Blutschuld der Todsünder durch Verführung zu fremden Sünden
Eine solche, und zwar vielfache Blutschuld laden auch jene Menschen auf sich, welche andere zu schweren Sünden verleiten; denn sie töten dadurch das übernatürliche Leben der Kindschaft an der eigenen Seele; sie töten dasselbe an den Verführten, und machen sich und sie des Leidens und Sterbens, des Blutes Christi, des Herrn schuldig. Daher schreibt der heilige Augustin: „Auf die traurigste Weise vergießen jene Blut, welche Christum, so viel an ihnen ist, in einem Menschen töten.“ –
„Der Teufel wird ein Menschenmörder genannt, und er ist nicht mit einem Schwert bewaffnet, nicht mit Eisen gegürtet, zum Menschen gekommen; sondern er hat ein böses Wort gesät, und ihn dadurch getötet. Glaube also nicht, daß du kein Menschenmörder seiest, wenn du den Bruder zum Bösen beredest; wenn du den Bruder zum Bösen beredest, tötest du ihn.“ Die Sünde ist die Ursache des Todes im Reiche der Natur, im Reiche der Gnade und im Reiche der Hölle, Ursache des Todes Christi.
Als solche Ursache und als eine Blutschuld, welche der Verführer an den Verführten und an Christus, dem Herrn, begeht, bezeichnet auch der heilige Apostel Paulus die Verführung; denn er sprach in der Abschiedsrede zu Milet an die um ihn versammelten Bischöfe und Priester: „Ich bezeuge an dem heutigen Tage, daß ich rein bin am Blute aller. Denn ich habe mich nicht entzogen, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkünden. Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in welcher euch der heilige Geist zu Bischöfen gesetzt, die Kirche Gottes zu regieren, die er mit seinem Blut erworben hat. Ich weiß, daß nach meiner Abreise reißende Wölfe unter euch kommen werden, die der Herde nicht schonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die Verkehrtes reden werden, um die Jünger zu sich wegzuziehen.“ (Apg. 20, 26-31)
Der Apostel erklärt sich für „rein vom Blute aller“, weil er für das Heil jener Seelen getan, was er tun konnte; er erklärt aber eben dadurch jene für nicht rein vom Blute derselben, welche die Ursache ihres Verderbens und ihres Unterganges sein würden; er nennt die Verführer der selben „reißende Wölfe“, die nach Blut lechzen, und Leben zerstören; er weist darauf hin, daß diese Seelen „das Blut Christi“ gekostet haben, welches in denselben durch die Verführung verloren gehe; er lehrt damit klar und bestimmt, daß die Verführer des Blutes dieser Seelen und des Blutes Christi sich schuldig machen, und eine doppelte Blutschuld auf sich laden. Christus, der Herr, selbst spricht von solchen Verführern, namentlich wenn sie sich als Hirten seiner Schäflein aufdrängen, die noch schrecklicheren Worte: „Alle, so viele ihrer kamen, sind Diebe und Mörder. –
Ein Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu morden, und zu verderben.“ (Joh. 10,8 u. 10) Welche Schuld laden daher jene Menschen auf sich, welche in Worten und Taten, durch Schriften und Bilder, durch ärgerliche Beispiele und verführerische Geschenke und Verheißungen, durch List und Gewalttätigkeit ihre Mitmenschen zum Sündigen verleiten! Wie Christus von dem Verkäufer und Verräter seines Blutes gesagt hat: „Es wäre ihm besser, wenn dieser Mensch nicht geboren worden wäre“ (Matth. 26,24); so sprach er auch von jedem solchen Verführer: „Wer eines von diesen Kleinen, die an mich glauben ärgert, dem wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt, und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.“ (ebd., 28,6)
Göttliche Strafgerichte durch Verführung zur Sünde
Der Herr spricht auch von den göttlichen Strafgerichten, welche wegen dieser Verführungen, die er Ärgernisse nennt, über einzelne Menschen, und auch über die Welt, welche davon voll ist, kommen, und sagt: „Wehe aber dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!“ (ebd., 28,7) und: „Wehe der Welt um der Ärgernisse willen!“ (ebd.) Wie groß aber ist die Schuld derjenigen, welche vor Gott die Pflicht haben, andere vor der Verführung und vor der Sünde zu schützen, und zu bewahren, wenn sie die Lämmlein Christi den Wölfen preisgeben, oder selbst Wölfe sind! Der heilige Paulus sagt: „Wenn aber jemand für die Seinigen, und besonders für die Hausgenossen, nicht Sorge trägt; der hat den Glauben verleugnet, und ist ärger, als ein Ungläubiger.“ (1.Tim. 5, 8)
Wie Christus, der Herr, nicht aufhört, sein blutiges Opfer auf unblutige Weise für die Menschen darzubringen; so hören auch die Menschen nicht auf, sich des Blutes ihres göttlichen Erlösers auf unblutige Weise schuldig zu machen, und eine so entsetzliche Blutschuld auf sich zu laden, so lange es Unglückliche gibt, welche unwürdig kommunizieren, oder andere zur Sünde verführen, oder auch nur selbst schwere Sünden begehen. Was sind doch das für unbegreifliche Geheimnisse der Liebe des Herrn, und was für schauerliche Geheimnisse der Bosheit der Menschen! Wie in seinem Leiden und Sterben, gehen seine wunderbare Erbarmung und der verbrecherische Undank der Menschen immerfort neben einander her. Welches Weltgericht wird sich daraus einst ergeben? –
aus: Georg Patiss SJ, Das Leiden unsers Herrn Jesu Christi nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin, 1883, S. 185 – S. 187