Von der plötzlichen Ankunft des letzten Gerichtstages
Am dritten Sonntag im Advent – Teil 1
Der Tag des Richters wird die Menschen unvermutet überfallen
Dirigite viam Domini.
Bereitet den Weg des Herrn. (Joh. 1, 23)
Bisher haben wir immer gehandelt von den nächsten Zeichen des bald heran nahenden Endes der Welt und des kommenden allgemeinen Gerichtstages, von den schrecklichen Verfolgungen des Antichrists, welcher teils durch Anerbietung zeitlicher Güter, Ehren und Wollüste, teils durch ungemeine Scheinheiligkeit und falsche Wunderwerke, teils durch unerträgliche Martern und Peinen beinahe die ganze Welt von Jesus Christus abwenden und unter seine Botmäßigkeit bringen wird; und was daraus schon jetzt zu lernen sei, davon sprachen wir in der ersten Predigt. Die entsetzlichen Zeichen an der Sonne, an dem Mond und den Sternen und die Verwirrung aller Elemente; Zeichen, die so schrecklich sie den Gottlosen sein werden, eben so erfreulich für die Frommen und Gerechten sein werden; eben dieses ist schon wirklich zu verstehen von den betrübten Zeichen der Widerwärtigkeiten: das war der Inhalt der zweiten Predigt. Diese Zeichen sind lauter warnende Stimmen der Güte und Barmherzigkeit Gottes gegen die Sünder, auf daß diese dadurch erschreckt in sic gehen, Buße wirken und dem göttlichen Zorn am letzten Gerichtstag entgehen mögen; ebenso sind noch heut zu Tage die allgemeinen Nöten und Drangsale lauter warnende Stimmen der Güte und Barmherzigkeit Gottes, damit wir, dadurch gezüchtigt, unsere Laster und bösen Sitten bessern, und so den ewigen Strafen der Hölle entgehen mögen, was doch leider von den wenigsten zu geschehen pflegt. Dieses behandelte ich in der dritten Predigt am vorigen Sonntag. Was ist nun endlich übrig? Meine Andächtigen! Nachdem alle diese Zeichen vorbei sein werden, was wird alsdann folgen? Alsdann wird der letzte Tag heran kommen und Jesus Christus in seiner Majestät und Herrlichkeit erscheinen im Tal Josaphat, um zu richten die Lebendigen und Toten. Wann aber? Gleich nach diesen Zeichen oder noch lange hernach? Ja, wer will uns darauf antworten? Umsonst fragt man dieses, denn keiner wird uns dafür Bescheid geben. Dies allein ist gewiß, daß der letzte Tag ganz unversehens die Menschen überfallen werde und deswegen alle sich jederzeit dazu bereit halten müssen. Und dieses ist der Inhalt der gegenwärtigen predigt. Nach den geschehenen Zeichen wird der letzte Tag des kommenden Richters die Menschen ganz unvermutet und unversehens überfallen; dies will ich kurz zeigen im ersten Teil; so sollen wir uns denn schon wirklich alle Stunden dazu bereit halten: Bereitet den Weg des Herrn; dieses im zweiten Teil. Damit wir dieses letztere ernstlich alle mit einander beobachten, dazu hilf du mit deiner Gnade, o künftiger Richter! durch die Fürbitte Marias und unsrer heiligen Schutzengel.
Teil 1
Daß der letzte Tag des Gerichtes die Menschen ganz unvermutet und unversehens überfallen werde, dies erhellt daraus, daß Gott der Herr diesen Tag für sich allein bekannt und ganz geheim halten wollte, so daß von demselben keinem einzigen Propheten, ja keinem einzigen Menschen je die geringste Offenbarung zu Teil ward, noch zu teil werden wird. Heilige Freunde Gottes waren es, denen der Tag, denen sogar die stunde ihres Todes von Gott geoffenbart wurde; gottlose Sünder waren es, denen durch die Propheten die Zeit ihres Endes und der ewigen Verdammnis voraus angekündigt wurde. Dem heiligen Evangelisten Johannes wurde die himmlische Stadt Jerusalem gezeigt. Der heilige Apostel Paulus wurde in den dritten Himmel verzückt, und sah dort, wie er selbst bekennt, solche geheimnisse, wovon keinem Menschen zu reden erlaubt ist. Jesus Christus sprach mit seinen Jüngern mehrmals von dem Reich Gottes, von den zukünftigen, unbeschreiblichen Freuden, welche sie dort zum Lohn ihrer Arbeit genießen würden: Euch habe ich Freunde genannt, daß ich euch Alles kund getan, was ich von meinem Vater gehört habe. Aber von der Zeit des Endes der Welt und des ankommenden Richters ist keiner weder im Himmel noch auf Erden, welcher die geringste Wissenschaft empfangen. Christus sagte ausdrücklich, nachdem er seinen Jüngern die schrecklichen Zeichen des heran nahenden Gerichtstages beschrieben hatte: Denselben Tag aber und die Stunde weiß Niemand, weder die Engel im Himmel, noch der Sohn, sondern der Vater. (Mark. 13, 32) Mit diesen Worten schnitt er den Vorwitz seiner Jünger auf einmal ab, so daß sie ihn nicht mehr fragen sollten über die bestimmte Zeit des letzten Gerichtstages; als wollte er sagen: Was verlangt ihr lange dasjenige zu wissen, was nicht einmal einem Engel im Himmel bekannt ist, ja wovon der Menschensohn selbst nichts weiß?
