Eva, die Ahnfrau des Menschengeschlechtes
Erschaffung Evas aus Adam
Der erste von Gott in Eden erschaffene Mensch, die Krone der Schöpfung, wurde in’s Paradies versetzt, mit der Bestimmung, dasselbe zu bewachen vor eindringender und feindlicher Schädigung, und es zu bebauen, dadurch, daß er die Kräfte der Natur und ihre Erzeugnisse für die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse und für alle höheren Zwecke sich dienstbar mache und zu diesem Behufe die Erde in ihren Kräften und Schätzen erforsche und sich über dieselbe ausbreite, aber so, daß er stets der geistige Herrscher der Natur bleibe und nur nach Gottes Willen und in dem ihm von Gott gestatteten Umfange sich ihrer bediene. Obgleich umgeben von den Wundern der jungen Schöpfung, welche mächtig auf Auge und Herz des soeben geschaffenen Adam wirken musste, fühlte sich der erste Mensch mitten im Paradiese doch vereinsamt; es fehlte nämlich ein ihm wesensgleiches Geschöpf, in welchem er sich wieder erkennen, mit welchem er seine Ideen und Gedanken austauschen und in dessen Gemeinschaft und Mithilfe er seine Berufsbestimmung erfüllen könne, damit er nicht ein stummer Zeuge der göttlichen Wundertaten sei und bleibe. Sowie Gott bei der Schöpfung des Mannes, als dem Schluß und der Krone der geschaffenen Erdenwesen, in welchem die Materie mit dem Geist, der Himmel mit der Erde, die Zeit mit der Ewigkeit verbunden sein sollte, mit sich selbst zu Rate geht: „Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis“ (1), ebenso wird auch die Schöpfung des Weibes mit ähnlichen Worten eingeleitet, welche die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit des göttlichen Werkes andeuten: „Und es sprach Jehova: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, ihm gleich“ (2), d. h. ein mithelfendes Wesen, in welchem er sich wieder erkennt, das sozusagen sein anderes Ich ist. Es liegt in diesen Worten mehr, als ein bloß sexuelles Verhältnis (3); denn es heißt nicht: „Es ist nicht gut, daß der Mann ohne Frau ist“; die Sinnlichkeit existierte und regte sich ja noch nicht in den erst erschaffenen Menschen: sie waren nackt, ohne ihre Nacktheit zu fühlen und sich zu schämen (4), sondern Moses schreibt: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein, d. i. für sich abgesondert sei, also für sich als Einzelwesen lebe, sondern als ein soziales Wesen, welches nur in Gemeinschaft gegenseitiger Hilfeleistung seine Bestimmung erreichen kann. Einer solchen Hilfe bedarf der Mann nicht bloß zur Fortpflanzung jenes Geschlechtes, sondern auch zur Bebauung und Beherrschung der Erde. So soll also dem Adam eine Gehilfin (5) zugesellt werden, damit Beide zusammen eine organische und moralische Einheit und alle ihre Glieder in einer großen Kette durch alle Zeiten hindurch eine Gemeinschaft bilden. Demnach reicht die Gründung der Familie und des sozialen Lebens der Menschheit bis hinauf in den paradiesischen Zustand und beruht auf Gott gewollter Ordnung und auf göttlichem Beschluss. Um nun sein Vorhaben zu verwirklichen, führte Gott dem Adam die neu geschaffenen Tiere zu. Adam sieht dieselben, faßt die Gedanken dessen, was sie nach ihrer wahren und ihren Eigenschaften entsprechenden Besonderheit sind, und kleidet seine Gedanken in lautbare Namen; er wird sich also dabei seiner Sprachfähigkeit bewußt. Allein die Musterung und Benennung der gepaarten Tiere machten ihm zugleich eine Lücke fühlbar: „Für sich fand er keine Gehilfin, ihm gleich“ (6): er hatte kein Wesen an seiner Seite, mit welchem er seine Gedanken austauschen – sprechen konnte, welches seine Freuden mit genießen und auch seinen Beruf teilen konnte. Diesem geweckten Verlangen und Bedürfnis Adams entsprach auch Gott durch die Schöpfung des Weibes: „Da ließ Jehova Gott auf Adam einen tiefen Schlaf fallen, und als er schlief, nahm er eine von seinen Rippen und setzte Fleisch an ihre Stelle. Und Jehova Gott baute die Rippe, die er von Adam genommen hatte, zum Weibe und führte sie zu Adam. Da sprach Adam: Dieses ist einmal (nunmehr) Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch! Diese soll Männin heißen; denn vom Manne ist sie genommen. Darum soll denn der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen und sie Zwei sollen sein Ein Fleisch“. (7)
