Die sieben Worte Jesu – Christus am Kreuz Vater verzeihe ihnen
I. Hauptstück – Wörtliche Erklärung des ersten Wortes: Vater verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Der erste Ausspruch: Vater verzeihe ihnen
Jesus Christus, das Wort des ewigen Vaters, von welchem sowohl derselbe Vater deutlich aussprach (Matth. 17, 5): diesen höret, als der auch von sich selbst öffentlich sagte (Matth. 23, 10): Es ist nur einer euer Lehrmeister Christus, ließ nicht nur, um seiner Pflicht im vollsten Umfang zu genügen, während seines Lebens nie vom Lehren ab, sondern verkündete auch noch in seinem Tod vom Kreuz herab wenige, jedoch eindringende, ungemein nützliche und wirksame Worte, die durchaus von allen Christen auf das beste beherzigt, bewahrt, erforscht und in Wort und Tat befolgt zu werden verdienen.
Der erste Ausspruch ist folgender (Luk. 23, 34): Jesus aber sprach: Vater, verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Dieser wahrlich ganz neue und ungewöhnliche Ausspruch sollte nach dem Willen des heiligen Geistes von dem Propheten Isaias in jenen Worten angedeutet werden (Isai. 53): Und er bat für die Übertreter. Mit wie viel Wahrheit aber der Apostel Paulus gesagt habe (1. Kor. 13, 5): Die Liebe sucht nicht eigenen Vorteil, kann man aus der Reihenfolge dieser Aussprüche leicht abnehmen; indem von ihnen drei auf das Beste anderer, drei auf das eigene und einer auf das allgemeine Beste sich beziehen. Die erste Sorge also widmete der Herr andern, die letzte sich.
Von den ersten drei Aussprüchen aber, welche sich auf andere beziehen, ist der erste an seine Feinde, der zweite an seine Freunde und der dritte an die Blutsverwandten gerichtet. Der Grund dieser Reihenfolge ist folgender:
Die Liebe kommt nämlich zuerst den Bedürftigsten zu Hilfe, diese waren aber in dieser Lage die Feinde; auch bedurften wir als Schüler eines so großen Lehrers mehr der Unterweisung über die Liebe der Feinde, die schwerer und seltener ist, als über jene der Freunde und Blutsverwandten, die sehr leicht ist und gewissermaßen mit uns geboren wird, aufwächst und oft stärker wird, als es ein sollte.
Es sagt deswegen der Evangelist: Jesus aber sprach. Jenes aber bezeichnet die Zeit und Veranlassung zum Gebet für seine Feinde; und setzt Worte den Worten, und Werke den Werken entgegen; gleich als wenn der Evangelist spräche: Jene kreuzigten den Herrn und teilten unter seinen Augen seine Kleider unter sich; andere verspotteten und beschimpften ihn als einen Verführer und Lügner; Er aber sprach beim Anblick und Anhören dessen und beim heftigsten Schmerz, da ihm Hände und Füße auf eine ganz grausame Art ganz frisch durchbohrt waren, indem er Böses mit Gutem vergalt: Vater, verzeihe ihnen.
Er sagt Vater, nicht Gott oder Herr, weil er wusste, das hier die Güte des Vaters und nicht die Strenge des Richters nötig sei; und weil man Gott, um ihn, der ohne Zweifel über so ungeheure Freveltaten aufgebracht war, zu besänftigen, den liebenswürdigen Namen Vater vorhalten musste. Es scheint also jenes Vater anzudeuten: Ich, dein leidender Sohn, verzeihe, verzeihe auch du, Vater. Verzeihe mit deinem Sohne zu Liebe diese Beleidigung, obgleich es jene nicht verdienen. Gedenke, dass du durch die Schöpfung, worin du sie nach deinem Bild und dir ähnlich geschaffen hast, auch der Vater von jenen seiest. Zeige also gegen jene deine väterliche Liebe, da sie, obgleich böse, doch deine Söhne sind.
