Eva, die Ahnfrau des Menschengeschlechtes
Das Wesen der Ehe ist die Einheit von Mann und Frau
Beachtenswert ist, daß der Autor schreibt: „Jehova baute die Rippe zum Weibe“; denn durch das Weib sollte das Menschen-Geschlecht vom Mann gebaut werden. Mit der Schaffung des Weibes war somit der Grundstein zur Bauung oder Gründung der Familie und der Gesellschaft vollendet. (1) Das Bauen deutet daher besonders auf die mütterliche Bestimmung, weshalb das Kind im Hebräischen von Bauen den Namen erhalten hat. Das Bauen des Weibes aus der Rippe des Mannes drückt aber auch zugleich eine unmittelbare Tat des Schöpfers aus (2) und wird daher auch im mystischen Sinn auf die Gründung der Kirche bezogen. (3)
Aus dem geschichtlichen Gange erhellt, daß Eva nicht in Eden, wie Adam, sondern im Paradiese geschaffen wurde, wie dies auch mehrere Väter erwähnen. (4)
Die Rippe Adams, welche zum Weibe gebaut wurde, war, wie der hl. Thomas (5) sagt, de perfectione Adae, non prout erat individuum quoddam, sed prout erat principium speciei, sicut semen erat de perfectione generantis. Wie der Same für das Individuum überflüssig, für die Erzeugung aber notwendig ist, so war auch diese Rippe für Adam als Individuum überflüssig, aber als caput naturae et seminarium omnium hominum notwendig. Von einer Missgestaltung kann nebst anderen Gründen schon deshalb keine Rede sein, weil Gott nach dem Bericht der Genesis Fleisch an deren Stelle setzte. Doch hüte man sich, zu glauben, Gott habe an die Stelle des ausgeschiedenen Teiles (…) die männlichen Geschlechtsteile gebildet; es ist nämlich irrig, zu meinen (mit Delitzsch), daß der geschlechtlichen Differenzierung des Menschen sein Dasein in noch ungeschiedener Einheit voraus gegangen sei. Die Idee der Wesensgleichheit, Zusammengehörigkeit und des gegenseitigen Ergänzungs-Verhältnisses der beiden Geschlechter hat auf heidnischem Boden die Vorstellung einer mannweiblichen Natur des ersten Menschen erzeugt, aus welcher später die Geschlechter gesondert worden seien. So war der zuerst aus dem Ei gekommene Protogonus der Orphiker ein Mannweib, desgleichen der persische Urmensch Kajamords, der ägyptische Pthah, und wenn Plato den ersten Menschen als Androgyn oder doppelgeschlechtliches Wesen darstellt, so ist er nur der heidnischen Tradition gefolgt (6). Selbst der jüdische Talmud (7) faßt die Schöpfung der Eva aus der Seite Adams als ein Zerlegen des ersten Menschen in seine geschlechtlichen Hälften auf. Allein die heilige Schrift selbst tritt diesem Irrtum direkt entgegen, wenn sie aussagt: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde . . . Mann und Weib schuf er sie.“ (8) Der Plural, daß Gott Mann und Weib als zwei Menschen -sie – erschaffen, weist von vorne herein die Ansicht, daß Adam je Androgyn gewesen, entschieden zurück.
