Die indischen Messiashoffnungen

Die indischen Messiashoffnungen – Maitreya

Die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Zeitalter war ebenso allgemein als die Trauer um das verlorene goldene Zeitalter. Sie gründete sich einmal auf die dunkle Erinnerung, daß der Mensch einst bessere Zeiten erlebt und wieder bessere zu erwarten habe, sodann auf das allgemeine Sündenbewusstsein, welches das Verlangen nach Erlösung in der Menschenbrust unwillkürlich erzeugt. Diese Hoffnung ist nicht nur bei vielen Völkern, selbst bei einzelnen Wilden der ozeanischen Inseln (Sandwich-Inseln), in das Gewand eines Mythus gekleidet, welcher an die Szene mit der Schlange im Paradies erinnert, sondern äußert sich häufig auch in dem Bild eines persönlichen Erlösers, welcher mit dem jüdischen Messias mehr oder weniger Ähnlichkeit aufweist.

Die indischen Messiashoffnungen sind im Vishnuismus zum Ausdruck gekommen, denn die ältere Lehre von dem Mittler zwischen Gott und den Menschen Mithra und Agni stellt nur die allgemeine Lehre der Religion von der Vermittlung dar, wenn auch bei Agni, welcher die Rolle des Mithra übernahm, die Priesterwürde sehr in den Vordergrund tritt, so daß er als das von der Gottheit den Ariern gesandte Licht, als der Erlöser von Sünde und Schuld, als Retter und Wiederhersteller des Freundschafts- und Bruderbundes zwischen Gott und den Menschen erscheint. Wenn in einem Hymnus selbst der Wunsch ausgedrückt wird, daß er in Menschengestalt als Priester sich auf Erden niederlassen möge, so beweist dies allerdings das sehnsüchtige Verlangen der Inder nach Erlösung und Versöhnung, aber der eigentliche messianische Gedanke ist doch erst im Keime vorhanden. Er kam erst im Vishnuismus zur Erscheinung. Dieser bildet neben dem Shivaismus eine der großen Religionen, welche den heutigen Hinduismus beherrschen. Der Ursprung beider liegt im Dunkeln, sie haben aber ihre Wurzeln in der alten vorbrahmanischen Volksreligion. Historisch sicher beglaubigt tritt uns der Vishnuismus erst seit dem 12. Jahrhundert entgegen. Vishnu ist im Rig-Veda ein Sonnengott von untergeordneter Bedeutung, ist aber im Laufe der Zeit zu einer sehr hohen Stellung in der indischen Religion empor gestiegen. Er verdankt diese Stellung seiner Begegnung mit Krishna. Die Verbindung bzw. Identifikation beider ist durch die Lehre von den Avatara oder Verkörperungen (nicht Inkarnationen) des Vishnu zu erklären, welche in den Nationalepopöen Mahabharata und Ramayana verherrlicht sind. Die Zahl der Avatara ist verschieden, 10, 22, 24; doch ist 10 die gewöhnliche.

In den vier ersten hatte Vishnu die Gestalt eines Tieres, zuerst eines Fisches, als welcher er das Schiff des Manu in der großen Wasserflut rettete; dann einer Schildkröte, als welche er den Göttern aus dem Meer eine Anzahl wertvoller Schätze heben half. Als Bär besiegte er einen bösen Dämon und brachte die Erde aus dem Wasser wieder zum Vorschein; als Mannlöwe befreite er die Welt von dem Joch eines frevelhaften Tyrannen. Im folgenden Welt alter überwand er einen andern Wüterich in der Gestalt eines Zwerges. Die sechste Verkörperung war die als Perasu Rama, eines Brahmanen, der die Übermacht der Kriegerkaste vernichtete. Die siebente Verkörperung war ein anderer Rama, der Gemahl der Sita, der Feind Ravanna`s, der Held des Ramayana, dessen Name in ganz Indien gefeiert wird. Die achte war Krishna, die neunte Buddha, die zehnte ist noch zu erwarten.