Was das Wort „Verzeihe“ bedeutet
Verzeihe. Dieses Wort fasst den höchsten Grad von Bitte in sich, welche der Sohn Gottes als der Sachwalter seiner Feinde an seinen Vater richtet. Es lässt sich aber jenes Wort „Verzeihe“ (Erlasse) sowohl auf die Strafe, als auf die Schuld beziehen.
Bezieht man es auf die Strafe, so ward dies Gebet erhört, weil, da die Juden wegen dieses Verbrechens auf der Stelle auf das schwerste bestraft, und entweder durch Feuer vom Himmel verzehrt oder durch eine Überschwemmung vertilgt, oder durch das Schwert oder Hunger vernichtet zu werden verdienten, die Strafe für diese Sünde auf vierzig Jahre verschoben ward; und wenn unterdessen jenes Volk Buße getan hätte, ganz und gar gerettet worden wäre.
Weil es aber nicht Buße tat, so schickte Gott das Heer der Römer unter dem Befehl des Vespasian über sie, welcher die Hauptstadt vom Grunde aus zerstörte und das Judenvolk teil während der Belagerung durch Hunger, teils nach Einnahme der Stadt mit dem Schwert tötete, teils verkaufte, teils als Gefangene hinweg führte, teils in verschiedene Länder und Orte zerstreute.
Und dieses hatte der Herr zuerst durch das Gleichnis von dem Weinberg und in jenem von dem König, der seinem Sohn Hochzeit hielt; ferner in dem Gleichnis von dem unfruchtbaren Feigenbaum, und endlich sogar mit deutlichen Worten am Palmtag unter Weinen und Wehklagen vorher gesagt.
Bezieht man es aber auf die Schuld, so ward das Gebet erhört, weil vielen durch das Verdienst dieses Gebet von Gott die Gnade der Reue und Besserung verliehen wurde; darunter gehören jene (Luk. 23, 48), welche zurückkehren, indem sie an ihre Brust schlugen; und der Hauptmann, der sagte (Matth. 27, 54): Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn; und sehr viele, die bald darauf auf die Predigt der Apostel sich bekehrten und jenen bekannten, den sie verleugnet, und den anbeteten, welche sie verachtet hatten.
Der Grund aber, warum nicht allen die Gnade der Bekehrung verliehen wurde, ist der, weil das Gebet Christi mit der Weisheit und dem Willen Gottes überein stimmte. Dieses schreibt der heilige Lukas mit andern Worten in der Apostelgeschichte: (Apostelg. 13, 48): Es glaubten alle, die zum ewigen Leben vorher bestimmt waren.
Wer mit dem Wort „Ihnen“ gemeint ist
Ihnen. Unter diesem Worte werden jene verstanden, für die Christus um Schonung bat. Und zwar scheinen es vorerst jene zu sein, die Christus wirklich an das Kreuz schlugen und seine Kleider unter sich verteilten; endlich alle jene, welche die Veranlassung zum Leiden des Herrn waren; als Pilatus, der das Urteil fällte; das Volk, welches rief: Nehme ihn, nehme ihn, kreuzige ihn; die hohen Priester und Schriftgelehrten, die ihn falsch anklagten; und um weiter zurück zu gehen, sogar der erste Mensch selbst und seine ganze Nachkommenschaft, die durch die Sünde die Veranlassung zum Leiden Christi gaben.
Es bat also der Herr für alle seine Feinde um Verzeihung vom Kreuz herab. Unter den Feinden waren wir aber nach dem Ausspruch des Apostels alle (Röm. 5, 10): Da wir Feinde waren, so sind wir mit Gott durch den Tod seines Sohnes wieder versöhnt worden. Wir waren also alle, sogar vor unserer Geburt mit in jenem heiligsten Moment begriffen, um mich so auszudrücken, in welchem der höchste Priester Christus in jenem heiligen Messopfer bat, das er auf dem Altar des Kreuzes darbrachte.
