Gottvergessenheit Hauptübel der Welt

Das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf

Gottvergessenheit Eine neue Art der alten Sünde.

Das Leben ist kurz und verfliegt sehr schnell. Wir verlieren einen großen Teil der Zeit, und wir bedürfen kurzer Wege zum Himmel, ob zwar der rechte Weg in der Tat viel länger ist, als wir glauben. Man kann von vielen Menschen sagen, daß ihre Erleuchtung größer ist als ihre Wärme, was nicht viel anderes ausdrückt, als daß wir mehr glauben und bekennen, als ausüben; doch gibt es edle, gute Seelen, die der Erleuchtung mehr, als der Wärme bedürfen, sie verlangen mehr von Gott, von sich selbst zu wissen, mehr von dem Verhältnis, in welchem sie zu Gott stehen, denn sie möchten ihn gerne treuer und aufrichtiger lieben. Darin gibt es wieder Viele, die lesen oder hören von einem geistlichen Leben, oder stoßen auf die gewöhnlichen Grundsätze christlicher Vollkommenheit, ohne daß sie begreifen, um was es sich eigentlich handle, es klingen die Ausdrücke in ihren Ohren, als ob man eine fremde Sprache spreche; entweder kommen ihnen diese Ausdrücke vor, als hätten sie keine Bedeutung, als fehle ihnen der Grund der Realität oder als seien sie gar zu weit hergeholt. Sie halten sich von jenen Personen fern, welche nach solchen Grundsätzen leben oder sie bekennen, als hätten sie ansteckende Krankheiten, welche ihnen Gefahr drohen, und doch sind sie vom Weltgeist wenig ergriffen, oft sind es Menschen, die Gott große Opfer gebracht haben, und willig ihr Leben opfern wollten für seine Kirche. Ihre Neigungen sind gut, doch scheint ihnen etwas zu fehlen, und was dies dann immer sein mag, dieser Mangel scheint sie unfähig zu machen, sich zu heiligen.

Mit andern Worten, es gibt eine Menge von Menschen, die so gut sind, daß sie noch weit besser erscheinen, als sie wirklich sind, und es in der Tat ein Problem ist, wie sie ohne höhere Vollkommenheit so gut sein können. Das ist ein Phänomen, welches die Aufmerksamkeit Aller auf sich gelenkt hat, welche die Seelen lieben, für welche Jesus Christus sein kostbares Blut vergossen hat. Es ist nicht wahr, daß irgend eine Auflösung dieses Problems alle Schwierigkeiten lösen wird. Denn vieles liegt tief in der mannigfaltigen Verderbtheit unserer Herzen, aber eine Tatsache, welche sehr viel erklärt, und im Grunde genommen doch wieder ein Geheimnis ist, dieses besteht darin, daß Menschen, selbst fromme Menschen, sich nicht immer der Tatsache bewußt sind, daß sie Geschöpfe sind, daß sie sich niemals Mühe gegeben haben, einen klaren Begriff von allen dem sich zu verschaffen, was es für eine Bedeutung habe, ein Geschöpf zu sein. Daher kann man selbst von vielen Gläubigen in der Wahrheit sagen, daß sie keinen richtigen, keinen deutlichen Begriff weder von dem Verhältnisse, in welchem sie zu Gott stehen, noch auch von seinen Rechten und ihren eigenen Pflichten haben, so daß ihre falsche Idee sie oft auf Irrwege führt. Gottvergessenheit war in allen Zeiten das Hauptübel der Welt.

Dieses Gottvergessen ist der Vernunft so entgegen gesetzt, so ein Kontrast mit den täglichen Wahrnehmungen der Sinne, daß man hierfür außer dem Erbübel keine andere Hypothese aufzustellen vermag. Die Gottvergessenheit war stets viel häufiger, als die offene Empörung gegen ihn, die erste ist die Sünde der Menschen, die zweite die der gefallenen Engel. Doch hat jedes Zeitalter einen besonders ausgeprägten Charakter der Bosheit, und unsere Zeit scheint die Gottvergessenheit besonders darin darzutun, daß die Menschen der Wahrheit nicht eingedenk sind, daß sie Geschöpfe seien, und zwar unvollkommene, begrenzte, abhängige Geschöpfe. Diese Wahrheit mag man immerhin in aszetischen Büchern und philosophischen Systemen im allgemeinen Gespräch wiederholen, doch wird der Gedanke an Gottes Existenz bei Seite gesetzt, und so gehandelt, als lebte er nicht, die Welt kümmert sich um Ihn nicht. Wer von denjenigen, welche gewisse philosophische und wissenschaftliche Bücher des verflossenen Jahrhunderts gelesen haben, sollte es nicht wissen, daß es Männer gab, die von der Schöpfung schrieben, ohne daß sie ihre Ideen nicht in die entferntesten Verbindung mit dem Schöpfer brachten.

