Die läßliche Sünde ist eine Beleidigung Gottes
Betrachtung über die läßliche Sünde.
(Größtenteils aus dem Franz. des ehrw. P. L. Bourdaloue S. J.)
»Betrübet nicht den heiligen Geist Gottes!« Ephes. Kap. 4, Vs 30.
Gewöhnlich hält man die läßliche Sünde für „nichts“, oder doch eben für „nichts Besonderes“ (1) und auch ich habe dieser falschen Meinung gehuldigt; wenn ich aber die Natur der „läßlichen Sünde“ recht erkannt hätte, dann würde ich ganz anders über sie geurteilt, und würde auch weit sorgfältiger, als es bisher von mir geschehen, mich vor ihr gehütet haben! (2) Halte ich sie nun gleich für noch erläßlich, so ist sie doch immer eine Beleidigung Gottes; soll ich mithin die läßliche Sünde nicht auf das Sorgfältigste meiden, durch welche ich ja Gottes Mißfallen mir zuziehe? Ist sie gleich, ihrem Charakter nach, keine Feindschaft mit Gott bis zum Bruch der Treue (3), so erweiset sie zweifelsohne sich doch als eine Beleidigung (4) Gottes; steht dies nun aber fest, so muss ich mich auch weit mehr vor ihr fürchten, als vor allen zeitlichen Übeln, welche nur mich selbst angehen; denn das geringste Übel, welches Gott betrifft, es ist ja weit größer, unendlich weit größer, als jedwedes andere Übel, welches nur die Kreatur betrifft. Wenn ich diese Sünde nun gleich für noch so erläßlich halte, so läßt sich doch keinerlei Ursache erdenken, um deretwillen sie mir jemals erlaubt sein könnte; denn wenn sie mir erlaubt sein könnte, so würde sie ja aufhören, Sünde zu sein; ferner, wenn ich sie gleich für noch so erläßlich halte, so ist es doch ganz gewiß, daß sie niemals mit mir, und auch ich nicht mit ihr in das ewige Himmelreich eingehen werde; denn „nichts Unreines“, heißt es in der Offenbarung (5), „wird in dasselbe eingehen“ Wenn bei allen meinen Verdiensten, und bei aller Heiligkeit, welche ich erlangt haben könnte, meine Seele, indem sie aus diesem Leben scheidet, mit einer läßlichen Sünde, welche ich durch die Buße nicht getilgt habe, noch befleckt ist, so bildet sie allein ein Hindernis (6) meiner Seligkeit, so hindert sie mich allein an dem Besitze Gottes, und meine Seele muss so lange noch von Gott getrennt bleiben, bis sie für diese Sünde gebüßt hat; sie muss in dem Fegefeuer zuvor gereinigt werden, ehe sie in den Schoß Gottes gelangen kann. Wie streng hat Gott aber auch schon in dieser Welt die läßliche Sünde bestraft! Er ließ um einer einzigen, aus Eitelkeit und Hochmut hervor gegangenen Tat David’s willen „siebenzig-tausend Mann“ (7) durch „eine Pestilenz“ in „Israel“ umkommen, und ließ Er nicht vor der Bundeslade Oza, einen „Leviten“, tot zur Erde niederfallen (8), weil dieser die „Lade Gottes“ nur angerührt (9) hatte! Wie töricht ist es daher von mir, daß ich mit solcher Leichtigkeit eine Sünde begehe, welche so strenger Strafe mich aussetzt! Aber nicht nur töricht ist es, sondern es ist auch schändlich, es ist abscheulich, und höchst verdammlich, daß ich, da ich meinem Herrn und Gott ja Alles zu verdanken, ja Alles von Ihm empfangen habe, anstatt auf das Innigste Ihm zu danken und aus Herzensgrund Ihn zu lieben, mich so schnell und so leicht zu einer Sünde verleiten lasse, durch welche ich eine Beleidigung Ihm zufüge.
