Heiligenkalender
20. März
Heiliger Abraham Einsiedler
Abraham, dessen Leben der heilige Ephrem beschrieben hat, wurde zu Chidan bei Edessa in Mesopotamien geboren. Seine reichen und frommen Eltern erzogen ihn in der Furcht des Herrn, zwangen ihn aber gewissermaßen in reiferen Jahren, sich mit einer gleichadeligen und reichen Braut zu verehelichen. Durch besondere innerliche Einsprechung Gottes aber angetrieben, verließ er nach der Hochzeit in der Stille der Nacht seine Braut, floh heimlich davon und begab sich in eine Wildnis, wo er eine leere Hütte zu seiner Wohnung antraf. Nach geraumer Zeit bekamen zwar dessen Eltern Nachricht, wo sich ihr Sohn aufhielt; sie verfügten sich auch zu ihm und suchten ihn sowohl mit Liebkosen und Versprechen, als mit Klagen und Weinen, endlich auch mit Drohungen und Gewalt in das väterliche Haus zurück zu bringen. Allein der Diener Gottes glaubte, Gott mehr Gehorsam schuldig zu sein, und blieb in seiner Einsamkeit. Seine Lebensweise war heilig, und es breitete sich der Ruhm hiervon in der ganzen Gegend aus, welcher durch folgende Begebenheit noch vergrößert wurde.
Bei der Stadt Edessa war eine Ortschaft, welche sehr volkreich, aber der Abgötterei ganz ergeben war. Der Bischof hatte schon mehrere eifrige Priester vergeblich zu ihrer Bekehrung dahin gesendet. Da weihte er den Abraham zum Priester und sandte ihn dahin. Die verstockten Heiden hatten durch Fügung Gottes so große Ehrfurcht vor dem heiligen Einsiedler, daß sie ihn nicht im mindesten störten. Als er aber nach Erbauung eines Kirchleins und verrichtetem vielem Gebet zu Gott anfing, die Götzenbilder, welche er antraf, zu zerbrechen oder zu verbrennen und den christlichen Glauben zu predigen, musste der heilige Mann vieles erleiden. Mehrmals stießen sie ihn hinaus und schlugen ihn so, daß sie glaubten, er hätte seinen Geist schon aufgegeben. Allein sobald er durch göttliche Hilfe sich wieder erholt hatte, begab er sich wieder in sein Kirchlein und bat Gott den Herrn, daß er endlich den blinden Heiden die Augen öffnen und ihre verstockten Herzen erweichen wolle. Sein Gebet wurde endlich erhört. Denn als die Bewohner jenes Ortes die wunderbare Geduld, den unerschrockenen Eifer und die väterliche Liebe des heiligen Einsiedlers gegen sie wahrnahmen, schlossen sie daraus: derjenige Gott, den dieser predigte, müsse der wahre Gott sein. Sie baten ihn daher um Verzeihung, nahmen von ihm die Unterweisung in dem christlichen Glauben an und ließen sich sämtlich taufen. Abraham kehrte nun wieder in seine Einsamkeit zurück, und der Bischof gab dieser Gemeinde einen anderen Priester.
Abraham hatte einen Bruder, der nach seinem Tod eine siebenjährige Tochter als Waise hinterließ. Da sich niemand ihrer annehmen wollte, brachte man sie zu ihm. Er erbarmte sich ihrer, gab ihr zum Aufenthalt die nächste Hütte an seiner Zelle und unterwies sie in der christlichen Tugend und in allem, was sie zu tun hätte, um selig zu werden. Maria, dieses war der Name der armen Waise, kam der Unterweisung ihres Oheims in allem nach und machte in der Tugend gewünschten Fortgang mit dem festen Vorsatz, in der Einöde ihr ganzes Leben zuzubringen. Allein Gott ließ zu, daß sie von einem Jüngling, der den heiligen Eremiten mehrmals unter dem Vorwand besuchte, von ihm in der heiligen Religion noch besser unterrichtet zu werden, zur Unlauterkeit verleitet wurde. Kaum war die Sünde begangen, so entstand in ihrem Gewissen eine große Unruhe. Ihre Sünde zu beichten, dünkte ihr unmöglich; so groß war ihre falsche, törichte Schamhaftigkeit. Der böse Geist gab ihr ein, sie hätte keine Verzeihung mehr von Gott zu hoffen; es wäre besser, daß sie in die Welt zurück kehrte, und die übrige Lebenszeit nach ihren Gelüsten zubrächte. Die unglückselige Sünderin gab diesen Eingebungen Gehör und entfloh heimlich aus ihrer Hütte, begab sich sich in eine zwei Tagreisen weit entfernte Stadt und in dieser zu einem Gott vergessenen Wirt, um sich durch ein sündhaftes Leben zu ernähren.
Sobald der heilige Abraham ihre Flucht wahrgenommen hatte, wendete er sich zu Gott und opferte demselben viele Tränen mit gebet und vielen Bußwerken für das Heil seiner verführten Nichte und Schülerin auf. Nach langem Gebet und vielem Nachforschen erfuhr er ihren Aufenthaltsort. Um sie zur Umkehr und Buße zu bewegen, verließ er seine Einsamkeit, wechselte seine Kleidung, setzte sich zu Pferde und reiste als Offizier in jene Stadt, wo die Verführte sich aufhielt. Gott fügte es, daß er bei dem nämlichen Hause abstieg, wo dieselbe ihr ärgerliches Leben führte. Als er sie erblickte, gab er sich nicht gleich zu erkennen, sondern befahl, eine gute Mahlzeit zu bereiten, bei welcher er ihr auf das freundlichste zusprach. Nach beendigter Mahlzeit wurde er von dem Wirt allein bei ihr gelassen. Sie hatte ihn bis dahin nicht erkannt.
Als jedoch der Heilige sich ihr zu erkennen gab und die begangene schwere Sünde und ihr jetziges sündhaftes Leben mit größter Sanftmut unter Tränen ihr vorstellte, ward sie von schmerzlichster Reue ergriffen. Lange konnte sie vor Schmerz kein Wort hervor bringen. Nachdem sie sich etwa erholt hatte, fiel sie mit weinenden Augen ihrem heiligen Oheim zu Füßen, bat ihn demütig um Vergebung, erzählte ihm alles, was sich mit ihr zugetragen, und zeigte sich bereit zu allem, was er ihr raten würde. Der Heilige weinte mit ihr und bedauerte ihr Unglück; munterte sie aber zugleich durch den Hinweis auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes wieder zur Hoffnung auf. Weil es aber das erste und notwendigste war, die Gelegenheit zur Sünde zu verlassen, so verlangte der Heilige, daß Maria wieder mit ihm in die Einöde zurück kehren, und für die begangenen Sünden wahre Buße tun sollte.
Sie willigte ein, kehrte in ihre vorige Wohnung zurück, reinigte ihr Gewissen durch eine reumütige Beichte und führte noch 15 Jahre bis an ihr Ende ein strenges, bußfertiges, ja recht heiliges Leben, zum größten Trost des heiligen Abraham, welcher, so lange er lebte, Gott dem Herrn demütigsten Dank für die Bekehrung seines verirrten Schäfleins erstattete. Der heilige Abraham überlebte Maria um fünf Jahre und starb im 70. Lebensjahr voll Tugenden und Verdienste. Gott hatte die Büßerin Maria noch viele ganz besondere Gnaden verliehen, unter denen auch diese war, daß er sie durch eine dem heiligen Abraham gewährte Offenbarung der Verzeihung ihrer Sünden versicherte. Auch Maria wird als Heilige verehrt. –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 206 – S. 208