Was wirst du also, meine Seele, dem Herrn für alles das vergelten, was er dir sogar vor deinem Dasein erwies? Es sah der liebevolle Herr, dass auch du einst unter der Zahl seiner Feinde sein würdest, und er betete ohne dein Ersuchen zum Vater für dich, daß dir die Torheit nicht zugerechnet würde. Solltest wohl nicht auch du unaufhörlich eines so gütigen Sachwalters gedenken und aus allen Kräften trachten, ja keine Gelegenheit vorüber gehen zu lassen, ihm zu dienen?
Wäre es wohl nicht in der Ordnung, dass auch du durch ein so großes Beispiel aufgefordert, nicht nur deinen Feinden leicht zu verzeihen und für sie zu beten lerntest, sondern auch sie, so viel nur immer von dir abhängt, zur Verzeihung zu vermögen? Allerdings verhält es sich so, und ich will dieses tun und nehme es mir vor, wenn nur jener, der ein so ausgezeichnetes Beispiel gegeben hat, auch aus derselben Liebe zu einem so wichtigen Werk seine wirksame Hilfe verleiht.
siehe auch den Beitrag: Verzeihen ist des Christen Meisterstück
Denn sie wissen nicht was sie tun
Damit die Vermittlung vernünftig erscheint, so vermindert oder entschuldigt Christus das Verbrechen seiner Feinde, so viel er kann. Er konnte sicher weder am Pilatus die Ungerechtigkeit, noch an den Soldaten die Grausamkeit, noch an den hohen Priestern die Gehässigkeit, noch an dem Volk die Torheit und den Undank, noch an den Meineidigen die falschen Zeugnisse entschuldigen; es übrigte ihm nur noch, dass er an allen die Unwissenheit entschuldigte. (1. Kor. 2, 8) Denn wahrlich würden sie, wie der Apostel sagt, den Herrn der Herrlichkeit nicht ans Kreuz geschlagen haben, wenn sie selben erkannt hätten.
Allein wenn auch gleich weder Pilatus, noch die Vorsteher der Priester, noch das Volk, noch die Gerichtsdiener erkannt hatten, dass Christus der Herr der Herrlichkeit sei, so erkannte doch Pilatus, dass er ein gerechter und heiliger Mann sei, den die Vorsteher der Priester aus Missgunst dem Gericht überlieferten; auch erkannten es nach der Lehre des heiligen Thomas die Vorsteher der Priester, dass er wahrhaft der durch das Gesetz versprochene Christus sei; weil sie weder leugnen konnten, noch auch wirklich leugneten, dass er viele Zeichen tue, welche nach der Voraussage der Propheten der Messias tun würde.
Es erkannte endlich das Volk, das Christus ohne gerechten Grund verurteilt werde, indem Pilatus öffentlich ausrief (Luk. 23, 22): Ich finde keine Schuld an ihm etc. (Matth. 27, 24) ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten.
siehe dazu auch den Beitrag: Die Urheber des Leidens Christi
Die Blindheit entschuldigt nicht den Geblendeten
Wenn auch gleich weder die Juden noch die Vorsteher, noch das Volk erkannten, dass Christus der Herr der Herrlichkeit sei, so hätten sie es doch erkennen können, wenn nicht Bosheit ihre Herzen verblendet gehabt hätte. Denn der heilige Johannes spricht folgendermaßen (Joh. 12, 40): Da er schon so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, so glaubten sie ihm doch nicht, weil Isaias gesagt hat: Verblende das Herz dieses Volkes, verstopfe seine Ohren, verschließe ihm die Augen, damit es nicht vielleicht mit seinen Augen sehe, mit seinen Ohren höre, sich bekehre und ich es heile. Jedoch entschuldigt die Blindheit keineswegs den Geblendeten, wenn sie freiwillig und später erfolgt ist, nicht vorhergeht.