Ach, wie oft beleidige ich Ihn durch läßliche Sünden, ja, wie so oft! Ihre Menge, sie ist in der Tat unendlich! Von tiefstem Seelenschmerz ergriffen, sprach der heilige König David zu Gott, dem Herrn: „Meine Sünden haben mich ergriffen, und ich konnte nimmer sehen“ (vermochte nicht, sie zu übersehen wegen ihrer großen Menge); „sie sind zahlreicher, als die Haare meines Hauptes, und mein Herz hat mich verlassen! (10) Wenn ich nun bei meinem so sehr nachlässigen, so höchst unvollkommenen Leben alle meine Sünden, auf die ich sonst gar nicht achte, die ich geradezu für nichts (11) halte, einmal zusammen rechnen würde, indem Gott sie insgesamt mir deutlich vor Augen stellte, wie hoch würde sich da ihre Zahl belaufen, welch’ eine unglaublich große Zahl würde da sich ergeben! Zwar vermag ich selber es hienieden durchaus nicht, sie mir insgesamt klar vor Augen zu stellen, Gott aber sieht sie alle; ist nun dieses, und ist der Umstand, daß ich weiß, sie seien unzählig, nicht entschieden hinreichend, nicht vollkommen genügend, um ihretwegen von tiefster Betrübnis ergriffen, ihretwegen gleichsam untröstlich zu sein! Wie viel’ Sünden der Unwissenheit finden sich nicht, welche daher entstanden, weil ich meine Pflichten vergessen habe, weil ich mich nicht davon habe unterrichten, nicht von Anderen darüber habe belehren lassen, und weil ich aus stolzer Einbildung mir nur selbst habe glauben wollen, – wie viel’ Sünden der Unvorsichtigkeit und Unachtsamkeit, welche von meiner Zerstreuung, von meiner Leichtsinnigkeit, von meinen zu freien Reden, von meinen verwegenen Urteilen, und von meinem boshaften Verdacht herrühren, – wie viel’ Sünden der Schwachheit und Gebrechlichkeit, welche daraus entsprangen, daß ich gewohnt war, mir in keiner Sache einen Zwang anzutun, in allen Stücken den Trieben der Natur zu folgen, und meine Neigungen, mein Temperament nicht zu zügeln! Wie viele Sünden finden sich gleichzeitig aber auch, welche ich aus Bosheit, welche ich mit voller Überlegung, welche ich vorsätzlicher (12) Weise gegen die ernstesten, eindringlichsten Mahnungen meines Gewissens bei jeder Gelegenheit, und um der geringsten Ursache willen unter dem Vorwand begangen habe, daß es ja nur läßliche (13) Sünden seien, und daß Gott ja keine ewigen Strafen damit verbunden hätte!
Hierdurch lege ich denn nun aber auf das Allerdeutlichste an den Tag, daß ich gegen Gott sehr gleichgültig bin, und daß ich nur auf meinen eigenen Vorteil und Nutzen sehe. Prägt sich dies nicht in meinem ganzen Lebenswandel aus? Nun ist es freilich wohl wahr, daß es nicht gut möglich ist, sich in dieser Welt vor allen läßlichen Sünden zu hüten, und gar keine (14) zu begehen, – eine traurige Notwendigkeit, welche die Heiligen während ihres Erdenwandels zu so vielen, vielen Seufzern veranlaßte, welche sie bewog, den Tod zu ersehnen, und welche Paulus, den heiligen Völkerapostel in den Ausruf ausbrechen ließ: „Ich unseliger Mensch! Wer wird mich von dem Leibe dieses Todes befreien?“ (15) Allein, es ist auch nicht eine einzige unter diesen Sünden insbesondere zu finden, welcher ich nicht zuvor kommen und von welcher ich mich nicht hüten konnte! Wie sehr würde ich also ihre Anzahl zu vermindern vermögen, wenn ich nur wollte, und wenn ich auf mich besser Achtung gäbe! Aber, anstatt sie zu vermindern, da vermehre (16) leider! ich sie alle Tage noch bedeutend!
Welches sind nun die Folgen der läßlichen Sünde? Sie sind weit, weit beklagenswerter, als ich vielleicht jemals sie mir vorgestellt habe! Denn die läßliche Sünde führt zur Todsünde, gleichwie die Krankheit schließlich zum Tode führt! Wenn mir also die Wohlfahrt meiner Seele wirklich am Herzen liegt, so muss ich mich in Ansehung der läßlichen Sünde ebenso verhalten, wie ich mich in Ansehung einer Krankheit verhalte, welche mir bevorsteht, oder von welcher ich plötzlich überfallen worden bin; was tue ich da nicht Alles, um gleich zu Anfang ihr Einhalt zu gebieten, was tue ich da nicht Alles, um sie zu heben, um sie gründlich zu beseitigen, damit ich nicht wiederum in sie verfalle, die ja zum Tode führen kann! Durch die läßliche Sünde gerät die Seele in einen krankhaften Zustand; denn „sie schwächt in ihr die Liebe Gottes“, und da sie eine Beleidigung Gottes ist, so raubt sie ihr viele Gnaden, viele Tröstungen und Verdienste für den Himmel; während „durch die Todsünde“, sagt der heilige Laurentius Justiniani, „die Axt an die Wurzel des Baumes gesetzt wird, wird durch die läßliche Sünde gleichsam die Rinde des Baumes verwundet, wodurch er zu erkranken beginnt.“ Die läßliche Sünde, welche also „zwar nicht der Tod unserer Seele, wohl aber eine Krankheit, die sie entstellt“ (17) und ein Übel ist, das uns zeitliche Strafen in dieser, oder in jener Welt zuzieht, sie verleitet uns aber auch nach und nach zu schwereren, zu schweren Sünden; „fliehet“, mahnt daher St. J. Chrysostomus, fliehet „die kleinen Sünden; denn es entstehen große daraus!“ Ja, ich will sie fliehen, angelegentlichst fliehen; denn „der böse Geist führt uns durch sie allmählich ja dahin, daß wir auch in den größten Dingen treulos werden“ (18); „wer aber selbst die geringsten Sünden verabscheut, der verabscheut gewiß große Sünden. noch um soviel mehr“ (19); ja, ich will sie sorgsamst fliehen, die läßliche Sünde, durch welche ich mich von dem Vaterherzen Gottes entferne, durch welche ich Ihn, die ewige Liebe, beleidige, und will über Alles sie hassen, – sie, „nach der Todsünde das größte aller Übel!“ (20)
(1) „Wenn der Herr sagt, daß die Menschen über ein jedes unnütze Wort, was sie reden, am Tage des Gerichtes Rechenschaft geben müssen“ (Matth. 12, 36.), so darf man durchaus nichts für gering achten; wer mag es wagen, irgend eine Sünde gering zu nennen, da der hl. Apostel sagt, daß „du durch Übertretung des Gesetzes Gott entehrest“ (Röm 2, 23.)?“ St. Basilius, der Große.
