Eva, die Ahnfrau des Menschengeschlechtes
Der Sünde folgte die Strafe Gottes auf dem Fuße nach
So geringfügig das Objekt der Sünde zu sein scheint, um so größer und schwerer erscheint die Versündigung, wenn man auf die Verhältnisse des ersten Menschenpaares Rücksicht nimmt. Sie standen in unmittelbarem Verkehr mit Gott (1), ihr Verstand und ihre Erkenntnis waren bisher ungetrübt, ja in Folge der göttlichen Gnade höher und vollkommener, als jene ihrer Nachkommen; auch ihr Wille war noch nicht zum Bösen geneigt und stand noch nicht unter dem Drucke der Leidenschaft (2). Dabei war das Verbot dem Inhalte nach kurz und klar, so daß sie dasselbe wohl kannten, und sehr leicht zu beobachten, da ihnen ja sonst alle Früchte des Paradieses zur Verfügung standen (3). In ihrer reinen Seele waren noch alle erst jüngst empfangenen Wohltaten, mit denen sie Gott überhäuft hatte, lebendig und trotzdem fiel das erste Menschenpaar. Diese Sünde erscheint demnach als unendlich schwer und groß.
Der Sünde folgte die Strafe auf dem Fuße nach. „Da wurden die Augen Beider aufgetan, und sie erkannten, daß sie nackt waren.“ (4) Nach dem Genuss der Frucht erkannten sie das Gute und Böse: ersteres, welches sie verloren haben, letzteres, dem sie nun verfallen sind; und diese Erkenntnis des Guten und Bösen, zu welcher sie auf dem Wege der Sünde gelangt sind, äußert sich zunächst darin, daß sie ihre Blöße erkannten. Ihr bisheriges sinnliches Sehen war geistig bestimmt; denn sie sahen sich in Gott, der Geist hatte die Oberherrschaft über das Fleisch. Da sie aber durch die Sünde von Gott sich losgesagt hatten, entfiel das Fleisch der Macht des Geistes, sie sahen das Zerfallensein ihrer Natur, die Übermacht des Fleisches über den Geist (5), und daher die Scham, die Abendröte der untergegangenen Gerechtigkeit. Die Scham ist daher ein unwillkürlicher Reflex des verlorenen Guten, die erste äußerliche Manifestation des in’s Innere gedrungenen Bösen, des entstandenen Zwiespaltes zwischen Fleisch und Geist, aber zugleich ein Zeichen des sich regenden Gewissens und der Reue über die begonnene Tat. Um ihr nacktes Fleisch, ihre Blöße zu bedecken, nähten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schürzen; denn in den Schamteilen äußerte sich besonders das Gefühl der Nacktheit, nicht als ob mit diesen eine physische Veränderung vorgegangen wäre, sondern weil mit Aufhebung des normalen Verhältnisses zwischen Leib und Geist der Leib aufhörte, ein reines Gefäß des mit Gott geeinten Geistes zu sein und in der bloßen Natürlichkeit des Leibes nicht nur der Unterschied der geschlechtlichen Bestimmtheit, sondern viel mehr noch das Gefühl der Nichtigkeit des Fleisches in’s Bewusstsein trat (6). Aber eben darin, daß sie sich schämen, zeigt sich, daß ihr Fall, so schwer er auch war, doch nicht dem teuflischen Falle an Tiefe gleich kam; der schuldbelastete Mensch verfällt der Strafe, aber eben weil er noch nicht ganz und gar dem Bösen verfallen war, sondern nur der äußern Versuchung unterlag, die Scham und das Gewissen, welche dem Worte Gottes entgegen kamen, noch Anknüpfungs-Punkte der göttlichen Barmherzigkeit darboten, um ihn zu retten: ist er erlösbar; nur konnte die Erlösung nicht vom Menschen ausgehen, sondern sie war ein Werk freier Liebe und unverdienter Gnade Gottes.
Gott hätte das adamitische Geschlecht verwerfen und vernichten, sowie ein neues Menschengeschlecht erschaffen können, welches organisch mit dem ersten Menschen verbunden gewesen wäre und so auch an seiner Sünde keinen Anteil gehabt hätte; allein Gott tat dies nicht, wäre ja dadurch die erste Schöpfung vereitelt und solch ein Werk Gottes unwürdig gewesen. Er ließ das Menschengeschlecht fortbestehen, und suchte es auf eine andere wunderbare Weise zu sich heran zu ziehen und mit sich zu verbinden. Beim Wehen (oder Erkühlen) des Tages, d. i. am Abend, einer Zeit, in welcher das menschliche Herz mehr in sich selbst zurück kehrt und im Gemütsleben die Gefühle der Sehnsucht und Schwermut stärker werden, naht Gott in einer dem Menschen wahrnehmbaren Weise, welche offenbar der seinem Ebenbild gegebenen Leiblichkeit entsprach, dem gefallenen Menschenpaar. Als Adam und Eva das Herannahen Gottes gewahrten, versteckten sie sich inmitten des Gehölzes des Gartens. Sie fühlten die Gewissensbisse, sahen ihre Nacktheit, fürchteten die Strafe und deshalb suchten sie sich dem Angesicht des Herrn zu entziehen, nicht beachtend die Torheit, daß der Mensch vor dem allgegenwärtigen und allwissenden Gott sich nicht verbergen könne.
