Die Urheber des Leidens Christi

Die Urheber des Leidens Christi: Jesus fällt unter dem Kreuz

Die Urheber des Leidens Christi nach Thomas von Aquin

Wenn wir nach den Urhebern des Leidens und des Todes des göttlichen Erlösers fragen, und dabei die geschichtlichen Tatsachen ins Auge fassen; so sehen wir Juden und Heiden sich wider den gemeinsamen Erlöser erheben, um ihn und sein Werk gewaltsam aus der Menschheit hinauszuwerfen, und von dem Erdboden für immer verschwinden zu machen.

Wir sehen da einerseits, wie von diesen Menschen das größte aller Verbrechen, der Gottesmord verübt wird; andererseits, wie Gott im gleichen Augenblick aus demselben Verbrechen die Erlösung der ganzen Menschheit und auch dieser Menschen hervorbringt; wie diese Menschen, während sie die schwerste Schuld auf sich laden, in der Hand Gottes zum Werkzeug werden, für die Schulden aller Menschen und auch für alle ihre Schulden die vollste Genugtuung zu Stande zu bringen; wir sehen da, wie diese Menschen, während sie das Lamm Gottes mit sakrilegischen Händen schlachten, das Versöhnungs- und Befreiungsopfer für das ganze Menschengeschlecht und auch für sich selbst schlachten.

Die eigentliche Ursache des Leidens und Sterbens Jesu Christi

Sehen wir auf diese Menschen, so stellt sich unseren Augen eine unbegreifliche Verblendung und Bosheit dar; sehen wir auf Gott, so begegnet unseren Blicken eine unbegreifliche Liebe und Barmherzigkeit. Halten wir jene Verblendung und Bosheit mit dieser Liebe und Barmherzigkeit zusammen; so müssen wir hierin die ebenso unbegreifliche Weisheit Gottes anbeten, welche aus der schwärzesten Nacht des Verbrechens den glänzendsten Tag des Heiles hervorgerufen hat.

… Die eigentliche Ursache des Leidens und Sterbens Jesu Christi haben alle Menschen, hat jeder einzelne Mensch gesetzt; denn die eigentliche Ursache, warum der Gottmensch leiden und sterben musste, ist die Sünde, und Sünder sind wir alle. Wer aber die Ursachen setzt, aus welcher eine Wirkung hervorgeht, der ist auch der Urheber dieser Wirkung; und darum fällt die Urheberschaft des Leidens und des Todes Christi, des Herrn, in diesem Sinne allen Menschen insgesamt und jedem einzelnen Menschen zur Last, wie Christus auch für alle Menschen und für jeden einzelnen Menschen gelitten hat und gestorben ist.

Wer waren aber diejenigen, welche an dem Leiden und an dem Tod Christi sich unmittelbar und tatsächlich beteiligten?

Die Schuld der direkt Beteiligten am Leiden und Tod Christi

Die Henkersknechte

Zunächst waren es die Henkersknechte, welche den Herrn nach allen vorausgegangenen Misshandlungen an das Kreuz genagelt und auf demselben in den Tod gebracht haben. War ihnen die Unschuld des Herrn unbekannt und halten sie bei der Ausführung ihres Werkes keinen bösen Willen und keine böse Absicht; sondern vollzogen sie einfach den Befehl ihrer Vorgesetzten, ohne sich mehr zu erlauben, als diese angeordnet hatten: so gilt von ihnen das Wort des heiligen Augustinus:

„Jener tötet nicht, welcher dem Befehlenden den Dienst schuldig ist und gleicht dem Schwert, welches demjenigen dient, der es gebraucht.“ (De civit. Dei Libr. I. c. 21)

Sie waren daher die physische, aber nicht die moralische Ursache des Leidens und Sterbens Christi, und insofern ohne Schuld.

