Die Kirche und die Juden – Die Liebe von Pius IX. zu den Juden
Der unvergessliche Papst Pius IX. hatte im Jahre 1846 kaum den Apostolischen Stuhl bestiegen, als er seine väterliche Fürsorge auch dem Judenviertel in Rom, dem Ghetto, zuwandte. Es wurden verschiedene Anordnungen getroffen, um die gesundheitlichen Verhältnisse zu verbessern und den Stadtteil wohnlicher zu gestalten. Eine Deputation der Juden dankte dem heiligen Vater und machte ihm einen altertümlichen Kelch zum Geschenk, der im Ghetto schon Jahrhunderte lang aufbewahrt worden war. Der Papst nahm das Geschenk mit aller Herablassung an und sprach: „Meine lieben Söhne! Mit Vergnügen nehme ich euer Geschenk, indem ich euch dafür danke.“
Almosen für die armen Juden im Ghetto
Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, schrieb auf das erste Blatt Papier, das ihm in die Hände kam: „Gut für tausend Taler“, und setzte seine Unterschrift darunter. Dann fuhr er fort: „Nehmet dagegen auch meine kleine Gabe an und verteilt sie im Namen Pius IX. an die armen Familien im Ghetto!“ Dann gab er ihnen das Versprechen, dass er seine väterliche Fürsorge von ihren Glaubensgenossen niemals abziehen, sondern ihnen die nämliche Aufmerksamkeit widmen werde, wie den Christen, da er sein Herz keinem menschlichen Geschöpf, dessen Leitung ihm Gott anvertraut, verschlossen habe.
Erste Schritte zur Verbesserung der Lage der Juden in Rom
Der Papst fand auch bald eine Gelegenheit, zu beweisen, dass er sein Versprechen nicht vergessen habe. Seit unvordenklichen Zeiten bestand der Gebrauch, daß die israelitische Gemeinde zu Rom am ersten Tag der Fastnacht in feierlichem Zuge die jährliche Abgabe überbringen musste, die sie an die Rentkammer des Kapitoliums zu entrichten hatte.
Mit dieser demütigenden Feier wurden alljährlich die Lustbarkeiten der Winterszeit eröffnet. Einige Tage zuvor, ehe diese Feier stattfinden sollte, ließ der Papst den Israeliten zu wissen tun, dass sie nicht mehr verpflichtet seien, die Prozession nach dem Kapitolium vorzunehmen, und dass diese Ausnahmssteuer in nächster Zeit werde abgeschafft werden. Zugleich verordnete er, dass die Tore des Judenviertels, welche bis dahin regelmäßig allabendlich beim Ruf der Angelusglocke geschlossen wurden, fortan die ganze Nacht hindurch offen bleiben sollten, damit die Bewohner des Ghetto wie die übrigen Römer ungehindert ihren Geschäften oder Vergnügungen nachgehen könnten.
Dieser erste Schritt zu umfassenden Verbesserungen erfüllte die Juden mit unbeschreiblicher Freude. Viele trugen kein Bedenken, Pius IX. als den verheißenen Messias zu erklären, und die meisten schworen, ihm treu anzuhängen und erforderlichen Falles für ihn in den Kampf zu ziehen. Ihre Begeisterung verbreitete sich weit über die Grenzen des Kirchenstaates, und die Juden von ganz Italien vereinigten sich zu Kundgebungen ihrer Anhänglichkeit an Papst Pius IX.
Die Erlaubnis der Juden, sich außerhalb des Ghettos anzusiedeln
Im Dezember 1846 richtete der Tiberfluss durch eine Überschwemmung großen Schaden in der Stadt Rom, besonders im Ghetto an. Als eine Folge der Überschwemmung traten bösartige Fieber auf, welche die Bewohnerschaft des Ghetto in steter Todesangst erhielten. Da gestattete Papst Pius, daß die Juden den Ghetto verlassen und sich in anderen Stadtteilen ansiedeln durften. Damit aber kein Mangel an Wohnungen eintrete, berief der Papst sofort eine Kommission, welche die Aufgabe hatte, die Pläne zur Anlegung eines neuen Stadtteiles auszuarbeiten.
Beweis echter Nächstenliebe durch Papst Pius IX.