Um die unglücklichen Gefallenen, welche sich aus der göttlichen Gemeinschaft verloren haben, zum Geständnis der Sünde, welches zur Verzeihung derselben die erste Bedingung ist, zu bringen (7), rief Gott dem Adam und sprach: „Wo bist du?“ Anstatt dem Herrn zu Füßen zu fallen mit dem Rufe: Pater, peccavi! sucht Adam die Sünde hinter ihren Folgen, den Ungehorsam hinter dem Schamgefühl zu verbergen: „Ich fürchtete mich, weil ich nackt bin, darum verbarg ich mich“. (8) denn nach dem Fall empfand der Mensch zunächst viel mehr die Folgen der Sünde, als er die Sünde erkannte.
Nichts desto weniger sind seine Worte schon eine unwillkürliche Selbstanklage. Um nun diese zu wecken und zu erleichtern, fragt Gott, wer ihm angezeigt habe, daß er nackt sei, und hält ihm fragend zugleich die Übertretung des Gebotes vor. Diese kann Adam nun nicht leugnen, sucht aber dem reuigen Bekenntnis durch nichtige Entschuldigung sich zu entziehen: „Das Weib, welches du mir zugesellt, hat mir von dem Baume gegeben und ich aß.“ (9) So fällt also die Schuld auf das Weib und ein Teil der Schuld, wie er meint, auf Gott selbst. Das Weib, darüber zur Rede gestellt, spinnt die Entschuldigung weiter: „Die Schlange hat mich betrogen (verführt) und ich aß.“ (10) Neben der Entschuldigung fehlte also bei Beiden das Geständnis der Tat nicht. Es erfolgen nun die drei Urteilssprüche Gottes nach der Reihenfolge der Urheberschaft der Sünde (11). Der erste trifft die keines Verhöres gewürdigte Schlange (12). Wir heben daraus nur jene Worte hervor, welche auf das Weib Bezug haben: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, und zwischen deinem Samen und ihrem Samen ; dieser wird dir den Kopf zermalmen, und du wirst seiner Ferse nachstellen (13). Während der diesen Worten unmittelbar vorausgehende Fluch die Schlange als das tierische Werkzeug der Verführung und auch zugleich den Satan als den eigentlichen Urheber der Sünde trifft, sind diese letzten Worte unmittelbar an den Satan gerichtet, aber in metaphorischer Hülle. Wie die Schlange vor allen Tieren verflucht und tief unter alle Tiere erniedrigt wird, so daß sie im Staube kriecht und Staub leckt, so soll auch der böse Geist und mit ihm der Sünder, welcher ihm verfällt, tief unter alle Geschöpfe erniedrigt sein, und statt in der höheren geistigen Lebenssphäre, welcher er ursprünglich angehört, sich zu bewegen, soll er seiner irdischen Niedrigkeit und Bestialität gemäß versteckt am Boden sich hinwinden und von den rohesten, sittenlosen Elementen des Lebens oder von dem Moder des Todes sich nähren. Daß wir hier in der Verfluchung der Schlange zugleich eine symbolische Hinweisung auf die tiefe geistige Stellung und Erniedrigung des bösen Geistes und seines Anhanges haben, bestätigen nicht bloß die Kirchenlehrer (14), sondern auch die folgenden Worte. An die Stelle der widergöttlichen, falschen und den Menschen schädlichen Befreundung zwischen der Schlange und dem Weibe soll eine von Gott gestiftete heilsame Feindschaft treten, und zwar zunächst zwischen dem Weibe und der Schlange, d. i. dem Satan.
(1) Aug. Gen. Ad lit. 1. 11. ep. 30.
(2) Thomas, 2. 2. q. 163 a. 3
(3) Aug. Civ. Dei 1. 14. cp. 15
(4) Gen. 3, 7.
(5) Aug. Civ. Dei 1. 14. cp. 17.
(6) Aug. Gen. ad lit, 1. 11. ep, 31.
(7) Chrysost., sermo de laps. Protop.
(8) Gen, 3, 10.
(9) Gen. 3, 11. 12.
(10) Gen. 3, 13.
(11) Ambros., de par. cp. 15.
(12) Aug., Gen. cont. Manich. 1. 2. cp. 17.
(13) Gen. 3, 15,
(14) Aug., Gen. cont. Man. 1. 2. cp. 17. Vgl. Gregor, lib. Mor. 21, 2; Hieron., quaest. heb.; Beda, Cajetan. u. A. –
aus: Hermann Zschokke, Die Biblischen Frauen des alten Testamentes, 1882, S. 24 – S. 27