Die Schuld von Pilatus

Pilatus war es, welcher den göttlichen Erlöser den Misshandlungen preisgegeben, zum Tode verurteilt, dessen Kreuzigung und Tötung am Kreuz befohlen hat, wie von ihm geschrieben steht:

„Jesum aber, nachdem er ihn hatte geißeln lassen, übergab er ihnen, auf daß er gekreuzigt würde.“ (Matth. 27, 26) Pilatus war also die nächste moralische Ursache des Todes Christi, und zwar auf sehr schuldbare Weise; weil er die Unschuld des Herrn erkannt und wiederholt und öffentlich und amtlich ausgesprochen hatte (Joh. 18, 38; 21, 4. u. 6; Matth. 27, 24); weil er die volle Überzeugung hatte, dass „ihn die Juden aus Neid überliefert haben“ (Matth. 27, 18); und weil er verpflichtet war, nicht nur an keinem Unrecht wider die Unschuld sich zu beteiligen, sondern auch dieselbe als Richter und Stellvertreter des Landesherrn gegen jedes Unrecht zu schützen.

Die Schuld der Juden

Die eigentlichste und wirksamste moralische Ursache des Leidens und des Todes Christi waren die Juden, und zwar auf die schuldbarste und strafbarste Weise. Denn sie haben selbst den Herrn zum Tode verurteilt:

„Er ist des Todes schuldig.“ (ebd.,26, 66) Sie haben ihn vor Pilatus der schwersten Verbrechen angeklagt: „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben“ (Joh. 19, 7); und: „Diesen haben wir befunden als einen Aufwiegler unseres Volkes, und als einen, der verbietet, dem Kaiser Zins zu geben, indem er sagt, er sei Christus, der König.“ (Luk. 23, 2) Sie haben den furchtsamen Richter mit Hilfe des von ihnen aufgestachelten Volkes eingeschüchtert: „Die Hohenpriester beredeten das Volk, dass sie den Barabbas begehren, Jesum aber töten lassen sollten.“ (Matth. 27, 20) Sie haben mit dem Volk den schwankenden Landpfleger mit dem Mordgeschrei bestürmt: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ (Joh. 19, 6)

Sie haben den für die eigenen Interessen eingenommenen Statthalter des Kaisers mit ihrer Drohung: „Wenn du diesen loslässest, bist du kein Freund des Kaisers“ (Joh. 19, 12); dazu gebracht und moralisch genötigt, dass er den Herrn zum Tode am Kreuz verurteilte. Sie wussten und waren überzeugt, wie Pilatus, daß Christus, der Herr, unschuldig, dass alle ihre Anschuldigungen grundlos und unwahr, dass sie selbst im allseitigen Unrecht waren, und nur aus Hass und Neid so handelten.

Es geht aus dem allen auch ganz klar hervor, dass sie die überlegte Absicht und den ernsten und festen Willen hatten, mit allen diesen Mitteln den Tod des Gottmenschen zu erwirken, der nicht erfolgt wäre, wenn sie diese Mittel nicht angewendet hätten.

Was Pilatus getan hat, um Christus den Juden zu entziehen

Dieses alles erhellt noch deutlicher aus dem, was Pilatus getan hat, um den göttlichen Erlöser ihren gottesmörderischen Händen zu entziehen. Denn Pilatus hatte ihnen erklärt: „Ich finde keine Schuld an ihm“ (ebd., 18, 38; 19, 6): – „Seht! Ich führe ihn zu euch heraus, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde“ (ebd., Vers 4): – „Ich habe nichts von dem gefunden, weswegen ihr ihn anklagt. Aber auch Herodes nicht“ (Luk. 23, 14 u. 15): – „Pilatus redete ihnen nochmals zu, indem er Jesum losgeben wollte“ (ebd., Vers 20): – „Er sprach zum dritten Mal: Was hat denn dieser Böses getan? Ich finde keine Schuld an ihm; darum will ich ihn züchtigen lassen und losgeben.“ (ebd., Vers 22)

Selbst als er das Todesurteil fällte, „nahm er Wasser, wusch seine Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; seht ihr zu!“ (Matth. 27, 24) Pilatus hat auch vieles andere versucht, um dem Herrn das Leben zu erhalten.

Er wollte diesen Prozess gar nicht annehmen (Joh. 18, 31);

er stellte mit dem Herrn eine öftere Untersuchung an, um seine Unschuld beweisen und bezeugen zu können;

er ließ ihn zu Herodes führen und machte auch dessen Urteil geltend;

er stellte den Herrn neben Barabbas, um durch diese grelle Zusammenstellung der Unschuld mit dem Verbrecher dessen Freilassung zu erwirken;

er ließ ihn geißeln und stellte den mit Blut und Wunden bedeckten und mit Dornen gekrönten Heiland vor ihre Augen hin, um sie zum Mitleiden zu rühren und zum Ablassen von ihrer mörderischen Forderung zu bewegen;

und erst, nachdem sie ihm die Ungnade des Kaisers, den Verlust seines Amtes und seines Einkommens in Aussicht gestellt hatten, und „als er sah, daß er nichts ausrichtete, sondern der Lärm immer größer wurde“ (Matth. 27, 24), willfahrte er ihrem Begehren.