Im Sommer des Jahres 1847 sah Papst Pius, als er eines Tages eine Ausfahrt machte, in einer Straße Roms einen alten Mann ohnmächtig auf dem Boden liegen. Der edle, menschenfreundliche Papst ließ sogleich halten, und auf sein Befragen, wer der Arme sei, antwortete einer aus der gaffenden Menge: „Es ist nur ein Jude.“
Unwillig über diese lieblose Antwort rief Pius den Umstehenden zu: „Was sagt ihr da? Ist der Leidende nicht euer Mitbruder? Verdient er nicht unseren Beistand?“ Und von den Prälaten, die ihn begleiteten, unterstützt, richtete er selbst den alten Mann auf, ließ ihn in seinen Wagen bringen, führte ihn zu seiner Wohnung und verließ ihn nicht, bevor er das Bewusstsein wieder bei ihm erwachen sah. Dann schickte er ihm unverzüglich seinen Leibarzt und sorgte für die nötige Verpflegung.
Dass die Juden für solche Beweise echt christlicher Nächstenliebe nicht bloß in Worten, sondern auch im Herzen und in der Tat dem großen Papst dankbar waren, dürfte aus folgender Tatsache ersichtlich sein.
Ein reicher jüdischer Handelsmann von Livorno setzte in seinem Testament dem Papst ein Legat von 30,000 Talern aus. Als der Papst erklärte, dass er ein Vermächtnis, welches die Erben des Verstorbenen um einen so beträchtlichen Vermögensteil verkürze, nicht annehmen könne, gaben diese zur Antwort, es sei ihre Pflicht, sich in den Willen des Erblassers zu fügen, und sie selbst seien auch wohlhabend genug, um dieses leichte Opfer zugunsten des Wohltäters ihrer Glaubensgenossen tragen zu können. Da nun der Papst dieses Vermächtnis annehmen musste, teilte er es in zwei Hälften, wovon er die eine an die armen Israeliten von Livorno, die andere an die hilfsbedürftigen Bewohner des Ghetto in Rom verteilen ließ.
Pius IX. hielt trotzdem an der strengen Durchführung der Kirchengesetze fest
Trotz dieser großen Liebe zu den Juden und der wahrhaft väterlichen Fürsorge für dieselben hielt aber Papst Pius IX. unerbittlich an den Kirchengesetzen fest, wenn auch deren strenge Durchführung den Juden überaus schmerzlich fallen mochte, und trotz der heftigen Vorwürfe, die ihm von kirchenfeindlicher Seite darob gemacht wurden. Hierfür nur zwei Belege!
Die christliche Taufe eines jüdischen Jungen
In der Familie des Juden Mortara zu Bologna befand sich ein christliches Dienstmädchen, Anna Morisi mit Namen. Dieses Dienstmädchen taufte heimlich, ohne Wissen ihrer Dienstherrschaft, einen kleinen Sohn derselben, ein Jahr alt, der von einer schweren Krankheit befallen worden war und in Todesgefahr schwebte. Der Knabe wurde wider Erwarten wieder gesund, und als die geistlichen Behörden von der Taufe Kenntnis erhielten, wurde eine genaue Untersuchung angeordnet, die ein ganzes Jahr in Anspruch nahm.
Das Ergebnis der Untersuchung war, dass der getaufte Knabe, Edgar Mortara, am 24. Juni 1858 aus dem elterlichen Hause entfernt und in das Katechumenhaus in Rom gebracht wurde, um ihn daselbst in der christlichen Religion zu unterrichten und christlich zu erziehen. Darüber entstand ein großer Lärm in Italien, England, Frankreich, Deutschland, in den Zeitungen wurde der Papst der abscheulichsten Tyrannei beschuldigt, sein Verfahren als ein unerhörter Eingriff in die elterlichen Rechte gebrandmarkt, als die grausamste Unterdrückung und Verfolgung der unschuldigen Juden hingestellt.
Was das Kirchengesetz in diesem Fall besagt
Zur richtigen Beurteilung des Falles darf man sich aber nur an die Kirchengesetze erinnern, welche verlangen und selbstverständlich verlangen müssen, dass getaufte Kinder in der christlichen Religion unterrichtet und christlich erzogen werden. Von dieser Forderung kann und wird ein Papst niemals dispensieren. Dagegen ist es jedoch auch streng verboten, unmündigen Kinder jüdischer Eltern ohne deren Wissen die heilige Taufe zu erteilen, weil man eben die misslichen Folgen verhüten will, die aus einer solchen Taufe entstehen können.
Sodann haben wir schon wiederholt erwähnt, wie es eine alte kirchliche Forderung ist, dass die Juden keine christlichen Dienstboten halten sollen. Gewiss liegt auch dieser Forderung nebst anderen Beweggründen die Absicht zu Grunde, es solle dadurch verhütet werden, dass christliche Dienstboten aus Übereifer oder Mitleid unmündige Judenkinder taufen. Da im Kirchenstaat diese kirchliche Forderung allgemeines und altbekanntes Gesetz war, hatten Edgar Mortaras Eltern es nur ihrer Gesetzesübertretung zuzuschreiben, daß ihr Kind ihnen genommen wurde, um es fern von ihnen in der christlichen Religion zu unterrichten und zu erziehen.
