Das Zeitalter der Revolutionen
Das Pontifikat von Papst Innozenz XII. (regierte von 1691 bis 1700)
Ein Mann nach dem Herzen Gottes trat nach fünf Monaten (1) aus der Wahl der Kardinäle als Papst vor das versammelte Volk. Er nannte sich Innozenz XII. und sollte das siebzehnte Jahrhundert abschließen, indem er vom 12. Juli des Jahres 1691 bis zum 27. September des Jahres 1700 die Kirche durch den Glanz seiner Tugenden erhellte. Er wurde am 13. März des Jahres 1615 in Neapel geboren, stammte aus der Familie der Pignatelli und war, als er den Heiligen Stuhl bestieg, sechsundsiebzig Jahre alt. Er hatte sich in seinem bisherigen Leben eine Welterfahrung und Menschenkenntnis gesammelt, wie das nur in Rom möglich ist. Papst Urban VIII. und Innozenz X. hatten ihm die wichtigsten Gesandtschaften übertragen. Unter Alexander VII. war er päpstlicher Gesandter in Polen und später in Österreich. Dann ward er zum Bischof von Lecce und zuletzt zum Erzbischof von Neapel erhoben. Er kannte die Stimmung der Völker Europas gegen Rom und die Zustände der einzelnen Länder aus eigener Erfahrung und Anschauung. Innozenz XI. hatte ihn im Jahr 1681 zum Kardinalpriester erhoben. Aus Dankbarkeit nahm er als Papst dessen Namen an und machte sich zur Aufgabe, dessen Grundsätze und Regierungsweise einzuhalten. Sein musterhafter Lebenswandel berechtigte zu den besten Hoffnungen, die auch nicht getäuscht wurden.
Ein schlimmer Missbrauch hatte sich seit der babylonischen Gefangenschaft in Avignon in Rom eingeschlichen, von dem wir schon öfter sprachen, es war die Verwandten-Wirtschaft. Wurde ein Kardinal Papst, so machten seine Verwandten große Ansprüche. Die Geistlichen aus der Familie des Papstes wollten die Kardinalswürde, die andern aber einflussreiche Posten in der Armee oder in der Verwaltung erhaschen. Um ihren Wünschen willfahren zu können, war der neue Papst genötigt, die Verwandten seines Vorgängers aus ihren Stellen wo möglich zu verdrängen. Aber Papst Innozenz XI. hatte der Verwandten-Wirtschaft bereits einen starken Schlag versetzt; Innozenz XII. aber ließ seine Verwandten gar nicht nach Rom kommen und bestimmte, daß kein Papst mehr als einen Neffen zum Kardinal ernennen solle. (2)
Mit väterlicher Liebe sorgte der heilige Vater für die Armen. Oft sagte er: „Wozu brauche ich viele Paläste, während meine Brüder, die armen, nicht wissen, wohin sie ihr Haupt legen sollen?“ Den alt ehrwürdigen Lateranpalast wies er den Kranken und Armen zur Wohnung an. Außerdem baute er ein großes Spital für die armen Waisenkinder, damit sie dort erzogen, unterrichtet wurden und ein Handwerk lernen konnten. Darüber herrschte solche Freude, daß die Römer dem Papst, als er einmal aus Civita Vecchia zurück kehrte, entgegen gingen und ihn unter Gesängen in die Stadt zurück begleiteten.
In jeder Beziehung war dieser Papst ein treuer Wächter. Wenn er irgendwo einen talentvollen, trefflichen Mann kennen lernte, so erhob er ihn aus seiner Niedrigkeit und übertrug ihm die höchsten Würden. In jeder Woche bestimmte er einen Tag, an dem jedermann zu ihm Zutritt hatte. Klagen und Bitten hörte er mit der größten Herablassung an und half, wo er konnte.
