Das kostbarste Blut Jesu
Laßt uns niederknien vor der Herrlichkeit Gottes!
Wie kann die Welt eine unglückselige Welt sein, die einen so herrlichen Gott hat? Seine Herrlichkeit ist die Quelle aller unserer Freuden, denn sie ist die Quelle des Heils. Hier liegt das Geheimnis der tief gewurzelten Glückseligkeit der Welt. Selbst in ihrem Falle ist sie so hineingewachsen in die Seligkeit Gottes, daß sie keine Finsternis hat ohne irgend ein Licht, keine Bitterkeit ohne Süßigkeit. Gottes einfache Gegenwart ist überfließende Wonne.
Aber ist es schwer, unsere Freude in Gott zu finden? Ist es vielmehr nicht schwer, unsere Freude in etwas anderem zu finden?
Die Herrlichkeit Gottes ist überströmende Freude
Die Herrlichkeit Gottes ist die überströmende Freude des Lebens. Es ist eine unendliche Freude Gott anzugehören. Es ist eine unendliche Freude einen solchen Gott zu haben, der uns gehört. Wie die Freuden des Himmels ist es eine Freude, die jeden Morgen neu ist, wenn wir erwachen, so neu, wie wenn wir sie nie vorher gekostet hätten. Wie die Freuden der Erde ist es eine Freude, die jeden Abend die Seele zur Ruhe legt und ihr den Frieden gibt.
Indem wir von der Verschwendung des kostbaren Blutes handeln, ist es notwendig, daß wir klare Begriffe von der Herrlichkeit Gottes haben; denn die eine ist ein Teil der andern.
Er tut alles nach Maß. Der Unermeßliche beschließt nach Maß, wirkt nach Maß, belohnt nach Maß, straft nach Maß, freut sich am Maße. Der Ewige von ungezählten Jahrhunderten, von ungezählten Zeiträumen liebt es nach Zahlen zu zählen. Er zählt alle Dinge und nennt sie bei Namen… Er übersieht niemanden. Es ist Ihm als Schöpfer eigen genau, methodisch und unfehlbar in seiner Genauigkeit zu sein. Der Unbegrenzbare wiegt alle Dinge, als ob ihr Gewicht selbst für seine unerforschlichen Schätze eine Bedeutung hätte. Seine Herrlichkeit freut sich an nichts mehr als an der Genauigkeit der Verhältnisse. Seine Gerechtigkeit wägt die Glorie aus mit der tadellosesten Genauigkeit… Unser Gott ist ein genauer Gott und in nichts ist er anbetungswürdiger als in seiner Genauigkeit. Die Herrlichkeit steht nach dem Begriffe, den wir von ihr haben, über dem Gesetze. Nun aber ist für unser Auge die göttlichste aller Neigungen Gottes seine Liebe zum Gesetz. Die Größe seiner Freiheit besteht darin, daß sie ein unbegrenztes Gesetz ist.
Innerhalb seines eigenen unendlichen Lebens sind alle Dinge absolut notwendig, sind alle Dinge im erhabensten Sinne des Wortes Gesetze. Seine Kenntnis von Ihm selbst ist nicht der Heilige Geist, sondern das WORT. Seine Liebe Seiner selbst ist nicht das Wort, sondern der Heilige GEIST.
Noch viel mehr zeigt sich dieses herrliche Attribut der Gesetzesliebe an seinen äußeren Werken, wo keine Notwendigkeit herrscht. Er ist selbst ein hinreichendes, lebendiges Gesetz für seine Schöpfung. Aber allenthalben im Universum vervielfältigt und vereinfacht Er zugleich die Gesetze. Alles wird nach inneren Gesetzen getan, das geringste ebenso wie das größte der Dinge.
Er verbirgt sich fast hinter einem undurchdringlichen Schleier von Gesetzen. Es ist als ob Er seine unendliche Freiheit mit einer Unendlichkeit von endlichen Gesetzen fesseln wollte. Er scheint sich zum Gefangenen seiner eigenen Pünktlichkeit zu machen. Jede Zeit und jeder Ort haben ihre Gesetze. Es ist kein Winkel der Schöpfung, wo es nicht einen ganzen Kodex von Gesetzen gibt. Seine Allgegenwart ist eine Allgegenwart des Gesetzes. Alles trägt die Ketten der Ordnung, der Aufeinanderfolge, der Wiederholung.
Von dieser anbetungswürdigen Liebe zum Gesetze kommt die unaussprechliche Ruhe aller göttlichen Wirkungen in der Welt. Diese Ruhe ist es, die die Erde einem Heiligtum so ähnlich macht; sie ist so augenscheinlich die Hülle, unter der Gott sich selbst verbirgt.
Die Herrlichkeit Gottes ist sein göttliches Leben
Die Herrlichkeit Gottes ist also keine Glanzverschwendung. Sie ist keine üppige Verschwendung der Glorie, sie ist nicht ein bloßer Prunk seines königlichen Staates; sie ist, wenn wir das Wort gebrauchen dürfen, eine Notwendigkeit für Gott.
