Der Sterbetag: Wer stirbt am leichtesten
Die heilige Gertrudis ist nicht die einzige unter den Heiligen, welche sich vor dem Tod gefürchtet haben. Wie diese hat sie sich auch nach der Auflösung gesehnt; sie wollte bei Christus sein und mit ihm vereinigt werden; sie bereitete sich deshalb auch mit aller Sorgfalt auf den Augenblick des Todes vor und doch fürchtete sie sich vor diesem schrecklichen Augenblick! Warum aber?
Fürs Erste: weil auch sie die menschliche Natur an sich hatte, die für den Tod nicht geschaffen ist, aber in Folge der ersten Sünde dem Gesetz des Todes unterliegt. Der Tod besteht aber in der Trennung der Seele von dem Leib; dieses Trennung ist gewaltsam; das Leben ringt und kämpft mit der finstern Gewalt des Todes und dies kann ohne Angst und Furcht nicht geschehen. Darum werden alle Menschen vor ihrem Tod von Angst ergriffen, selbst Christus, der Herr, duldete die Todesangst.
Fürs Zweite: weil mit dem Tod nicht Alles ein Ende hat, und darauf, wie der Apostel sagt, das Gericht folgt. Wer ist aber so rein und heilig, daß er dieses Gericht nicht fürchtet, in welchem selbst die Gedanken gerichtet, alle, auch die guten Werke genau abgewogen, selbst jedes vergebliche Wort zur Rechenschaft gezogen wird?!
Fürs Dritte: weil der letzte Augenblick des Lebens über die ganze glückselige oder unglückselige Ewigkeit entscheidet. Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen; mit welcher Gesinnung der Mensch stirbt, mit der geht er in die Ewigkeit hinüber. Im letzten Augenblick aber wendet die Hölle alle Macht an, selbst die gute Gesinnung der Heiligen zu ändern und von Gott abwendig zu machen. Wer soll da nicht zittern und beben!!
Fürs Vierte werden die Heiligen, welche sich nach dem Tod sehnen und ihn wie einen Boten Gottes betrachten, der sie aus diesem Jammertal in die Wohnungen des Friedens abholt, dennoch von Angst in der Todesstunde befallen, damit sie hierdurch vollständig gereinigt werden. Die Todesangst ist für sie das Fegefeuer, das sie vor ihrem Hintritt noch dulden müssen.
Wenn nun die Heiligen, deren Wandel doch im Himmel war, den Tod fürchteten, wie wird es dir, christliche Seele, ergehen? Wenn das am grünen Holz geschieht, was wird mit dem dürren geschehen? – – –
Besinne dich hier ein wenig und frage dich: Wenn ich jetzt sterben müßte, wie wäre wohl mein Tod beschaffen? – – – Könnte ich getrost sterben? – – –
Nicht wahr, es ängstigt dich diese Frage; das Sterben kommt dir schrecklich vor! Und doch wäre es nicht so hart, so bitter, so schrecklich, wenn du tun würdest, was ich dir jetzt rate.
Mache dich Erstens mit dem Tod recht vertraut; schaue ihm recht scharf und bedächtig ins Gesicht, das heißt, denke oft an ihn, stelle dir das Sterbebett, das Grab oft vor; auch das Schrecklichste verliert durch oftmaliges Betrachte seine Schrecken.
Zweitens übe dich im Sterben. Ein frommer Geistesmann hat gesagt: „Wer zuvor stirbt, ehe er stirbt, der darf nicht sterben, wann er stirbt“; das heißt, sterbe dir selbst und der Welt zuerst ab, dann wird der Tod nicht so bitter sein. Die Reichen, deren Herz mit dem Geldsack verwachsen ist; die Wollüstlinge, deren Herz und Seele ganz in die fleischlichen Lüste verstrickt sind; die Ehrgeizigen, die nur Sinn für Ansehen, Glanz und Pracht haben, kurz jene Menschen, welche von Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens wie besessen sind, die müssen auch am härteste sterben. Was sie lieben, woran ihr ganzes Herz hängt, das raubt ihnen ja der unerbittliche Tod. Daher das Wehklagen dieser Menschen, wenn sie merken, daß es zur Abfahrt geht. Man darf ihnen vom Sterben kein Wörtlein sagen, auch wenn ihnen der Tod schon auf der Zunge sitzt; und wenn der herzlose, kalte Knochenmann seine scharfe Sense nimmt und den Bindfaden zwischen Seele und Leib durchhaut, ach, wie sie sich da winden, wie sie sich strecken; wie da das Auge im Kopf rollt, wie da das Herz pocht und klopft…; die Seele will nicht weg vom Leib, mit dem sie der Lust gepflegt; sie will nicht verlassen die Welt, in der sie sich so wohl befunden; sie kann sich nicht erheben zu ihrem Schöpfer und seiner Herrlichkeit, denn eine zentnerschwere Last hält sie nieder, die eitlen Güter und Freuden der Erde! Und doch muß sie fort, muß Alles verlassen, muß allein vor Gottes Gericht. O wie hart ist ein solcher Tod!
Stirb also zuerst, christliche Seele, hänge dein Herz nicht an die Güter und Freuden der Erde; töte dich ab; zerreiße die Stricke, die dich an diese Welt fesseln. Bedenke nur, daß du nackt in die Welt gekommen, und nackt wieder fort gehst!
Drittens: lebe so, daß du jeden Augenblick sterben und vor Gottes Gericht erscheinen kannst. Meide die Sünde, denn diese macht den Tod so schrecklich. Der Tod der Sünder ist überaus böse, sagt die heilige Schrift.
Viertens: Mache dir gute Freunde, die dich bei deiner Abfahrt trösten und in die ewigen Wohnungen aufnehmen. Ein solch guter Freund ist besonders das Almosen, sind alle leiblichen und geistlichen Werke der Barmherzigkeit.
Fünftens: Schaue dich im Leben um Beiständer um, die dir im Todeskampf helfen und dich verteidigen. Ein sehr guter, bewährter Advokat im Tode ist die liebe Frau, Maria; der heilige Joseph, der heilige Schutzengel; bitte sie alle Tage um ihre Hilfe.
Sechstens: Empfange öfters die heiligen Sakramente der Buße und des Altars und zwar immer so, als wenn es zum letzten Mal wäre; und endlich
Siebentes: Erwecke in dir recht oft ein heißes Verlangen nach dem Himmel, nach der Anschauung Gottes. Wenn du das Alles tust, dann wird der Tod dir wie ein guter Freund, wie ein guter Bote erscheinen, der dich in die wahre Heimat heim holt, du wirst mit einem Wort auf solche Weise am leichtesten sterben. Besinne dich, … sterben mußt du einmal, … was willst du tun? …
Gebet.
O mein Gott, du hast mir gesetzt, daß ich einmal sterbe, das ist gewiß; ungewiß aber, wann und wo ich sterbe; gib mir die Gnade, daß ich gut sterbe; denn sieh, ich will alle Mittel anwenden, um auf den Augenblick meines Todes vorbereitet zu sein. O Maria, meine liebe Mutter, bitte für mich jetzt und in der Stunde meines Todes. Amen.
aus: Georg Ott, Legende von den lieben Heiligen Gottes, Erster Teil, 1904, S. 410-412