Solchen Schriftstellern schien die Schöpfung der Schlussstein von Allem und die Antwort auf Alles zu sein, wie dem Gläubigen das Geheimnis der allerheiligsten Dreieinigkeit.

Sie reden von der Schöpfung, philosophieren über dieselbe und kommen doch in keine Berührung mit dem Schöpfer. Das Wort Schöpfer ist für sie nur im Allgemeinen ein Haupt- oder Begriffswort, dem sie instinktmäßig überall ausweichen, und das sie selbst für die eigene Person zu erklären sich nie bemühten. Es ist aber nicht vielleicht eine festgesetzte atheistische Theorie, welcher wegen man Gott als Schöpfer ignoriert. Weil er unsichtbar ist, deshalb ward er für abwesend gehalten, und das Abwesende ist leicht vergessen, aus den Augen, aus dem Sinn. Man verweigert Gott nicht die Anerkennung, aber man denkt nicht an ihn, das ist die eine Phase der Gottvergessenheit der Welt.

Dann hat es wieder Zeiten und wissenschaftliche Schulen gegeben, in welchen man sich beständig auf Gott berief, und seinen Namen oft ehrerbietig, oft ohne Ehrfurcht gebrauchte. Es war der Name Gottes als Redefigur in der Mode, oft die Spitze der kühnen Figur eines Redners. Auch geschah es, daß man seinen Namen so ehrfurchtsvoll nannte, als würde man vor ihm Weihrauch verbrennen; das schmeichelt dem Gewissen, verleiht den Heiligenschein der Gläubigkeit, und empfiehlt uns besonders in den Augen der Untergebenen als besonders respektabel. Und doch hatte das Wort „Gott“ nie die Bedeutung der allerheiligsten Dreifaltigkeit, wie sie uns im heiligen Evangelium geoffenbart wird, es war nur die imaginäre Verkörperung, die vage Heiligsprechung einer ungeheuren Macht, einer entfernten Majestät, eines unbegreiflichen Geheimnisses, etwas wie die Schönheit mitternächtlicher Wolken oder die Urkraft eines brausenden Orkanes, welche den Geist erhebt, die Winzigkeit beruhigt, und ihr jene Poesie unserer Natur zur Nahrung reicht, welche so oft für wahren Gottesdienst und wirkliche Religion genommen wird. Die Ideen der Pflicht des Gebetes, des Opfers, des Gehorsams kamen in diesen Phantasien, wenn überhaupt, so doch höchst undeutlich vor, denn die Ideen beschäftigten sich lieber mit dem großen, als mit dem lebendigen Gott, man leugnete zwar nicht seine vielen Rechte über uns, seine Oberherrlichkeit, seine Vorsehung, seine strengen Forderungen und Gerichte, seine Weltregierung, aber man umfaßte seine Ideen nicht, wenn man Gottes heiligsten Namen aussprach.

Die strikte Lehre von seiner Allgegenwart, wie die Theologie sie feststellt, würde jene Menschen in Schrecken versetzt haben. Ein Gott, der Rechenschaft für jedes müßige Wort verlangt, und den bösen Gedanken straft, ein Gott, vor dem alle Menschen absolut gleich sind, ist ein ganz verschiedenes Wesen, als der poetische Beherrscher des Olymps der neuen Literatur, welcher die Untertanen im Zaume halten, unsern Verweisen Kraft verleihen, unsere Eigenliebe bestärken soll, und um es rein heraus zu sagen: Dieser Gott ist mehr unser Geschöpf als unser Schöpfer, er ist ein Geschöpf von moralischer Respektabilität, er ist die Notwendigkeit des unzufriedenen Gewissens, er ist die Konvenienz der Gesellschaft, der Trost eines keineswegs übernatürlichen Schmerzes und die Zierde einer frömmelnden eleganten Literatur, kurz es ist versteckter subtiler Atheismus, bei welchem man es durchaus auf keine Empörung absieht. Ein falscher Gott hat sich an die Stelle des wahren dreieinigen geschlichen und die Menschen, die den Glauben nicht hatten, bemerkten den Wechsel nicht, und sind sich desselben noch heute nicht bewußt. Das ist eine andere gewöhnliche Form der Gottlosigkeit, aber sie scheint nicht die besondern charakteristischen Merkmale, die ausgeprägte Bosheit der Form zu haben, welche vornehmlich unsern Tagen eigen ist.

