Amen“ nicht der Eidschwur, sondern nur gleichsam der Eidschwur Christi sei. Denn jenes Wort bedeutet „wahrlich“; und wenn jemand sagt: wahrlich, sage ich dir, so bekräftigt er im Ernst, welches die Eigenschaft des Eides ist. Christus sagte daher mit vollem Grund dem Missetäter: Wahrlich, sage ich dir; das ist, ich bestätige es allerdings, nur schwöre ich nicht, weil der Missetäter aus drei Gründen an der Verheißung Christi hätte zweifeln können, wenn er sie nicht so beharrlich bekräftigt hätte.
Erstlich wegen seiner eigenen Person, die durchaus einer so großen Belohnung oder eines so großen Geschenkes unwürdig schien. Denn wer hätte vermuten können, dass ein Missetäter vom Kreuz sogleich in das Reich eingehen könne?
Zweitens wegen der Person Christi, die es versprach, der damals zur äußersten Not, Schwäche und Schmach gebracht schien. Hätte wohl der Missetäter nicht so schließen können, wenn jener in seinem Leben seinen Freunden keinen Dienst erweisen konnte, wie wird er es nach seinem Tode können?
Endlich drittens wegen der versprochenen Sache selbst; denn es wurde ihm das Paradies versprochen; nun bezog sich aber das Paradies nach den damaligen Begriffen nicht auf die Seele, sondern auf den Leib, da man nämlich unter dem Namen des Paradieses bei den Hebräern das irdische Paradies verstand. Es wäre dem Missetäter glaublicher gewesen, wenn der Herr gesagt hätte, heute wirst du mit mir im Ort der Erholung mit Abraham, Isaak und Jakob sein. Aus diesen Gründen also schickte der Herr mit Recht jene Worte voraus: Wahrlich, ich sage dir.
Was das Wort „Heute“ bedeutet
Heute. Er sagt nicht, am Tage des Gerichtes werde ich dich mit den Gerechten zur rechten Seite stellen. Er sagt nicht, nach einigen Jahren im Reinigungsort werde ich dich in den Ort des Trostes führen, nicht nach einigen Monaten oder Tagen werde ich dich trösten; sondern heute, ehe die Sonne untergeht, wirst du mit mir vom Holz des Kreuzes in die Freuden des Paradieses eingehen. Eine erstaunliche Freigebigkeit von Seite Christi; ein überschwängliches Glück für den Sünder.
Nicht ohne Grund hält der heilige Augustin (Lib. 1. cap. 9) in seinem Buch von dem Ursprung der Seele, indem er sich dem heil. Cyprian anschließt, dafür, dass jener Missetäter ein Martyrer genannt werden könne, und deswegen ohne Fegefeuer aus dieser Welt in das Vaterland übergegangen sei. Ein Märtyrer aber könne der gebesserte Missetäter deswegen genannt werden, weil er Christus öffentlich bekannte, da selbst nicht einmal die Apostel ein Wort von ihm zu reden wagten. Daher habe wegen des freimütigen Bekenntnisses sein Tod mit Christus bei Gott gerade so gegolten, als hätte er ihn für Christus erduldet.
Allein jenes „du wirst mit mir sein“ wäre, wenn auch nichts anderes verheißen worden wäre, für den Missetäter ein großer Lohn gewesen; denn der heil. Augustin schreibt: Wo konnte es mit ihm übel sein, und wo konnte es ohne ihn gut sein? Christus verhieß also jenen, die ihm nachfolgen würden, keinen geringen Lohn, wenn er sagte (Joh. 12, 26): Wer mir dient, folge mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Allein er verhieß nicht bloß, dass er bei ihm, sondern er setzte bei: dass er im Paradiese sein werde.
Was das Wort „im Paradiese sein“ bedeutet
Obgleich einige unentschieden zu sein scheinen, was an dieser Stelle Paradies bedeute, so scheint es doch keiner Untersuchung zu bedürfen. Denn es ist gewiss, dass Christus an dem Tag nach seinem Tod dem Leibe nach in dem Grab, der Seele nach aber in der Unterwelt gewesen sei; denn dies sagt uns mit deutlichen Worten das Glaubensbekenntnis. Sicherlich kann aber weder dem Grabe, noch der Unterwelt der Name weder eines irdischen, noch eines himmlischen Paradieses beigelegt werden.
