Schmerz über die Sünden
Um diese Gemütsbewegung in uns zu erwecken, welche eine der wichtigsten und notwendigsten ist, bedarf es nur des Gedankens, daß wir selbst die Ursache des bitteren Leidens sind, daß unsere Sünden den Heiland in Haft und Bande, zur Geißelung und Dornenkrone und zuletzt ans Kreuz geliefert haben, laut Erklärung des ewigen Vaters selbst durch den Mund des Propheten: Um der Sünde meines Volkes willen schlug ich ihn. (Isai. 53, 8). Er ist verwundet – so heißt es bei demselben Propheten – um unserer Missetaten willen, zerschlagen um unserer Sünden willen (ebd. 5).… Gott den Herrn haben wir dahin getrieben, seinen eingebornen Sohn zum Opfertode zu liefern, und diesen, sich solcher strengen Gerechtigkeit zu unterwerfen.
Ach! Was haben uns Beide jemals getan, um sie also zu behandeln? Wenn wir den Heiland im Ölgarten in ein Meer von Traurigkeit und Angst versenkt sehen; wenn wir ihn grausam gegeißelt und zerfleischt, dem Mutwillen einer zügellosen Rotte preisgegeben, an einem Schandbalken ihn unter unnennbarer Schmach und Qual sterben sehen: welchen Grund, welche Entschuldigung können wir dann für solche Leiden, die wir auf sein Haupt laden, ihm anführen? Welchen Vorwurf können wir ihm machen und welche Klage über ihn erheben? Üben wir solches Unmaß von Bosheit gegen ihn aus, weil er uns aus dem Nichts gezogen, in dessen finsterem Schoße wir ohne ihn noch lägen? Weil er uns über alle andern irdischen Geschöpfe erhöht? Weil er die ganze Welt zu unserm Dienst angeordnet und uns seiner eigenen Herrlichkeit fähig gemacht hat? Solche Wohltaten und Auszeichnungen, welche zur innigsten Dankbarkeit und Liebe entflammen sollten, vergelten wir mit Schmach, Hohn und Qualen. – So haben wir denn keine Ursache, also mit ihm zu verfahren, und sind nicht im Stande, etwas zu unserer Rechtfertigung vorzubringen.
Dagegen kann der gute Heiland in seiner Betrübnis, unter dem Hagel grimmiger Streiche, in all seinem Blute, bei den unwürdigen Misshandlungen und auf seinem Todesbett die bittersten Klagen wider uns führen!… – Ein Jeder von uns kann wohl und zwar mit größerem Rechte das Nämliche von sich selber sagen in der Bitterkeit seiner Seele: Ich bin die Schuld am Tode des Sohnes Gottes, meines Erlösers; meine Sünden und boshaften Taten sind es, die ihn getötet haben. –
aus: de Saint-Jure SJ, Das Buch der Auserwählten, 1851, S. 118 – S. 121
siehe auch den erweiterten Beitrag: Der notwendige Schmerz über unsere Sünden