Während Moses bei den übrigen Schöpfungstagen nach Vollendung der einzelnen Schöpfungs-Werke die Klausel beifügte: „Und Gott sah, daß es gut war“, setzt er nach der Erschaffung des ersten Menschen diesen Schlußpassus nicht bei, sondern erst nachdem er die Schöpfung beider Menschen, des Mannes und Weibes, kurz angezeigt, fügte er am Schluß des Sechstagewerkes hinzu: „Und Gott sah, daß Alles, was er getan, sehr gut war.“ (9) Offenbar sind darunter auch beide Menschen (Mann und Weib in V. 27) mit inbegriffen. Nach dem speziellen Bericht über die Bildung Adams (10) konnte er diese Bemerkung nicht beifügen, da ja die Schöpfung des Weibes noch nicht erzählt ward, denn erst mit ihrer Bildung war die Schöpfung der Menschenwelt und somit das Sechstagewerk vollendet. Moses konnte dies bei Adam auch deshalb nicht beifügen, weil er ja selbst Gott später redend einführt: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei“ (11); denn aus dem Mann allein konnte das Menschengeschlecht nicht fortgepflanzt werden; mithin ist erst nach vollendeter Schöpfung des Weibes das Werk Gottes als vollkommen und somit auch als gut zu betrachten. Damit begegnen wir aber, wie Ambrosius (12) dies bereits bemerkt, einer neuen Schwierigkeit. Da Eva den Adam in die Sünde verstrickt, wie kann sie als eine pro bono gegebene Gehilfin betrachtet werden! Doch Gott hat hier die Gesamtheit der Menschen vor Augen. Zwar ist Eva die Urheberin der Sünde; sie ist aber auch die Mutter der Lebendigen; denn ohne sie ist eine Fortpflanzung unmöglich. Aus ihr sollte ja auch diejenige hervorgehen, welche den Erlöser gebären werde, durch den die ganze Schuld wieder aufgehoben werden sollte.
Mit Eva wurde von Gott die Ehe eingesetzt
Als Adam aus seinem visionären Schlaf erwachte und das ihm von Gott zur ehelichen Gemeinschaft zugeführte Weib sah, erkannte er sogleich, was Gott mit dieser Art der Schöpfung bezweckte, und freudig erregt, nun endlich eine ihm wesensgleiche Gehilfin erhalten zu haben, rief er staunend aus: „Das ist einmal Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“, und nennt sie, sowie er früher die Tiere mit den ihrer Wesenheit entsprechenden Namen benannt hatte, mit Rücksicht auf ihr Verhältnis zu sich: „Diese soll Männin heißen, weil sie vom Manne genommen ist.“ (13) Das Wortspiel im Hebräischen ist auch in der Vulgata vir — virago oder vira und von Symmachus nachgeahmt. „Ischa“, Männin, ist als Geschlechtsname zu betrachten, der dem Weibe zukommt zum Unterschied vom Mann. Wie Adam in perfecta aetate, also als vollkommener Jüngling erschaffen wurde, so ging auch das erste Weib als entwickelte Jungfrau unmittelbar aus der Hand des Schöpfers hervor; denn die Werke der Schöpfung sind ja vollkommen gewesen (14), so war also durch die Schaffung des Weibes der Keim der menschlichen Gesellschaft und der Ursprung des menschlichen Familienverhältnisses begründet.
An diesen von Gott beabsichtigten und auch begründeten Ursprung der Ehe und Familie im Paradiese knüpft Adam oder Moses nach Art einer Reflexion das Naturgesetz derselben, welches für ewige Zeiten seine Geltung haben sollte: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen und sie werden zu Einem Fleische“ (15), d. i. ein Fleisch, eine im Wollen und Streben geeinte Persönlichkeit. Diese Worte kennzeichnen das Wesen der Ehe als die tiefste geistige und leibliche Einheit von Mann und Weib, als die umfassendste persönliche Gemeinschaft Beider (16), bezeichnen aber auch zugleich die Monogamie als die naturgemäße, Gott gewollte Form der Ehe. Das Verlassen der Eltern bei Schließung der Ehe, welches nicht bloß vom Manne, sondern auch vom Weibe gilt, stellt die eheliche Gemeinschaft als eine geistige Einheit, als eine Liebesgemeinschaft der Herzen dar, welche in der leiblichen Vereinigung ihre konkrete Gestalt erhält und vollendet (matrimonium consummatum). Die Ehe ist demnach eine heilige Gottesordnung und obige Worte sind ein Ausfluss göttlicher Offenbarung, weshalb sie auch von Christus (17) als Wort Gottes angeführt werden. (siehe auch den Beitrag: Der christliche Ehestand Ursprung der Ehe)
Diese Worte behalten ihre volle Kraft, wir mögen sie nun als Worte Mosis oder als Worte Adams betrachten, der im prophetischen und divinatorischen Geiste das Wesen der Ehe und zwar sowohl nach ihrer Entstehung als nach ihrem Bestande durch schaute und ausdrückte. „Zwei Ein Fleisch“ finden nach den Worten des Apostels (18) zunächst in der copula carnalis und sodann in den Folgen derselben, nämlich in dem erzeugten Kinde, welches Fleisch Beider ist (19), ihre natürliche Erklärung. Das Eine Fleisch ist aber auch untrennbar, unteilbar, und darin liegt auch die Unauflöslichkeit der Ehe, sowie ihr monogamischer Charakter begründet, welchem die Polygamie als etwas Teilbares widerspricht. Deshalb hat auch weder Mann noch Weib ein ausschließliches Recht über den eigenen Leib, sondern dieses Recht ist ein gegenseitiges, wie derselbe Apostel (20) erklärt: Mann und Weib bilden daher auch gleichsam nur Eine Persönlichkeit civiliter, welche Einheit der Gesinnung, der Liebe und des Willens fordert; nach Pythagoras wohnt in einer wahren Ehe nur Eine Seele in zwei Körpern.