Durch diesen Papst wurde auch der langwierige Streit mit dem französischen König endgültig beseitigt. Nicht Zugeständnissen von Seiten des Papstes, sondern die drohenden Gefahren von außen hatten den stolzen König veranlaßt, dem Papst die Hand zum Frieden zu reichen. (3)
Eine zweite Freude bereitete die göttliche Vorsehung unserm Papst. Prinz Eugen von Savoyen kämpfte im Dienst des österreichischen Kaisers mit Mut und Glück gegen die Türken. Im Jahr 1697 erfocht er bei Zenta einen glänzenden Sieg, worauf der Friede geschlossen wurde. Von da an hörten die Türkenkriege auf.
Um die nämliche Zeit erhielt der heilige Vater einen sehr freundlichen Brief von dem Kurfürsten Friedrich August von Sachsen und König von Polen. Im Land dieses Fürsten hatte die Glaubensspaltung ihren Anfang genommen und nach und nach ganz Europa mit Verwirrungen angefüllt. Nun schrieb der Kurfürst, daß er sich entschlossen habe, wieder zur römischen Kirche zurück zu kehren. Seit jener Zeit ist die königliche Familie von Sachsen katholisch geblieben.
Diese denkwürdigen Ereignisse, die Besiegung der Türken und die Bekehrung des sächsischen Fürstenhauses verherrlichten die letzten Jahre der Regierung des Papstes Innozenz, dessen Andenken in der Kirche gesegnet blieb; denn er beförderte durch Wort und Beispiel die Frömmigkeit des gläubigen Volkes. Die Verbreitung der Kreuzweg-Andacht ließ er sich ebenso angelegen sein, wie Papst Innozenz XI. Wenn er seinen Palast verließ, um sich von den anstrengenden Arbeiten zu erholen, ging er in eine Kirche, um zu beten, oder in ein Spital, wo Findelkinder erzogen wurden.
Auch dieser Papst sorgte mit allem Eifer für die Ausbreitung des christlichen Glaubens. Besonders leistete er viel für die Armenier und sandte den Karmeliten Pater Paul, den er zum Erzbischof von Anchyra erhob, im Jahr 1698 nach Persien. Im letzten Jahr seiner Regierung hatte der Papst noch die Freude, ein großes Jubiläum eröffnen zu können, das ein ereignisreiches Jahrhundert abschloss und ein noch Sturm bewegteres einleitete.
Über fünfundachtzig Jahre alt starb Papst Innozenz am 27. September des Jubeljahres 1700, beweint von der ganzen Christenheit.
Beim Tod dieses Papstes sah es traurig in der Welt aus. „Auf allen Seiten bemerkte man den Geist der Empörung, der Auflehnung und Gottlosigkeit, eine allgemeine Verschwörung der Fürsten gegen den Heiligen Stuhl. Es begann das Jahrhundert, in dem man die bitteren Früchte des Protestantismus erntete“, schreibt Chantrel. Es ist uns ein Trost, daß wir beim Verfall aller Zucht und Ordnung in Asien, Europa und Amerika in Rom Männer auf dem Heiligen Stuhl finden, die sich durch jede Art von Tugend auszeichnen, die ein Herz haben für die Leiden des unglücklichen Volkes, das die Sünden der Fürsten büßen musste. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 677 – S. 680
(1) Die Eifersucht der Mächte, die durch ihre Gesandten und ihnen ergebene Kardinäle missliebige Kandidaten auszuschließen und ihnen genehme durchzusetzen suchten, hatte die Wahl so lange verzögert.
(2) Die Beseitigung des Nepotismus nahm er energisch in Angriff und führte sie glorreich durch. Gleich mit Beginn eines Pontifikates erließ er die Verordnung, kein Papst dürfe fernerhin Geld, Güter und Ämter an Verwandte verschenken, selbst wenn diese wirkliche Verdienste haben. Arme Verwandte seien wie andere Arme zu behandeln.
(3) An 20 Jahre hatte man verhandelt, da sah Ludwig XIV. sich durch die Festigkeit des Papstes genötigt, die gallikanischen Artikel aufzugeben. Nachdem auch die von Ludwig XIV. ernannten Bischöfe sich unterworfen hatten, erhielten sie die päpstliche Bestätigung. –
aus: Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste, III. Band, 1907, S. 585 – S. 586