Dem Grabe nicht, weil dies ein ganz enger Platz und nur für die Aufnahme von Leichnamen bestimmt war; zu geschweigen, dass in jenes Grab nur die Leiche Christi und nicht auch die des Missetäters gelegt wurde; wenn es nun von jenem Ort zu verstehen wäre, so wäre die Verheißung nicht erfüllt worden: Heute wirst du mit mir sein.
Allein auch der Unterwelt kann auf keine Weise der Name des Paradieses beigelegt werden. Denn das Wort „Paradies“ bedeutet einen Lustgarten. Im irdischen Paradies wenigstens waren blühende und fruchtbare Bäume, die hellsten Quellen und die reinste, heiterste Luft. Im himmlischen Paradies aber waren und sind ewige Freunden, ein nie untergehender Tag, der Aufenthalt der Seligen.
In der Unterwelt gibt es keine Annehmlichkeit und Freude
In der Unterwelt aber war sogar in dem Teil, wo die Seelen der heiligen Väter verweilten, kein Licht, keine Annehmlichkeit, keine Freude; jene Seelen empfanden zwar keine Qual, sondern es tröstete und erheiterte sie vielmehr die Hoffnung der kommenden Erlösung und der Besuch Christi, der zu ihnen kommen sollte; allein sie wurden doch in einem dunklen Behältnis wie gefangen gehalten. Denn so spricht der Apostel in seiner Erläuterung des Propheten (1. Eph. 4, 8):
Als er in die Höhe hinaufstieg, führte er eine Menge befreiter Gefangenen mit sich. Und Zacharias sagte (Zach. 9, 4): Du hast auch durch das Blut deines Bundes deine Gefangenen aus der Grube, worin kein Wasser ist, herausgelassen; wo jene Worte: deine Gefangenen; und: von der Grube, worin kein Wasser ist, nicht die Annehmlichkeit des Paradieses, sondern das Dunkel des Kerkers bedeuten. Es bedeutet also das Wort Paradies an dieser Stelle nichts anderes, als den glücklichen Zustand der Seele, die in der Anschauung Gottes ist; denn jene ist in Wahrheit ein Paradies der Freude, kein körperliches oder örtliches, sondern ein geistiges und himmlisches.
Von der Unterwelt ins Paradies
Deswegen antwortete auch Christus dem Missetäter auf seine Bitte und Worte: Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst; nicht: Heute wirst du mit mir in meinem Reiche, sondern im Paradiese sein; weil Christus an diesem Tage nicht in seinem Reich, d. i. in der vollkommenen Seligkeit des Leibes und der Seele sein sollte; sondern er sollte erst am Tag der Auferstehung in jenes Reich gelangen, wenn er einen unsterblichen, keinem Leiden unterworfenen, verherrlichten und durchaus zu keiner Dienstbarkeit oder Unterwürfigkeit verpflichteten Leib erhalten würde; auch sollte er in diesem Reich den gebesserten Missetäter nicht erst bei der allgemeinen Auferstehung und am Tage des letzten Gerichtes als Genossen haben.
Ganz der Wahrheit gemäß und im eigentlichen Sinne sagte er zu ihm: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein; weil er an jenem Tag sowohl der Seele des gebesserten Missetäters, als auch den Seelen aller Heiligen, die in der Unterwelt sich aufhielten, die Herrlichkeit der Anschauung Gottes, die er selbst seit seiner Empfängnis hatte, mitteilen wollte; denn diese Anschauung ist die Herrlichkeit oder das wesentliche Glück und vorzüglichste Gut im himmlischen Paradies.
Man muss in der Tat über die Eigentümlichkeit der Worte Christi staunen. Denn er sagte nicht: Wir werden heute im Paradies sein, oder wir werden heute in das Paradies gehen; sondern: Du wirst heute mit mir im Paradies sein; als wenn er hätte sagen wollen, du bist heute mit mir am Kreuz, allein du bist nicht mit mir im Paradies, worin ich bin, insofern es den edleren Teil, die Seele betrifft; allein bald darauf, noch an diesem Tage, wirst du mit mir nicht nur am Kreuz, sondern sogar innerhalb des Paradieses sein. – aus: Robert Bellarmin SJ, Die Sieben Worte Jesu Christi am Kreuz., 1838, S. 20 – S. 30
siehe auch den Beitrag von Moritz Meschler SJ: Die Bekehrung des guten Schächers am Kreuz
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