Denn in der eben erwähnten Form war der Name Gottes eine Notwendigkeit, weil die Menschen wenigstens nicht darauf vergaßen, daß sie Geschöpfe seien, ja es galt sogar für respektabel und moralisch, gering schätzend von der menschlichen Natur, ihren Geistesgaben und Neigungen, und für erhaben, sehr große Dinge von dem weit entfernten Gott zu reden. Die menschlichen Begriffe von Gott brauchten nur verbessert, gereinigt, erhöht und erweitert zu werden, vor allem war es notwendig, sie zur Realität zu machen, zur moralisch drängenden bindenden Gewalt. Doch erinnerten sie sich, daß sie Geschöpfe waren, entschuldigten ihre Sünden mit ihrer Schwäche, und gingen zu Grunde. Aber, wenn wir uns nicht irren, hat die Bosheit unserer Zeit eine andere Richtung.

Heut zu Tage ignoriert man Gott auf passive, indirekte Weise. Die Menschen verachten Gott nicht, aber sie kümmern sich um ihn auch nicht, sie sind anderweitig beschäftigt, sie haben zu viel mit sich selbst zu tun, der Fortschritt, die Aufklärung streuen ihnen so vielen Staub in die Augen, daß sie es nicht mehr einsehen, daß sie Geschöpfe sind, sie wissen nicht einmal, was dies bedeute, und was daraus folge; so entschwindet ihnen die Idee Gottes, ohne daß sie es eigentlich wissen oder sich darum kümmern, ihre Seelen sind streng genommen atheistisch, gottlos, sie sind die Herren der Welt, nicht Pächter bloß oder zeitweilige Inhaber, sie denken gar nicht daran, daß Gott Rechte auf sie habe. Gott erscheint ihnen als eine Idee des Mittelalters, die Religion als Erfindung des Priestertruges, welche sich jetzt gänzlich überlebt hat. Gott ist ein subjektiver Begriff eine bloße Idee, eine Schöpfung des Menschengeistes, die einzige religiöse Wahrheit müsste man in der Richtung des Pantheismus suchen, aber die Welt ist sogar zu geschäftig, um an dies zu denken.

Das ist ihre praktische Ansicht, oder wäre es vielmehr, wenn sie sich überhaupt die Mühe geben wollten, sich eine Ansicht zu bilden. Die notwendigen Folgerungen daraus sind: Die Menschen sind die eigenen Herren, sie beginnen und endigen von sich selbst, die Menschheit geht mit großen Schritten der sozialen Vollendung entgegen, jede Generation ist eine glorreiche Abteilung auf diesem Zuge; Freiheit, Unabhängigkeit, Eile, Assoziation und Selbstlob bilden den Geist der Welt. Der Name Geschöpf ist nur der Klassifikation wegen erfunden, wie man auch in der Naturgeschichte von Geschlechtern und Spezies redet, aber religiöse Beziehungen sind gar keine aufzufinden, von einem übernatürlichen Verhältnisse kann keine Rede sein, es bedeutet das Wort eben nur einfach, daß wir nicht ewig sind, und diese Erinnerung ist uns sehr heilsam, weil sie uns anspornt, an unserm materiellen Wohle unabläßig tätig zu sein.

Alle Phasen der Zivilisation haben eine eigene Monomanie, gewisse Lieblingsideen kommen auf das Tapet, und werden mit ähnlicher Wichtigtuerei behandelt, bis man die eigentlichen Wahrheiten und Pflichten aus den Augen verliert, und bis die Moral selbst zur Konfusion wird. Dann kommt eine Reaktion mit einer neuen Favorittheorie, und entweder weil der Kreis einer geraden Linie ähnlich ist, weil wir auf einmal nur ein kleines Segment von ihm sehn, oder weil die materielle Welt eben so wie die lebende fortschreitet, während sie sich entwickelt, nennen wir den Wechsel Fortschritt.

Im Allgemeinen finden wir, daß alle diese Theorien mit ihren hochtrabenden Worten, ihren bestimmten Ideen, ihren einseitigen Übertreibungen ich auch auf die Begriffe von Gott verpflanzen. Alle die Ideen von Freiheit, Fortschritt , Unabhängigkeit, contracts socieaux, Repräsentativsysstem u. s. w. färben sich in den Begriffen von Gott ab, und haben einen gewaltigen Einfluß auf unsere Philosophie. Niemand kann in unserer Zeit viel lesen, ohne daß ihm die überwältigenden Tagesideen auffielen, welche eine Vermenschlichung Gottes lehren, in der Tat nichts vermag uns selbst abzuhalten, in denselben Irrtum zu verfallen, als die erhaben sichere, überirdische Wissenschaft der Theologie. (*) Besonders in der Gegenwart sollten wir sehr um- und vorsichtig sein in unserer Gottesidee, und stets nur jene als Panier festhalten, welche untrüglich wahre und weise katholische Wissenschaft uns gibt.

(*) Voltaire sagt sehr viele bittere Wahrheit, wenn er spöttelt: Seit Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hat, hat es ihm der Mensch schön vergolten. –
aus: Frederick William Faber, Der Schöpfer und das Geschöpf, 1858, S. 1 – S. 9

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