Wie aber? Lieber Heiland! Solltest du denn nicht einmal wissen, wann jener Tag sein werde? Bist du doch der Richter der Lebendigen und Toten, welchem das ganze Gericht vom himmlischen Vater übergeben ist, folglich es in deiner Gewalt steht, diesen Tag anzuordnen und zu bestimmen, wann und wie er sein soll? Solltest du nichts davon wissen, in welchem nach dem Zeugnis deines Apostels alle schätze der Weisheit und Wissenschaft Gottes verborgen sind? Meine Andächtigen? Es werden diese Worte Christi von den heiligen Kirchenvätern auf verschiedene Weise ausgelegt, unter andern von dem heiligen Gregorius, Ambrosius, Hilarius, Augustinus. Der Menschensohn, sagen sie, weiß nichts von dem Tage, nicht zwar, als ob ihm der Tag unbekannt sei, sondern weil er keinem Geschöpf die bestimmte Zeit dieses Tages geoffenbart haben will; d. i. er weiß denselben nicht mit einer solchen Wissenschaft, welche er andern mitteilen will. Also kann ein Beichtvater, wenn er von jemand befragt werden sollte, was dieser oder jener ihm für Sünden gebeichtet habe, mit Wahrheit sagen: ich weiß es nicht. Denn diese Worte in solchen Umständen heißen nichtsanderes als: ich weiß es nicht mit solcher Wissenschaft, welche ich offenbaren kann; oder: eben so wenig darf ich davon offenbaren, als ob ich in der Tat nichts davon wüßte. So geheim und unbekannt ist allen Menschen die Zeit des letzten Gerichtstages, folglich wird dieser Tag ganz unvermutet, da die Menschen am wenigsten daran denken werden, heran kommen und sie auf einmal überraschen. (siehe dazu den Beitrag: Über das verschiedene Wissen Jesu Christi)
Zweitens erhellt es aus den klaren Worten Christi unsers Heilandes bei dem heiligen Evangelisten Matthäus (24, 27): Denn gleichwie der Blitz vom Anfang ausgeht und bis zum Untergang leuchtet, also wird es auch mit der Ankunft des Menschensohnes sein. Der Blitz, wie wir erfahren, läßt sich plötzlich in einem Augenblick sehen, ehe man daran gedacht hat, und man wird denselben nicht gewahr, bis er eben aus den Wolken hervor schießt und den Zuschauenden in die Augen fällt. So urplötzlich wird auch die Ankunft des allgemeinen Richters sein, welcher vor den Augen aller Menschen erscheinen wird, ehe sie daran gedacht haben werden. Wieder bei dem heiligen Apostel Paulus: Über die zeit und Stunde aber, Brüder! Habt ihr nicht nötig, daß wir euch schreiben. Denn ihr selbst wisset sehr wohl, daß der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. (2. Thess. 5, 1 u.2) Die nämlichen Worte lesen wir in dem Sendschreiben des heiligen Apostels Petrus: Aber der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb. (2. Petr. 3, 40) Ein Dieb wird sich nie erkühnen, in ein Haus einzudringen, wenn er weiß, daß die Leute im Haus auf guter Hut ihn erwarten; nein, wer bestehlen will, der merkt den Diebstahl nicht eher, bis er sein Geld und Gut vermißt; gleichwie ein Dieb in der Nacht, also wird auch der Tag des Herrn unvermutet heran kommen. Aus den Worten des Apostels Paulus bemerkt der heilige Johannes Chrysostomus, daß die Ankunft des Richters geschehen werde in der Nacht, wenn die Menschen noch schlafen werden und nicht einmal daran denken können.