Auf gleiche Weise leiden auch jene, die aus Bosheit sündigen immer einigermaßen an Unwissenheit, die jedoch nicht entschuldigt, da sie nicht vorher geht, sondern erst später kommt. Denn in Wahrheit sagt der Weise (Sprichw. 24): Die Böses tun, sind im Irrtum; und der Wahrheit gemäß sagt auch ein Weltweiser: Jeder Böse ist in Ungewissheit; und von allen Sündern kann man in Wahrheit sagen: Sie wissen nicht, was sie tun.
Denn niemand kann das Böse als solches wollen, da der Gegenstand eines Wunsches nicht entweder eine gute oder böse, sondern bloß eine gute Sache ist; und wer deswegen das Böse wählt, wählt es immer nur, weil er sich darunter das Gute, ja sogar das höchste Gute vorstellt, das er für diesen Augenblick erlangen kann.
Deswegen findet eine Verwirrung des Begehrungs-Vermögens statt, welches die Vernunft verdunkelt, und verursacht, dass sie nur das wenige Gute, welches sich an dem erwünschten Gegenstand befindet, gewahrt. Denn wer sich einen Ehebruch oder Diebstahl zu begehen vornimmt, würde es sich nie vornehmen, wenn er nicht sein Augenmerk auf das Ergötzende, das am Ehebruch oder auf das Gewinn Bringende, das am Diebstahl ist, Rücksicht nehmen, und wenn er nicht die Augen des Geistes gegen das Hässliche oder Ungerechte, das am Ehebruch oder Diebstahl ist, verschließen würde.
Jeder Sünder, der Böses tut, scheut das Licht
Es ist daher jeder Sünder einem Menschen ähnlich, der, indem er von einer Höhe herab sich in einen Fluss stürzen will, zuvor die Augen schließt und dann erst sich in den Fluss stürzt.
Deswegen scheut jeder, der Böses tut, das Licht, und leidet an freiwilliger Unwissenheit, die nicht entschuldigt, weil sie freiwillig ist. Wenn sie nun aber nicht entschuldigt, warum sagt der Herr: Verzeihe ihnen, den sie wissen nicht, was sie tun? Hierauf lässt sich antworten, dass die Worte des Herrn vorerst von den Kreuzigern selbst verstanden werden können, von denen es wahrscheinlich ist, dass ihnen nicht nur die Gottheit, sondern auch die Unschuld Christi ganz und gar unbekannt gewesen sei; und dass sie nur ihre Pflicht erfüllten. In Bezug auf diese sagte er ganz und gar der Wahrheit gemäß: Vater, verzeihe ihnen, weil sie nicht wissen, was sie tun.
Wenn sie endlich von uns verstanden werden sollen, die wir noch nicht waren, oder von vielen abwesenden Sündern, die in der Tat nicht wussten, was damals zu Jerusalem vorging, so sagte der Herr ganz der Wahrheit gemäß: Sie wissen nicht, was sie tun. Sollten sie aber von jenen gemeint sein, die anwesend waren, und denen es nicht unbekannt war, dass Christus der Messias oder ein unschuldiger Mann sei, so wird man sagen müssen, dass die Liebe Christi so groß gewesen sei, um die Sünde seiner Feinde so gering als möglich zu machen.
Denn obgleich jene Unwissenheit an und für sich nicht entschuldigt, so bietet sie doch einigen, wenn gleich nur schwachen Entschuldigungsgrund, dar; weil sie noch schwerer gesündigt hätten, wenn sie von aller Unwissenheit frei gewesen wären. Obgleich nun der Herr wusste, dass jene Entschuldigung nicht sowohl eine Entschuldigung, als vielmehr der Schatten davon sei, so wollte er sie doch vorbringen, damit wir daraus seine gute Gesinnung gegen die Sünder erkennen, und wie gerne er sogar für Kaiphas und Pilatus eine bessere Entschuldigung vorgebracht hätte, wenn sich eine hätte finden lassen. –
aus: Robert Bellarmin SJ, Die Sieben Worte Jesu Christi am Kreuz., 1838, S. 1 – S. 8
Folgebeitrag: Warum die Christen verzeihen sollen
Bildquellen
- Septem_Christi_verba: wikimedia