Nicht im wachenden Zustande Adams wird das Weib geschaffen, sondern im Tiefschlaf, in welchem das Bewusstsein der Außenwelt und des eigenen Lebens ganz entschwindet. Doch ist dieser Tiefschlaf verschieden von dem natürlichen Schlaf; denn Gott läßt ihn bei Tage auf Adam fallen, um das Weib aus ihm zu schaffen; die Schöpfung des Weibes fand am sechsten Schöpfungstage, also an demselben Tage, an welchem Adam erschaffen wurde, statt, wie dies aus den Worten erhellt (8): „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde; als Mann und Weib schuf er sie.“ Gott ließ aber auf Adam einen Tiefschlaf nicht etwa deshalb fallen, damit er die Schöpfung des Weibes nicht betrachte oder aber den Schmerz nicht fühle, wenn ihm eine Rippe heraus genommen werde; es war vielmehr, wie die LXX übersetzten, ein ekstatischer Schlaf, in welchem Adam der Körperwelt entrückt, das sah und vernahm, was um ihn herum vorging und zugleich im prophetischen Geist das Mysterium durchschaute, welches durch die Schöpfung des Weibes aus seiner Rippe abgeschattet wurde; denn Adam, als er aus dem Schlafe erwachte und das ihm wesensgleiche Weib erblickte, verlangt nicht erst Aufklärung über die Art und Weise ihrer Schöpfung, sondern bekundet durch seine Worte, welche er an das Weib richtete, daß ihm der ganze Vorgang bereits bekannt sei. (9) Das Weib entsteht seinem leiblichen Ursprung nach nicht etwa durch eine Neubildung aus der Erde, gleich dem Manne; denn es sollte ja keine dem Ursprung nach getrennte Art menschlichen Geschöpfes sein, sondern gleichsam nur ein Stück, ein Teil vom Manne. Deshalb wird das Weib aus der Seite des Mannes, aus seiner Rippe, also aus seinem innersten Wesen gebildet. (10) Diese Art der Schöpfung des Weibes hat die sinnigste und wunderbarste Bedeutung. Zunächst erforderte die sittliche Idee der Einheit des Menschen- Geschlechtes, daß der Mensch nicht als Gattung oder Mehrheit erschaffen wurde; denn das ist des Menschen Vorzug vor dem Tier, daß er als Einer, als Person und nicht als Paar und Gattung in’s Dasein getreten ist. Nur in der Schöpfung des Weibes aus dem Einen vorhandenen ersten Adam ist die Einheit des Ursprunges des Menschen-Geschlechtes begründet. (11)
Daß das Weib nicht aus Erdenstaub, sondern aus der Rippe des Mannes gebildet wurde, deutet ferner auf die Wesens-Gleichheit des Weibes mit dem Manne und auf die Gott geordnete Natur-Grundlage der Ehe, in welcher das Weib zur unzertrennlichen Lebenseinheit und Gemeinschaft mit dem Mann bestimmt und als die ihm entsprechende Gehilfin zur Seite gegeben ist. (12) Es ist aber auch zugleich von wesentlichen Folgen für die Bestimmung und Stellung des Weibes, daß sie nicht mit dem Mann zugleich, noch vor ihm, sondern nach ihm und zwar aus einem bereits veredelten organischen Stoff, einem Teil seines Leibes gebildet wurde, auf daß sie nicht im weiten Kreise der Welt, wie der Mann, sondern in dem geschlossenen, dem Mann als Wohnung angewiesenen Bezirk (daher im Paradies erschaffen) ihre Wirksamkeit entfalte. Das Weib wird ferner nicht aus dem Haupt, noch aus dem Fuß, sondern aus der Rippe, gleichsam dem Leibesinnern des Mannes, gebaut; dadurch sollte die Priorität und Superiorität des Mannes über das Weib, die Unterordnung und