Dankbarkeit der Juden gegen die Päpste und den Klerus
Wenn die Juden die Geschichte ihres Volkes seit dem Beginn der christlichen Zeitrechnung lesen, besonders die Geschichte ihrer Verfolgungen, von denen wir einen kurzen Abriss gegeben haben, dann muss vor ihren Augen in besonders hellem Lichte die Wahrheit erscheinen, dass das Judenvolk einen zuverlässigen Freund hat, der in seinen gerechten und freundschaftlichen Gesinnungen gegen es sich stets treu geblieben ist, in guten wie in schlimmen Tagen; es auf seine Fehler aufmerksam machte, wenn die Gelegenheit es forderte, es aber auch verteidigte und zu schützen suchte, wenn es ungerecht angegriffen oder gewalttätig verfolgt wurde.
Die christlichen Fürsten waren nicht immer wohlwollend
Dieser Freund, dieser wohlwollende Mahner und liebevoller Beschützer der Juden ist der sichtbare Stellvertreter und Statthalter desjenigen, den die Väter der Juden vor achtzehnhundert Jahren zu Jerusalem an das Kreuz genagelt haben, es ist der Papst in Rom. Und wie der heilige Vater, der Papst, war im Allgemeinen auch der gesamte Klerus gegen die Juden stets gerecht und wohlwollend gesinnt, treu nachahmend das Beispiel, das der Herr selbst und die Apostel durch ihr Verhalten gegen das Judenvolk uns gegeben haben.
Die christlichen Fürsten haben wohl auch dem Judenvolk oftmals ihre wohlwollende Gesinnung kund gegeben und ihm in den Zeiten der Verfolgung ihren Schutz angedeihen lassen, aber sie haben das nicht immer wegen der Gerechtigkeit getan, wie der Papst und der Klerus der katholischen Kirche, sondern mehr um ihres Nutzens willen. Die christlichen Fürsten haben die Juden oftmals gehätschelt und sie dann wieder lieblos verfolgt, haben sie als einen Schwamm betrachtet, den sie an dem Mark des christlichen Volkes sich vollsaugen ließen, um ihn dann auszupressen und wegzuwerfen.
Gerade in diesem Verhalten christlicher Fürsten gegen die Juden erblicken Geschichtsforscher, wie Damberger, einen Hauptgrund, warum die Juden immer mehr mit Hass gegen das Christentum erfüllt worden sind.
Die dankbare Gesinnung der Juden gegen den Apostolischen Stuhl
Wenn wir nun die Frage aufwerfen, ob die Juden sich ihren wahren Freunden auch schon einmal erkenntlich gezeigt und dem Apostolischen Stuhl und dem katholischen Klerus ihren Dank ausgesprochen haben, so wird dem Leser nicht entgangen sein, daß wir bereits imstande waren, einige jüdische Dankesäußerungen gegenüber einzelnen Päpsten oder Mitgliedern des Klerus zu verzeichnen.
Wir haben erwähnt, wie der heilige Bernhard in einem jüdischen Tagebuch als Beschützer der verfolgten Juden gepriesen wird, und wie das Tagebuch ihm nachrühmt, daß er nicht um schnöden Gewinnes willen, sondern aus Nächstenliebe und durch sein Gerechtigkeitsgefühl getrieben gegen die Judenverfolgungen sein gewichtiges Wort einlegte. Wir haben auch von der Dankbarkeit der Juden gegen den höchstseligen Papst Pius IX. gesprochen, die sich nicht bloß in Worten, sondern auch in Taten kundgegeben hat.
Wir wollen nun noch beifügen, wie die dankbare Gesinnung der Juden gegen den Apostolischen Stuhl und den katholischen Klerus auch in einer öffentlichen Versammlung ihren feierlichen Ausdruck gefunden hat.
Die Sitzung des Sanhedrins am 5. Februar 1807
Kaiser Napoleon I. wollte, wie er die kirchenpolitischen Verhältnisse der katholischen Kirche in seinem Reiche durch eine Übereinkunft mit dem Apostolischen Stuhl geordnet hatte, auch die religiös-politischen Verhältnisse der Juden in Frankreich ordnen, und berief zu diesem Zweck die Rabbiner Frankreichs am 30. Oktober 1806 zu einer Synode – der große Sanhedrin genannt – nach Paris. In dieser Synode war es, wo die Gerechtigkeit und Liebe, die der Apostolische Stuhl und der katholische Klerus gegen die Juden stets an den Tag gelegt haben, eine glänzende Anerkennung fanden.