Durch die Wahrnehmung, dass in Bologna ein Christenmädchen bei Juden diente, wurde Papst Pius veranlasst, auch in Rom Nachforschung zu halten, ob Christen bei Judenfamilien dienten, und es ergab sich, dass in den jüdischen Familien Roms zwölf christliche Dienstboten sich befanden. Diese mussten sofort entlassen werden, und die jüdischen Dienstherren hatten zur Strafe für ihre Gesetzesübertretung eine Geldbuße zu entrichten.
Die Taufe eines Judenknaben aus eigenem Antrieb heraus
Zwei Jahre später, im Jahre 1860, wurde in Rom ein Judenknabe getauft, der aber selbst aus eigenem Antrieb die heilige Taufe verlangt hatte. Es war der elfjährige Coёn, den seine Eltern zu einem christlichen Schuhmacher in die Lehre gegeben hatten. Als der mit einem hellen Verstand begabte Knabe die christliche Religion hier näher kennen gelernt hatte, fasste er den Entschluss, die heilige Taufe zu empfangen. Diesen Entschluss erklärte er fest und entschieden vor mehreren Kommissionen und zuletzt auch vor dem heiligen Vater Pius, worauf er am Festtag des heiligen Michael feierlich getauft wurde. Ein Kardinal und eine neapolitanische Prinzessin vertraten dabei die Patenstelle.
Die Eltern Coёns, welche mit dem Schritt ihres Sohnes nicht einverstanden waren, hatten die Vermittlung des französischen Gesandten in Rom angerufen, welcher über den Fall an die Regierung in Paris berichtete, und von dort die Weisung erhielt, er solle bei der päpstlichen Regierung dahin wirken, daß die Taufe des jungen Coёn unterbleibe, und dass derselbe zu seinen Eltern zurückgebracht werde. Als der französische Gesandte dem Kardinal-Staatssekretär Antonelli hiervon Mitteilung machte, erklärte dieser, dass genau nach der Konstitution des Papstes Benedikt XIV. vom 18. Februar 1747 verfahren und dem wiederholt und entschieden kund gegebenen Willen des jungen Coёn stattgegeben werden müsse.
Der Gesandte berichtete hierüber neuerdings nach Paris, und nun kam ein eigenhändiger Brief des Kaisers Napoleon, worin er den Papst um die Freigabe des Judenknaben ersuchte und ihn bat, demselben die heilige Taufe nicht zu spenden. Doch der Papst blieb unerschütterlich in der Beobachtung der kirchlichen Vorschriften und antwortete ganz einfach dem Kaiser: „Wir können nicht.“
Die Liebe von Papst Leo XIII. zu den Juden
Fragen wir, welche Gesinnungen unser gegenwärtiger, glorreich regierender Papst Leo XIII. gegen die Juden hegt, so dürfen wir unbedenklich antworten, dass es ganz dieselben Gesinnungen sind, die auch seinen großen Vorgänger Pius IX. gegen sie beseelten. Papst Leo XIII. trägt auch gegen die Juden jene Liebe in seinem Herzen, die der göttliche Heiland in seiner Gleichnisrede vom barmherzigen Samaritan so anmutig geschildert hat. Er hat das, um nur einen einzigen Fall zu erwähnen, erst vor kurzem gezeigt, als die große Aufregung des christlichen Volkes gegen die Juden in Korfu zum Ausbruch kam, und man befürchten musste, dass sämtliche Juden in Korfu getötet und ihre Häuser niedergebrannt würden.
Sofort meldeten damals die öffentlichen Blätter, der heilige Vater habe an die katholischen Geistlichen in Korfu die Weisung ergehen lassen, sie sollten das christliche Volk zu beruhigen und von gewaltsamen Schritten gegen die Juden abzuhalten suchen. Dieser Weisung hat die katholische Geistlichkeit auch Folge geleistet, und den vereinten Bestrebungen der geistlichen und weltlichen Behörden ist es gelungen, eine blutige Verfolgung der Juden fernzuhalten.
So ist Papst Leo XIII. bemüht, die Juden gegen ungerechte Angriffe von Seiten ihrer christlichen Mitbürger zu schützen, er hat aber auch schon vor seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl gezeigt, wie die Christen gegen Übervorteilung und Ausbeutung durch die Juden zu schützen sind. –
aus: Friedrich Frank, Die Kirche und die Juden, 1892, S. 35 – 38
siehe auch den Beitrag: Die Stellung der Kirche zu den Juden
Lesetipp: Das Wunder vom Judenknaben im Glasofen