Er kann nicht anders sein. Er ist herrlich, einfach weil Er Gott ist. Er kann seine Größe nicht ablegen oder minder groß sein oder das eine Mal größer sein als das andere Mal. Die Herrlichkeit ist sein göttliches Leben. Sie hängt nicht an seinen Vollkommenheiten wie ein Gewand. Sie ist von Ihm unzertrennlich. Sie ist die äußere Wirkung seiner wunderbaren Attribute. Sie ist die innere Ruhe seines unbegreiflichen Lebens.
Seine Genauigkeit, seine Pünktlichkeit, seine Gesetzesliebe, seine Neigung für Zahl, Gewicht und Maß, seine Weise der Gleichförmigkeit, seine Arten von Ordnung und Aufeinanderfolge: alle diese Dinge gehören zur Herrlichkeit Gottes und sind die Wege, auf denen seine Herrlichkeit den Geschöpfen mitgeteilt wird.
Dies ist sehr verschieden von unsern menschlichen Begriffen von Herrlichkeit und muss im Gedächtnis behalten werden.
Um nun zu verstehen, was wir insgemein die Verschwendung des kostbaren Blutes nennen, müssen wir auch begreifen, daß Gottes Herrlichkeit nicht wie mit einer Flut glorreichen Lichtes seine Liebe zu Gesetz, Wiederholung, Ordnung und Genauigkeit oder seine methodische Gleichförmigkeit oder seine pünktliche Strenge oder seine unzerstreute Aufmerksamkeit auf Einzelheiten überwältigt; sie stellt vielmehr alle diese Charakterzüge in ein stärkeres Licht, weil sie zeigt, daß Er gerade in diesen Dingen herrlich ist und um ihretwillen.
Wer kann an Jesus zweifeln, wenn Er blutet?
Die Verschwendung des kostbaren Blutes
Laßt uns nun dies alles auf die Verschwendung des kostbaren Blutes anwenden. In nichts schien Gott mehr verschwenderisch zu sein als in diesem Werke, das besonders seiner Herrschaft und seiner Majestät dienen sollte. In nichts schien er mehr verschwenderisch als in dem, was an sich die ganze Reihe seiner göttlichen Ratsschlüsse darstellte. In nichts ist es für uns von solcher Wichtigkeit, daß Er herrlich war, als in der Vergiessung seines Blutes. Es gehörte zu seiner Herrschaft, es gehörte zu seiner Majestät, gerade in dem verschwenderisch zu sein, was seine Herrschaft Ihm teurer machte und seine Herrlichkeit noch herrlicher.
Indessen möchte ich euch gerne vorhalten, was ich im zweiten Kapitel andeutete, daß die Verschwendung des kostbaren Blutes einfach notwendig ist für unser Elend, daß wir mit weniger davon nicht auskommen könnten, daß, wenn so ein unendlicher Preis für unsere Erlösung bezahlt werden sollte, er unendlich bezahlt werden musste.
Die Herrlichkeit Gottes war nirgends mehr notwendig als im kostbaren Blute und hat sich nirgends in höherem Grade gezeigt. Es war für uns von unvergleichlicher Wichtigkeit, daß dem so sein sollte.
Wir brauchen (…) nicht eine unendliche Erlösung, obwohl, wenn man Gottes Heiligkeit betrachtet, eine unendliche Sühne angemessen gewesen sein mag, was uns wie eine Notwendigkeit vorkommt. Überdies würde ein einziger Tropfen des kostbaren Blutes hinreichen, um alle möglichen Welten zu erlösen; darum hatten wir nicht mehr notwendig als unseren Anteil an jenem Tropfen.
Wir hatten nicht absolut nötig, daß es so oft vergossen werden sollte unter so mannigfachen rührenden Umständen, von denen jeder ein schöner Reiz der Liebe ist, oder daß es alles vergossen werden sollte, vergossen sogar nach dem Tode durch ein Wunder ängstlich besorgter Verschwendung. In all dem übersteigt die Herrlichkeit Gottes unserer Bedürfnisse und hüllt uns in ihre eigene Unermesslichkeit ein.
Wir haben nicht mehr Gnade, als wir bedürfen. Die heilige Theresia sagt uns, daß selbst da, wo die Gnade der Vollkommenheit erteilt wird, sie oft bloß zur Rettung der Seele notwendig ist. Vom Standpunkte einer theologischen Spekulation könnten wir mit weniger selig werden, aber in der Praxis würden wir verloren gehen, wenn wir weniger hätten.
Während so auf der einen Seite die Lehrmeister des geistlichen Lebens uns vor dem Versuche warnen, über unsere Gnade hinauszugehen, lehren sie uns noch nachdrücklicher, daß wir der Gnade, die wir haben, getreu sein müssen.
Wir lesen, daß eine einzige Kommunion hinreicht einen Heiligen zu machen. So ist es an sich selbst, und es ist wichtig, daß wir dies wissen, da es den Wert einer Kommunion lebhaft vorstellt.