Endlich wird diese unvermutete Ankunft des Endes der Welt bestätigt durch jene Gleichnisse, mit welchen Christus bei dem heiligen Evangelisten Lukas die Lebensweise der Menschen, welche diese Zeichen erleben werden, beschreibt: Gleichwie es zuging in den Tagen des Noe, so wird es auch zur Zeit des Menschensohnes sein. Sie aßen und tranken, sie nahmen und gaben Weiber zur Ehe bis auf den Tag, da Noe in die Arche ging. Und es kam die Sündflut und vertilgte sie alle. (Luk. 17, 26 u. 27)
Bewunderungswürdige Blindheit der damaligen Menschen, daß sie nach so vielen Warnungen des Patriarchen Noe nicht gewitzigt (Anm.: durch Schaden klug) werden wollten! Noe baut an der Arche, und das ganze hundert Jahre lang vorher; die Menschen sehen der Arbeit zu, sie betrachten das Werk; ohne Zweifel fragten sie ihn mehrmals, was er doch mit einem so ungeheuer großen Gebäude wolle? Wozu so viele Zimmer, Abteilungen, Ställe sein sollten? Noe antwortete ihnen: Wirket Buße, hört auf zu sündigen, besänftigt den erzürnten Gott; es sind wenige Jahre mehr übrig, da alles auf der Welt zu Grunde gehen wird, da die Gewässer bis über die höchsten Berge anwachsen werden; nicht so viel trockenes Land wird übrig bleiben, daß auch nur ein kleines Vögelein den Fuß hinsetzen könne; darum bekehrt euch zu Gott. O du Einfalt! sagten sie mit höhnischem Gelächter, wer hat dir dergleichen Träume eingeredet? was plagst du dich mit der närrischen Arbeit? sei vielmehr mit uns lustig, iß, trink, lebe wohl! Indessen kommt die bestimmte Zeit der Sündflut: der Himmel verfinstert sich, die Wolken sammeln sich, das Meer fängt an, aufzuschwellen und will sich aus seinen Schranken heraus gießen. Arme Menschen! Wollt ihr noch nicht daran glauben? Nein, sie kehren sich nicht daran, sie fahren fort, als lebten sie noch goldene Zeiten, in welchen keine Gefahr zu fürchten. Man sieht bei ihnen nichts als Essen und Trinken, Springen und Tanzen, Heirat und Hochzeit, Wollust und Fastnacht; da kam die Sündflut und vertilgt sie alle. Desgleichen fährt der Evangelist fort: Wie es in den Tagen des Lot geschah: sie aßen und tranken, sie kauften und verkauften, sie pflanzten und bauten. An dem Tage aber, da Lot aus Sodoma ging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und vertilgte sie alle.
Auf gleiche Weise wird es gehen am Tage, da der Menschensohn geoffenbart werden wird. So viele vorher gehende schreckliche Zeichen, blutige Kriege, Hungersnot, pestartige Krankheiten, Erdbeben, Verfolgung des Antichrists, Verwirrung der Elemente etc., sollte man nicht billig meinen, daß alles dieses die alsdann lebenden Menschen vorsichtig machen werde? Aber nein, wenn die Furcht und Angst wegen dieser Zeichen verschwunden sein wird, so wird es wieder auf die vorige Weise gehen. Nach der Meinung des heiligen Hieronymus, der über jene Worte des heiligen Apostels Paulus schreibt: Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit, da wird sie plötzlich das Verderben überfallen (1. Thess. 5, 3); nach dessen Meinung, sage ich, werden die Menschen nach Verschwinden dieser Zeichen noch eine geraume Zeit (wie lange, das weiß keiner) in Ruhe und Frieden sein und alsdann guter Dinge fortfahren, auf gewöhnliche Weise zu leben; ja, es werde alsdann, wiewohl in der allgemeinen wahren christlichen Religion, unter den Sündern ein gar gottloses, unter vielen Gerechten ein sehr laues, unvollkommenes Leben geführt werden. In solcher Lebensweise dann, da sie am wenigsten daran denken, wird auf einmal gleich dem Blitz, wie der Herr voraus gesagt, in einem Augenblick, das Feuer vom Himmel fallen und auf der ganzen Welt alles zu Asche verbrennen, worauf die schrecklichen Posaunen überall erschallen werden: Steht auf, ihr Toten! Kommt zu Gericht! Da haben wir, meine Andächtigen! Alle die Zeichen, welche jenem großen, plötzlich heran brechenden Tage des letzten Gerichtes vorher gehen werden. Was sollen wir nun daraus schließen? Bereitet den Weg des Herrn: so müssen wir uns denn schon jetzt mit der möglichen Sorgfalt auf diesen Tag bereit machen. –
aus: Franz Hunolt SJ, Christliche Sittenlehre der evangelischen Wahrheiten, dem christlichen Volk in sonn- und festtäglichen Predigten vorgetragen, Bd. 9, Siebzehnter Teil, 1848, S. 135 – S. 141