Wenn die Bosheit in der Welt ihren Höhepunkt erreicht haben wird, so wird Vishnu als Kalki auf den Wolken erscheinen, um die Bösen zu strafen und die Guten zu erlösen. Er wird eine allgemeine Umgestaltung der Dinge herbei führen. Alle Kasten werden verschwinden, und eine allgemeine Verbrüderung der Menschen wird stattfinden. Hier sind deutlich die Eigenschaften eines Messias zu erkennen. Denn Vishnu erscheint als ein Gott vom Himmel, und wenn er auch nicht als Inkarnation, sondern durch Einwohnung unter den Menschen persönlich wird, so wird diese persönliche Erscheinung namentlich in der Verkörperung als Krishna doch so realistische beschrieben, daß sie der Idee eines Erlösers der Menschheit entspricht. Eine Beziehung zu dem erstenMenschenpaar, welches durch seine Sünde (Vermischung) das Menschengeschlecht ins Unglück stürzte, tritt hier, wie fast bei allen derartigen Sagen und Mythen, auffallender Weise zu Tage. Die Eltern der Avatara sind immer so ziemlich dieselben und treten nur in einer andern Geburt und mit anderen Namen auf.

Bei Krishna heißen sie Vasudeva und Devaki; ursprünglich hießen die Kassiopa und Diti (Aditi). Gott ist also in menschlicher Gestalt zu den Menschen gekommen, und die Lehrer derselben (Guru) sind die sog. Inkarnationen, die lebendigen Repräsentanten der Gottheit. Bis auf den heutigen Tag hoffen die Inder auf diese zehnte Avatara. Die mächtigen Volksreligionen, in denen Frömmigkeit gegen einen erlösenden Gott, den glücklichen Krishna, gegen Shiwa, den höchsten Herrn, manchmal auch gegen Aditya, den Sonnenherrscher, geübt wird, zeigen den tieferen Zug der späteren entarteten indischen Religion zu einem Erlöser.

Die Übereinstimmung in der Darstellung dieser Inkarnationen mit der christlichen Lehre ist oft täuschend; doch läßt sich beim Mangel sicherer historischer Angaben nicht beweisen, daß die christliche Lehre darauf eingewirkt hat… Die Inkarnation des Buddha ist insofern von besonderer Bedeutung, als damit eine heute viele Millionen von Bekennern zählende Religion dargestellt wird. Buddha wollte wirklich eine Erlösung von dem Übel der Welt bringen, aber eine Erlösung, welche in der Verachtung der irdischen Dinge gipfelt und im allgemeinen Nichts, im Nirvana, ausläuft. Er bietet eine Erlösung ohne Erlöser, eine Befreiung ohne Retter an. Er repräsentiert nicht den Erlöser von der Sünder der Welt, sondern höchstens den Befreier unter der Bedingung, daß man seine Gebote befolgt, um zum vollkommenen Wissen zu gelangen, dem einzigen Mittel des Heils. Sein Kommen auf Erden ist keine Inkarnation, weil er keinen höchsten Gott anerkennt, sondern eine einfache Transmigration. Seine Geburt wird in einer lächerlichen Fabel erzählt, welche nicht eine entfernte Ähnlichkeit mit der Geburtsgeschichte des Herrn hat.

Es ist daher ein Frevel gegen die Geschichte, wenn neuestens wieder Burnouf mit Anderen den Stifter des Christentums als einen abendländischen Buddha darstellt (vgl. Hardy, Silbernagl über den Buddhismus). Die moderne Schwärmerei für den Buddhismus hat gerade darin ihren tiefsten Grund, daß der Pessimismus sich zu der wahren Erlösung in Christus nicht erschwingen kann. Daher schmeichelt es dem stolzen Selbstbewusstsein, daß der Mensch sein eigener Erlöser sein soll. „Selbst ist der Herr von selbst.“ Ja diese Phantasten bleiben noch hinter dem asiatischen Buddhismus zurück; denn dieser nimmt eine Reihe von Buddhas an, welche die Religion stets wieder erneuern, und erwartet die Ankunft eines neuen Buddha mit dem Namen Maitreya, den Sakyamuni selbst verkündet haben soll. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 8, 1893, Sp. 1405 – Sp. 1407

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