Abhängigkeit des Weibes vom Manne, ferner das stille häusliche Wirken des Weibes (13) und dessen natürliche Zugehörigkeit und Anhänglichkeit an den Mann als göttliche Ordnung begründet werden. Diese Stellung des Weibes zum Mann betont auch der Apostel, wenn er schreibt: „Das Weib soll sich stille halten und lernen mit aller Untertänigkeit … noch sich erheben über den Mann, sondern sie soll sich stille halten; denn Adam wurde zuerst geschaffen, darnach Eva“ (14); und die Bedeckung des weiblichen Hauptes sowie Unterwürfigkeit gegen den Mann vorschreibt: „denn der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Manne; auch ist der Mann nicht des Weibes wegen geschaffen, sondern das Weib des Mannes wegen.“ (15) Nicht in knechtischer Unterordnung soll aber das Weib dem Manne unterstehen, sondern sie soll die seinem eigensten Wesen zur Ergänzung dienende Gehilfin sein. (16) Endlich wird das Weib vom Mann nicht durch natürliche Zeugung geschaffen, sondern durch göttliche Kraft, damit ihre beiderseitige Ehe möglich sei. Das erste Weib wird darum auch nicht filia Adae genannt. In dieser Gottesordnung wurzelt zugleich das Geheimnis jener zärtlichen Liebe, mit welcher der Mann das Weib als ein alterum ego liebt und in welcher die Ehe zu einem Abbild der Liebes- und Lebensgemeinschaft des Herrn mit seiner Kirche wird. (17) Durch die Bildung des Weibes aus der Rippe des schlafenden Adam wird auch das Mysterium der Bildung der Kirche aus der Seite des (am Kreuze) schlafenden zweiten Adam (Christi) abgeschattet. (18)
Besonders ist es der hl. Augustinus, welcher mit Vorliebe auf die mystische Bedeutung der Bildung Eva’s aus der Seite des schlafenden Adam zu sprechen kommt. (19)
Daß das erste Weib später als der erste Mann und auf andere Weise als dieser gebildet wurde, ist auch in den Traditionen der Völker enthalten; ja selbst die Schöpfung des Weibes aus der Rippe des Mannes wird in den Mythen der alten Völker betont. Ich verweise hier auf die Belege, welche Lüken (20) gesammelt hat.
(1) Gen. 1, 26
(2) Gen. 2, 18
(3) August. de Gen. Ad lit. 9, 3
(4) Gen. 2, 25
(5) Tob. 8, 8
(6) Gen. 2, 20
(7) Gen. 2, 21-24
(8) Gen. 1, 27; vgl. 5, 2: Am Tage, an welchem sie erschaffen wurden. Vgl. Suarez, Opera omnia. Par. 1856. Tom. 3. p. 188.
(9) Vgl. Aug., de Gen. ad lit. 1. 9. c. 19Tract 9 in Evang. Joh. Bernard, serm. 2. de Septuag. Vgl. Suarez 1. c. p. 182.
(10) Eccli. 17, 5
(11) Thomas Aq., Sum. I. 1. q. 92. a. 2; Ambros. Lib. De parad. cp. 10. 48.; Cyrillus Alex., de Incarn. Dom.4
(12) Thomas 1.c.
(13) Thomas 1.c.
(14) 1. Tim. 2, 11-13.
(15) 1. Kor. 11, 8. 9.
(16) Thomas 1. c. ar. 3.;
(17) Eph. 5, 22-33. Die Weiber seien ihren Männern untertan, wie dem Herrn; denn der Mann ist das Haupt des Weibes, wie Christus ist das Haupt der Kirche. Aber so wie die Kirche Christo unterworfen ist, so seien es auch die Weiber ihren Männern in Allem. Männer! liebet eure Weiber, wie auch Christus die Kirche geliebt hat. So sollen auch die Männer ihre Weiber lieben, wie ihre eigenen Leiber. Wer sein Weib liebt, liebt sich selbst… . Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und die Zwei werden sein Ein Fleisch. Dieses Geheimnis ist groß, ich sage aber in Christo und in der Kirche. Also ein Jeder liebe sein Weib, wie sich selbst; das Weib aber fürchte ihren Mann.
(18) Thomas 1. c. ar. 2.; Hieron. Cont. Joan. Hier. 22; zu Amos 9, 6 Tertull., Lib. De anima cp. 13.; Chrysost., hom.ad Neoph.; Beda, in Gen. cp. 2.
(19) Aug., Tract. In Ev. Joan. 9. cp. 2, 10
(20) H. Lüken, Die Traditionen des Menschengeschlechtes oder die Uroffenbarung Gottes unter den Heiden, und: Die Stiftungsurkunde des Menschengeschlechtes, 1876, S. 113f. –
aus: Hermann Zschokke, Die Biblischen Frauen des alten Testamentes, 1882, S. 5 – S. 9