An die Schließung der Ehe knüpft sich sodann der bereits in Gen. 1, 28 ausgesprochene göttliche Segen: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie untertan“, welcher die eheliche Fortpflanzung sanktioniert; denn diese erscheint, inwiefern sie zur Füllung der Erde und diese zur Herrschaft über dieselbe führt, als Mittel zur Erreichung des dem Menschen bestimmten Berufes. Das Geschlechtsverhältnis war aber für den reinen unschuldsvollen Menschen ein reines und heiliges Verhältnis. Die heilige Schrift deutet dies durch die Worte an: „Sie waren beide, Adam und sein Weib, nackt, und sie schämten sich nicht.“ (21) Sie sahen sich wie Kinder mit reinen Augen und heiligem Herzen, ihre Seligkeit war eine durch Nichts getrübte kindliche Unschuld, eine innige Harmonie des Leibes und des Geistes. (22) Denn die Scham trat erst mit der Sünde ein, als das normale Verhältnis des Menschen zu Gott und somit auch des Leibes zum Geiste zerstört wurde und in ihren Gliedern der Sinnenreiz und die Fleischeslust sich regte. Hier drängt sich uns die Frage auf, ob im Unschulds-Zustande des ersten Menschenpaares eine Fortpflanzung und somit auch eine natürliche Zeugung stattgefunden hätte. (23) Der eben besprochene Segen und der Umstand, daß die Leibes-Konstitution des Menschen nach dem Sündenfall nicht verändert wurde, bestätigen Beides. Allein die copula carnalis hätte eben ohne Begierlichkeit stattgefunden, da diese ja nur eine Folge der Sünde ist, und zwar nur zum Behufe der Fortpflanzung. Man hat somit, wie der hl. Thomas (24) sich ausdrückt, bei der generatio den actus naturae von der Deformität einer ungezügelten Begierlichkeit wohl zu unterscheiden, welche letztere in statu innocentiae nicht vorhanden war, da der Leib ganz dem Geiste gehorchte: fuisset fecunditas absque libidine, mit welcher Ansicht auch der hl. Augustinus (25), Cyrillus Alex. (26) und die Scholastiker (27) übereinstimmen.