Pilatus war ein Feigling

Daher schreibt der heilige Augustinus mit Recht: „Pilatus war in dem, was er getan, dadurch, daß er es getan hat, in etwas an der Schuld beteiligt; aber im Vergleich mit jenen (mit den Juden) viel unschuldiger. Denn er bemühte sich, so viel er konnte, ihn aus ihren Händen zu befreien; denn deshalb ließ er ihn geißeln und führte ihn deshalb vor. Er hat den Herrn nicht aus Verfolgungssucht gegeißelt, sondern aus der Absicht, ihrer Wut Genüge zu tun, damit sie wenigstens auf solche Weise sich besänftigen ließen und aufhörten, ihn töten zu wollen, wenn sie ihn gegeißelt sähen.

Als sie aber hartnäckig blieben, hat er, wie ihr wisset, die Hände gewaschen und erklärt, dass er es nicht getan habe und an seinem Tode unschuldig sei. Getan hat er es aber doch. Wenn er nun schuldig ist, weil er es getan hat; sind jene unschuldig, die ihn gezwungen haben, es zu tun?

Auf keine Weise. Er hat über ihn das Urteil gefällt und befohlen, daß er gekreuzigt werde und ihn gleichsam auch selbst getötet; und auch ihr, o Juden! Habt ihn getötet. Womit habt ihr ihn getötet? Mit dem Schwert der Zunge; denn ihr habt eure Zungen geschärft. Und wann habt ihr ihn getötet, wenn nicht damals, als ihr geschrien: „Kreuzige, kreuzige ihn?“ (Tract. In Psalm. LXIII) Die Juden haben also auch noch die Sünde des Pilatus auf sich geladen.

Die Hauptursache des Todes Christi liegt bei den Juden

Diese alle waren nun die direkte Ursache des Leidens und des Todes Christi, des Herrn. Denn jener tötet einen direkt, welcher eine Ursache setzt, die hinreicht, dass aus derselben der Tod erfolgt, und zu töten, die Absicht und den Willen hat. Aus dem Gesagten aber ergibt sich unzweifelhaft, dass die Henkersknechte, dass Pilatus, daß ganz vorzüglich die Juden diese Absicht und diesen Willen gehabt haben; und es ist aus den Ursachen, die sie gesetzt haben, der Tod des Herrn auch wirklich erfolgt. Die Hauptursache liegt aber auf der Seite der Juden.

Wollte man dagegen noch einwenden, die Juden hätten ohne die Mithilfe des Pilatus ihren Zweck nicht erreicht und somit sei Pilatus die den Ausschlag gebende Ursache und somit die Hauptursache gewesen; so antwortet der heilige Augustinus:

„Jener, welcher aus Neid einen Unschuldigen der obrigkeitlichen Gewalt zum Tod überliefert, sündigt mehr, als diese Gewalt selbst, wenn sie denselben aus Furcht vor einer höheren Gewalt tötet.“ (Tract. 116. in Joann.) Es hat ja der Herr selbst dem Pilatus erklärt:

„Du hättest keine Gewalt über mich, wenn sie dir nicht von oben herab gegeben worden wäre; darum hat der, welcher mich dir überlieferte, eine größere Sünde.“ (Joh. 19, 11) Wer aber an einer Tat die größere Sünde, die größere Schuld hat, der ist auch die wirksamere Ursache derselben. Somit waren die Juden die Haupturheber des Leidens und Sterbens des göttlichen Erlösers. –
aus: Georg Patiss SJ, Das Leiden unseres Herrn Jesu Christi nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin, 1883, S. 170 – S. 175

siehe auch die Beiträge:

Bildquellen

  • way-of-the-cross-2654408_640: pixabay

Verwandte Beiträge

Die Reise von Maria und Joseph nach Bethlehem
Dankbarkeit der Juden gegen die Päpste