Der Deutschkatholizismus von Ronge

Die dogmatische Entwicklung im Ringen gegen rationalistische und nationalkirchliche Strömungen

Der Deutschkatholizismus von Ronge und Czerski

Der neu aufgesprossene Frühling der Katholischen Kirche, die reichen Erfolge, die der in der Kirche Christi waltende Gottesgeist über den zersetzenden Geist des Rationalismus errungen hatte, reizte die in der Tiefe gärenden Kräfte der rationalistischen Zeitströmung zum Entscheidungskampf. Verbunden mit der nationalkirchlichen Bewegung suchte sie im Deutschkatholizismus zur Herrschaft zu kommen.

Begründer und Führer der Bewegung wurden der wegen unpriesterlichen Lebenswandels suspendierte und wegen offener, maßloser Beschimpfung des Bischofs Arnoldi von Trier exkommunizierte schlesische Kaplan Johann Ronge († 1887 als Freigeist), und der wegen Konkubinats suspendierte westpreußische Kaplan Czerski, der 1845 zu Breslau die neue, romfreie Kirche ins Leben rief. Das im gleichen Jahr auf dem ersten „Konzil“ der „deutschkatholischen Kirche“ aufgestellte Glaubensbekenntnis erklärte die Bibel als einzige Glaubensnorm, leugnete das kirchliche Lehramt und den päpstlichen Primat, verwarf Ohrenbeichte, Ablass und Zölibat, die Anrufung der Heiligen, die Verehrung der Reliquien und Heiligenbilder, die Wallfahrten und das Fasten, behielt von den Sakramenten nur Taufe und Abendmahl (unter beiden Gestalten) bei und führte an Stelle der Messe eine deutsche Liturgie ohne Kanon ein. Der von völkischen Kreisen, protestantischen Theologen und rationalistisch-liberalen Katholiken als zweiter Reformator gefeierte, aber von den kühler denkenden deutschen Regierungen abgelehnte Ronge unternahm fünf große Propagandareisen für seine Bewegung durch ganz Deutschland und trieb die Bewegung, die seit 1846 auch in den deutsch-amerikanischen Gemeinden von Neuyork, St. Louis und Philadelphia und seit dem Revolutionsjahr 1848 auch in Österreich Fuß fasste, in kurzer Zeit auf fast 80000 Mitglieder in 259 Gemeinden mit 88 Geistlichen. Die unter Ronges Leitung sehr schnell in freigeistiges Fahrwasser abtreibende Bewegung, von der sich schon 1846 die gemäßigtere Gruppe der „Protestkatholiken“ abgezweigt hatte, schloss sich 1859, auf neunzig Gemeinden zusammen geschmolzen, mit den sogenannten „Freien protestantischen Gemeinden“ zu dem atheistischen „Bund freier religiöser Gemeinden Deutschlands“ zusammen und endigte 1921 in dem anti-religiösen „Volksbund für Geistesfreiheit“. Diese Entwicklung vom rationalistischen und nationalkirchlichen Denken zur Religionslosigkeit und dem aktiven Religionshass ist bezeichnend und lehrreich. –
aus: Konrad Algermissen, Konfessionskunde, 1939, S. 277 – S. 278

Die abgefallenen Priester Ronge und Czerski

Ronge geboren am 16. Oktober 1813 zu Bischofswalde in Schlesien, studierte seit 1837 an der Universität zu Breslau, trat 1839 ohne allen Beruf zum geistlichen Stand in das dortige Alumnat, wurde 1840 zum Priester geweiht, 1841 Kaplan in Grottkau, schon im Januar 1843 in Folge seines ungeistlichen Benehmens und eines von ihm unter dem Titel „Rom und das Breslauer Domkapitel“ geschriebenen Artikels suspendiert, und übernahm dann eine Hauslehrerstelle auf dem oberschlesischen Hüttenwerk Laurahütte. Czerski, geboren am 12. Mai 1813 zu Warlubien in Westpreußen, wurde 1842 in Psoen, wo er seit 1838 studierte, zum Priester geweiht, war 1 ½ Jahre Vikar an der dortigen Domkirche, kam im März 1844 als Vikar nach Schneidemühl und erklärte daselbst, nachdem er wegen Konkubinats bereits zweimal suspendiert und versetzt worden war, am 22. August 1844 seinen Abfall von der „römischen Hofkirche“. Ihren Ausgang nahm die sogeenannte deutschkatholische Bewegung von dem am 15. Oktober 1844 publizierten Offenen Brief, welchen Ronge aus Anlass der großartigen Wallfahrt zum heiligen Rock nach Trier (18. August bis 6. Oktober 1844) gegen die Ausstellung und Verehrung dieser Reliquie an den Bischof Arnoldi von Trier (gest. 1864) richtete, sowie von der durch Czerski herbeigeführten Bildung der „christlich-katholischen Gemeinde“ zu Schneidemühl. Ronge wurde durch jenen Brief binnen weniger Wochen der Held des Tages, und von Seiten vieler mit ihrer Kirche zerfallenen Katholiken und mehr noch von Seiten gläubiger und ungläubiger Protestanten regnete es Dank- und Sympathie-Adressen auf ihn herab, die häufig von Geld- und Ehrengeschenken begleitet waren, und in welchen er in den überschwänglichsten und lächerlichsten Phrasen als der Mann des Jahrhunderts und als ein zweiter Luther begrüßt wurde. Das Breslauer Domkapitel richtete am 31. Oktober als Antwort auf den Brief Ronge`s ein sehr schönes und entschiedenes Schreiben an den Bischof Arnoldi, und der Weihbischof und Kapitularvikar Latussek verhängte am 4. Dezember über Ronge die Degradation und Exkommunikation. Gleichzeitig, aber unabhängig von der durch den Brief Ronge`s hervorgerufenen Bewegung, hatte Czerski am 19. Okotber mit einer kleinen Schar von Anhängern, die sich insbesondere durch das Auftreten des würdigen Propstes Busse von Schneidebühl gegen die gemischten Ehen verletzt fühlten, seine „christlich-katholische Gemeinde“ in Schneidemühl eröffnet…