Mehrere heilige Väter (28) , darunter auch Augustinus (29), sprechen sich zwar dahin aus, daß im Stande der Unschuld eine Vermischung nicht stattgefunden hätte und somit der Mensch auf wahrhaft englische Weise durch unmittelbare Kraft Gottes erzeugt worden wäre (30), allein Augustinus (31) hat diese seine Meinung in späteren Werken wieder zurückgezogen. Wenn auch nach der heiligen Schrift im Paradiese eine geschlechtliche Vereinigung des ersten Menschenpaares nicht stattgefunden hat, so ist dies doch kein Beweis gegen die Möglichkeit derselben im Unschulds-Zustande; denn die Stammeltern wurden ja nach dem Sündenfalle, welcher sehr bald auf ihre Schöpfung folgte, aus dem Paradiese verstoßen oder wollten nach der Ansicht des hl. Augustinus (32) einen direkten Befehl Gottes dazu abwarten. Demgemäß wäre auch die Enthaltsamkeit, welche jetzt so hohen Wert hat, damals keineswegs lobenswert gewesen; es hätte auch keine Virginität gegeben, denn diese ist eine Tugend, welche in der Zügelung der Begierlichkeit besteht, diese aber war damals nicht vorhanden (33); die Ehe wäre in praecepto gewesen, und nicht in remedium, wie der Doctor angelicus sagt, mithin auch kein Unterschied zwischen Ehe und Zölibat. (34)
(1) Ambros. 1. de par. ep. 11, 50; Chrysost., hom. 15 in Gen. 3.
(2) Aug., de Gen. Ad lit. 1. 9. ep. 15.
(3) Aug., Civ. D. 22, 17; Prosper, 1. de prom. Et praed.; Epiphan., cont. Haer. Antidic. 78. Nach Cyrillus Hier., cat. 12 de Chr. in c. ep. 28, ist die ohne Mutter aus dem Manne geschaffene Eva ein Typus Mariens, welche Christum ohne Mann durch die Kraft des heiligen Geistes geboren hat.
(4) z. B. Amb. 1. de par. ep. 4. 25.; Thomas u.a.
(5) Sum. 1. 1. q. 93. 3 ad 2.
(6) Lüken, Traditionen 1. c. § 7.
(7) Vgl, Eisenmenger, Entdecktes Judentum. Königsb. 1711. I. 365.
(8) Gen. 1, 27; 5, 2.
(9) Gen. 1, 31.
(10). Gen. 2, 7.
(11) Ambr., de inst. Virg. ep. 3, 22.
(12) Amb. 1. de par. ep. 10, 47.
(13) Gen. 2, 23.
(14) Vgl. Suarez 1. c. p. 184 sq. Thom. Sum. I. q. 94. art. 3. Mit denselben natürlichen und übernatürlichen Gnadengaben, welche Gott dem Adam verliehen hatte, wurde auch das erste Weib ausgestattet.
(15) Gen. 2, 24.
(16) Siehe Eph. 6, 22 f. oben S. 8.
(17) Matth. 19, 5.
(18) 1. Kor. 6, 16.
(19) Corn. a Lap. zu dieser Stelle. Theodoret., quaes. in Gen, cap. 3. interr. 30.
(20) 1. Kor. 7.4.
(21) Gen. 2, 25.
(22) Aug., de nupt. 1. 1. ep. 5.; Chrysost., hom. 15 in Gen. 3; Theodoret., quaest. in Gen. ep. 2. int. 28.
(23) Vgl. Suarez 1. 5.; 1. c. p. 380 sq.
(24) Sum. I. qu. 98. a. 2.
(25) Civ. Dei 14, 26.
(26) Cont. Jul. 1. 3.
(27) Thomas 1. c. u. lib. sent. 2. dist. 20. qu. 1. a. 2. Bonaventura u. A.
(28) Chrysost., hom. 18 in Gen. 3.; Gregor Nys., de prov. 1. 8. ep. 8.; Joannes
Dam., de fide orth. 1. 4. ep. 25.; Euthymius in Ps. 50.
(29) De vera relig. ep. 46, 8.
(30) Gregor. Nys., de hom. ep. 17.
(31) Retract. ep. 13, 8; Vgl. de Gen. ad lit. 1. 9. ep. 8 u. 10. – Contra
Julian. op. imp. I. 2. ep. 43. – Civ. Dei 1. 14. ep. 25 u. 26 (oben).
(32) Aug., de Gen. ad lit. 1. 9. cp. 4.
(33) Thomas, I. q. 98. a. 2 ad 3.
(34) Thom. Sum. Tract. 10. ep. 2. q. 4. Vgl. Suarez 1. c. ep. 2.
aus: Hermann Zschokke, Die Biblischen Frauen des alten Testamentes, 1882, S. 9 – S. 14