Allein es können in der Tat, was uns betrifft, hunderte von Kommunionen notwendig sein, nicht um uns zu Heiligen zu machen, sondern einfach um unsere Seelen zu retten.
Der große praktische Schaden für die Seelen der Menschen ist die Vernachlässigung der Sakramente…
Worauf ich Nachdruck legen wollte – und die Erfahrung hat mir den Nutzen davon gezeigt – ist der Umstand, daß. während Gottes Herrlichkeit uns eine Überraschung von Gnade gibt, jene Überfülle in Wirklichkeit kein Überfluss ist. Wir haben nicht eine Gnade, die wir entbehren könnten. Unsere häufigen Absolutionen sind nicht zu häufig für uns, noch sind unsere vielen Kommunionen, wenn sie kraft des Gehorsams verrichtet werden, zu viele. Eine einzige Gnade kann an sich hinreichen eine Seele zu retten; aber sie wird sie nicht retten, wenn sie nicht gerade dazu bestimmt war.
Es schmälert Gottes Herrlichkeit nicht, daß wir seine große Freigebigkeit absolut nötig haben; aber die Erkenntnis dieser Notwendigkeit gibt uns eine wahrere Ansicht von unserm Elend und nährt unsere Demut.
Es gibt also zwei Verschwendungen des kostbaren Blutes, die beide zur Herrlichkeit Gottes gehören, aber die eine von den beiden gehört auch zu unsern Bedürfnissen.
Wie ich vorhin sagte, macht schon die Wahl des kostbaren Blutes als Werkzeug unserer Erlösung einen Teil der Herrlichkeit Gottes aus. Es lag genug Verdienst und Genugtuung in einer einzigen Träne des Jesuskindes, um uns alle zu erlösen.
Nichts in den äußern Werken Gottes ist notwendig, deshalb ist das kostbare Blut nicht notwendig. Gott stand es frei, irgend eine andere Sühne zu wählen, es stand Ihm frei, uns überhaupt ohne Sühne zu verzeihen.
Allein nichts ist bloß willkürlich bei Gott; nichts ist unnötig, wenn es gleich nicht nötig ist. Es lag ohne Zweifel von Seiten der göttlichen Vollkommenheiten eine solche Angemessenheit in der Wahl eines unendlichen Opfers für die Sünde, daß es in einem Sinne notwendig war ein solches zu haben.
… wir werden dem Geiste der Kirche am genauesten folgen, wenn wir als unsere Beispiele die sieben Blutvergießungen auswählen, die uns als die Gegenstände von solchen Andachten dargestellt werden, die mit Ablässen versehen sind… Die Aufzählung, der wir folgen werden, ist die von Pius VII. approbierte und mit Ablässen bereicherte.
Die sieben Blutvergießungen
Die sieben Blutvergießungen sind: Die Beschneidung, die Todesangst, die Geißelung, die Dornenkrönung, der Kreuzweg, die Kreuzigung und die Durchbohrung des heiligen Herzens.
Es liegt ohne Zweifel eine göttliche Absicht in diesen sieben verschiedenen Geheimnissen. Wir werden finden, daß sie auf eine höchst vollständige und rührende Weise den Geist des kostbaren Blutes deutlich machen.
Während sie einander gleichen, sind sie auch verschieden. Sie haben jene Mischung von Ähnlichkeit und von Verschiedenheit, die so oft die Schönheit göttlicher Werke ausmacht.
Eine von ihnen gehört der Kindheit an, die anderen sechs der Passion.
Sechs von ihnen waren Leiden Jesu, eine war jene stumme Predigt seiner Liebe, die stattfand, nachdem Er gestorben war.
Die erste und die letzte hatten nichts zu schaffen mit der Erlösung der Welt; die erste, weil sie keinen Zusammenhang hatte mit seinem Tode, die letzte, weil sie nur stattfand, nachdem Er bereits tot war.
Von einigen der andern können wir auch, aber minder gewiß, sagen, daß sie nicht zu unserer Erlösung gehören.
Bei ihnen allen war Unsere Liebe Frau gegenwärtig, im Geiste, wenn nicht im Leibe, sie alle waren Schmerzen für ihr unbeflecktes Herz.
In der Zahl, wie oft das Blut vergossen wurde, in der vergossenen Menge und in den geheimnisvollen Arten seiner Vergießung offenbart die Herrlichkeit Gottes das Übermaß seiner Liebe.
Jede Blutvergießung hat ihre eigene Weise unser Herz zu rühren und ihren eigenen Reiz für unsere Andacht. Alle sieben miteinander haben auch eine deutliche Einheit und bilden ein vollständiges Gemälde und einen bestimmt ausgesprochenen Geist in unserer Seele. –
aus: Frederick W. Faber, Das kostbare Blut oder Der Preis unserer Erlösung, 1920, Kap. 5, S. 257 – S. 276