(2) „Je weniger man die läßlichen Sünden beachtet, desto häufiger begeht man sie!“ (St. Augustinus)
(3) „Die wahre Treue gegen Gott besteht darin, daß man sich auch vor geringen Fehlern hütet.“ (Der hl. Franz von Sales.)
(4) „Wer wie ein liebender Sohn, und nicht wie ein Sklave Gott dient, der scheut sich auch im Kleinen Ihn zu beleidigen.“ (St. Basilius.)
(5) Kap. 21, Vs 27.
(6) Die läßliche Sünde, welche „Gott den Vater erzürnt, Gott den Sohn beleidigt, Gott den heiligen Geist betrübt“, „bewirkt zwar nicht den Verlust der himmlischen Erbschaft, aber doch eine Verminderung derselben, und beraubt uns zwar des Anspruches auf den Himmel nicht, wohl aber verzögert sie den Besitz desselben.“ (P. Stöger S.J.)
(7) 2. Kön. Kap. 24, Vs 15.; 1. Paralip. 21, 14.
(8) 2. Kön. Kap. 6, Vs 6 – 7.
(9) Sh. 4. Mos. Kap.4, Vs 14 – 15.
(10) Psalm 39, Vs 13.
(11) „Bedenke es wohl, daß die Menge solcher Sünden niemals etwas Geringes sei, wenn sie gleich, ihrem Wesen nach, von geringerer Bedeutung sind! Sofern du sie nicht fürchtest, da du sie wägest, so fürchte sie wenigstens, wenn du sie zählest!“ „Sie scheinen zwar ziemlich klein nur zu sein; aber, durch ihre Menge ziehen sie niederwärts! Auch ein Getreidehaufen besteht aus nur sehr kleinen Körnern, und doch werden ganze Schiffe damit beladen, und überladet man sie, so gehen sie unter! Der Regen besteht ebenfalls nur aus lauter kleinen Tropfen; aber, ihre Menge bewirkt Überschwemmungen und Verheerungen!“ „Eure große Woge vermag es, ein Schiff zu vernichten; aber auch dann, wenn nur nach und nach Wasser in das Schiff eindringt, wird dieses, wenn man nicht weiter darauf achtet, davon angefüllt, und es versinkt!“ (St. Augustinus.)
(12) „Etwas ganz Anderes ist es, aus Übereilung sündigen, als aus Überlegung sündigen; denn oft begeht man aus Übereilung eine Sünde, welche man bei ruhiger Überlegung entschieden verdammt. Es pflegt aus Schwachheit zu geschehen, daß man das Gute zwar liebt, jedoch es nicht vollbringen kann; aber vorsätzlich sündigen, was heißt dies wohl anders, als: Das Gute weder lieben, noch es tun!“ (St. Gregor, der Große)
(13) Niemand sage in seinem Herzen: „Es schadet nicht, kleine Sünden zu begehen, und darin zu verharren!“ Denn dies ist Lästerung wider den heiligen Geist, also sehr schwere Sünde.“ (St. Bernardus)
(14) „In vielen Dingen fehlen wir Alle.“ Jakob. Kap. 3, Vs 2
(15) Röm Kap. 7, Vs 24.
(16) „Wenn aber die geringen Sünden sich in uns anhäufen, so werden sie uns ebenso beschweren und niederdrücken, als wie irgend eine große Sünde.“ (St. Augustinus)
(17) P. Stöger, S. J. – (18) St. Theresia – (19) St. Laut. Justiniani. – (20) P. Stöger
aus: Misereri mei Deus, Vollständiges Beicht-Büchlein für fromme Christgläubige jedes Standes und Alters, 1867, S. 12-21