Ihre Unterstützer sind vorwiegend abtrünnige Katholiken und Protestanten

Czerski hielt mit seinen Anhängern Gottesdienst in einem Privathaus, und die neue Gemeinde erfreute sich von Außen her reichlicher Unterstützung. Am 17. Februar 1845 wurde Czerski, nachdem er zwei häretische Schriftstücke veröffentlicht und sich mit seiner Konkubine zur Ehe hatte ausrufen lassen, von dem Kapitularvikar der Erzdiözese Posen Gajerowicz degradiert und exkommuniziert und am 21. Februar d. J. von dem protestantischen Pfarrer Grützmacher zu Schneidemühl feierlich getraut. Die Kunde von der Stiftung der Gemeinde Czerski`s in Schneidemühl, welche bereits im November 1844 durch die öffentlichen Blätter ging, trug wesentlich dazu bei, daß inmitten der durch den brief Ronge`s hervorgerufenen Bewegung und Aufregung auch an anderen Orten der Gedanke an die Bildung derartiger Gemeinden erwachte und Anklang fand.

Das Signal hierzu gaben abtrünnige Katholiken in Breslau, welche im Dezember 1844 Ronge, „den deutsch-katholischen Priester“, als ihren „Hirten und Seelsorger“ proklamierten… Ronge war von seinen Erfolgen so trunken, daß er sich bereits nahe am Ziel glaubte und in einem um jene Zeit unter dem Titel „Zuruf“ geschriebenen Pamphlet in die Worte ausbrach: „Ha, mich schauert, daß wir schon so nahe daran! … Und Rom muss fallen!“ Aber nicht allein Ronge gab sich solchen Täuschungen hin. Viele Tausende von Protestanten, protestantische Geistliche, Beamte, Literaten und Gelehrte an der Spitze, lebten in jenen Zeiten dem begeisternden Wahn, Ronge werde das Werk Luthers vollenden und Deutschland vollends von Rom losreißen, und suchten darum vielfach mit fanatischem Eifer die deutschkatholische Bewegung zu fördern und immer mehr in Fluss zu bringen. Fast überall, wo die Sekte auftauchte, gestatteten ihr die Protestanten dem Mitgebrauch ihrer Kirchen, an vielen Orten unterstützten und ermunterten sie die neu entstandenen Gemeinden durch reichliche Geldzuschüsse und feierliche Darbringung von Kultusgegenständen; …

Katholische Geistliche im Kampf gegen die deutschkatholische Bewegung

Die katholischen Geistlichen standen in jenen Zeiten des Kampfes fast überall treu und fest zur Kirche und traten, wo immer den Gläubigen Gefahr drohte oder auch nur zu drohen schien, mit hingebendem Eifer der deutschkatholischen Bewegung entgegen… Auch verdient hier erwähnt zu werden, daß der greise Wessenberg, als Ronge bei seinem Aufenthalt in Konstanz ihn für die deutschkatholische Bewegung zu gewinnen suchte, jede Beteiligung an derselben ablehnte, indem er erklärte: „Ich war stets und bleibe forthin ein treuer Sohn der katholischen Kirche“ (s. den Brief Ronge`s vom 17. Oktober und den Wessenbergs vom 18. Oktober 1845 bei Kampe II, 18-21).

Das katholische Volk bleibt fest im katholischen Glauben

Das katholische Volk stand in seiner immensen Majorität der deutsch-katholischen Bewegung gegenüber fest im Glauben und blickte mit Entrüstung und Verachtung auf das unwürdige und vielfach sehr gehässige Treiben der Sektierer hin. In den katholischen Ländern und Provinzen Deutschlands fand die Sekte nur wenig Anhang; fast alle Gemeinden bildeten sich in solchen Territorien, wo die Katholiken unter einer zahlreichen protestantischen Bevölkerung lebten, und hier waren es namentlich die gemischten Ehen, welche ihr ein beträchtliches Kontingent zuführten. Im übrigen rekrutierte sie sich fast ausschließlich aus dem mittleren Bürgerstand und aus dem städtischen Proletariat. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 3, 1884, Sp. 1603 – Sp. 1608

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