In der Sitzung des Sanhedrins am 5. Februar 1807 hielt der Abgeordnete Isaak Samuel Avigdor von Lyon eine Rede, in welcher er durch zahlreiche Beispiele aus dem Verlauf der christlichen Jahrhunderte das gerechte und liebevolle Verhalten des Apostolischen Stuhles und des katholischen Klerus gegen die Juden bestätigte.
Die Rede des jüdischen Abgeordneten Isaak Samuel Avigdor
„Um die Mitte des siebenten Jahrhunderts,“ so sprach der Redner, „verteidigte Gregor der Große die Juden, und nahm sie in der ganzen christlichen Welt in Schutz. Im zehnten Jahrhundert widerstanden die spanischen Bischöfe mit der größten Entschiedenheit dem Pöbel, der die Juden niedermetzeln wollte, und Papst Alexander II. beglückwünschte sie aufs anerkennendste wegen dieses weisen Verhaltens. Im elften Jahrhundert wurden die in den Diözesen von Uzés und Clermont in überaus großer Zahl vorhandenen Juden durch die Bischöfe mächtig beschützt. Der heilige Bernhard verteidigte sie im zwölften Jahrhundert gegen die Wut der Kreuzfahrer. Ebenso wurden sie von Innozenz II. und Alexander III. beschützt.
Im dreizehnten Jahrhundert schützte sie Gregor IX. in England, Spanien und Frankreich gegen großes Unheil, das ihnen drohte; er verbot unter Strafe der Exkommunikation, Gewissenszwang gegen sie anzuwenden oder ihre Feste zu stören. Klemens V. tat noch mehr; er beschützte sie nicht bloß, sondern erleichterte ihnen auch die Mittel, sich zu unterrichten. Klemens VI. gewährte ihnen zu einer Zeit, da man sie im ganzen übrigen Europa verfolgte, eine Freistätte zu Avignon. Gegen die Mitte des nämlichen Jahrhunderts hinderten es die Bischöfe von Speyer, daß sich die Schuldner der Juden, unter dem so oft wiederholten Vorwand des Wuchers, gewaltsam ihren Verpflichtungen entzogen.
In den folgenden Jahrhunderten schrieb Nikolaus II. an die – spanische – Inquisition, um sie zu hindern, die Juden zur Annahme des Christentums zu zwingen. Klemens XIII. beruhigte die jüdischen Hausväter, die das Schicksal ihrer Kinder bekümmerte, welche man oft aus den Armen der Mütter gerissen. Man könnte leicht noch eine ungeheure Menge solcher Werte der Liebe anführen, die von Seiten Geistlicher, welche ihre Pflichten als Menschen und Christen kannten, gegen die Israeliten in verschiedenen Zeiten geübt wurden.“
Erklärung der Dankbarkeit durch die jüdische Sanhedrin-Versammlung
Nachdem dann der Israelit Avigdor es beklagt hatte, dass das israelitische Volk noch nie seine Dankbarkeit für so große Wohltaten äußern konnte, lud er die Versammlung ein, bei gegenwärtiger Gelegenheit ihre Dankgefühle feierlich auszusprechen. Die ganze Versammlung zollte nicht nur dem Redner ihren Beifall, sondern legte auch in dem Sitzungsprotokoll vom 5. Februar 1807 die folgende Erklärung nieder:
„Die Abgeordneten der jüdischen Synode aus dem Kaisertum Frankreich und dem Königreich Italien, welche den 30. März vor Jahres ausgeschrieben wurde, beschließen, durchdrungen von Dank gegen die Wohltaten, welche von Seiten des christlichen Klerus im Laufe der früheren Jahrhunderte in den verschiedenen Ländern Europas den Juden zuteil wurden; ebenso voll Erkenntlichkeit für den Schutz, welchen verschiedene Päpste und andere Geistliche im Laufe der Zeiten in den mancherlei Ländern der Israeliten erwiesen, als noch Barbarei im Bunde mit Vorurteilen und Unwissenheit sie verfolgte und austrieb aus der menschlichen Gesellschaft:
dass der Ausdruck dieser Gesinnungen aufgezeichnet und in dem Protokolle dieses Tages niedergelegt werde, auf dass es zum immer währenden und urkundlichen Zeugnis der Dankbarkeit diene, welche die Israeliten dieser Versammlung für die Wohltaten hegen, die ihre Vorfahren von den Geistlichen der verschiedenen Länder Europas empfangen haben. Sie beschließen des Weiteren, daß eine Abschrift dieser Kundgebung Sr. Exzellenz dem Minister des Kultus eingeschickt werde.“ (Deharbe, Erklärung des kath. Katechismus, V. Bd., Religionsgeschichte, 1864, S. 611)
Es gab auch undankbare Juden
Wir sehen, wie das Bewusstsein von der Pflicht der Dankbarkeit, wie es die beiden Tobias, Vater und Sohn, dem Erzengel Raphael gegenüber einst kundgaben (Tob. 12), im Judenvolk noch nicht geschwunden ist, aber wie überall und bei allen Völkern gibt es auch bei den Juden undankbare Menschen, welche ihren Wohltätern mit Schmähungen und Verleumdungen die empfangenen Wohltaten vergelten. So sollen die Juden in Rom nach der Einnahme der ewigen Stadt durch die piemontesischen Truppen im Jahre 1870 an den König Viktor Emanuel eine Adresse eingereicht haben, die mit Ausdrücken kriechender Ergebenheit an die neue Regierung neben schmählichen Ausfällen gegen die päpstliche Regierung angefüllt gewesen sei.
Wir wollen nicht untersuchen, ob die Echtheit des Schriftstückes über allen Zweifel erhaben ist, wer die Verfasser der Adresse gewesen sind, unter welchen Einflüssen und Eindrücken sie abgefasst wurde, aber fragen dürfen wir doch, ob denn dieser Undank der römischen Juden nicht ganz verschwinde gegenüber dem gewiss viel schmachvolleren Undank, dessen sich selbst Christen gegen den Papst schuldig gemacht haben.
Viel undankbarer gegen den Papst waren jedoch Christen
Oder waren es nicht Christen, die in Rom den Papst verflucht und sich mit geladenem Gewehr vor der Wohnung des heiligen Vaters Pius IX. aufgestellt haben, um ihn sofort, wenn er sich blicken ließe, zu erschießen? Waren es nicht Kinder der Kirche, katholisch getaufte Christen, welche die gemeinsten Beschimpfungen, die niederträchtigsten Verleumdungen gegen den hochseligen Papst Pius IX. verbreitet, die Hand gegen den heiligen Vater und sein Besitztum erhoben, ihn vergewaltigt, seines Eigentums beraubt haben, und ihn jetzt noch in seinem Hause gefangen halten? Ist dieser Undank der Christen gegen den Vater der Christenheit nicht ein himmelschreiendes Verbrechen gegenüber dem Vergehen des Undankes, dessen sich römische Juden gegen den Papst schuldig gemacht haben?
Nur von den Priestern allein ist Schutz für die Juden zu hoffen
Dass aber nicht alle Juden mit dem Vorgehen ihrer Glaubensgenossen in Rom gegen den heiligen Vater einverstanden sein dürften, möchte aus dem Schreiben zu entnehmen sein, das Juden von Lyon an die israelitische Gemeinde in Rom gerichtet haben.
In diesem Schreiben geben die Lyoneser Juden den römischen Juden den guten Rat, sich mit den Italianissimi nicht zu tief einzulassen, und den Zorn der Priester nicht herauszufordern, denen sie zu großem Dank verpflichtet seien; die Zeiten könnten sich ändern, und man habe vielleicht von den Priestern allein wieder Schutz zu hoffen. So gibt es dankbare Leute und undankbare bei den Juden wie bei allen Völkern, und auffallend wäre nur das eine, wenn das Judenvolk allein eine Ausnahme von der Regel machte. –
aus: Friedrich Frank, Die Kirche und die Juden, 1892, S. 56 – 59
siehe auch den Beitrag: Die Stellung der Kirche zu den Juden
Bildquellen
- Sanhedrin1: wikimedia