Das göttliche Herz Jesu und der Unglaube
Aus dem Hirtenbrief des Fürstbischofs Zwerger, Bistum Seckau, Steiermark
Im Jahre 1869 fand die Weihe des Bistums Seckau in Steiermark an das heiligste Herz statt. Der damalige Fürstbischof Zwerger hatte dazu durch ein Hirtenschreiben aufgemuntert. Darin sagt er unter Anderem:
Die Bedrängnisse, unter welchen die heilige Kirche Gottes seufzt, und die Schrecknisse, welche über die menschliche Gesellschaft herein zu stürzen drohen, drängen uns, durch den engsten Anschluß an das heiligste Herz uns und die Unsrigen für Zeit und Ewigkeit in Sicherheit zu bringen. Wir befinden uns beiläufig in der Lage eines Kindes, das da sitzt am Bergesabhang, welcher schon wankt und in der nächsten Viertelstunde in die grause Tiefe hinunter stürzen wird. Und rechts davon auf sicherem Felsengrunde steht der Vater des Kindes und ruft es, sich zu retten in seine Arme, an sein Herz. – So ruft uns Jesus zu dieser Hinopferung an sein heiligstes Herz. – Und links davon droht ein entsetzlicher Drache mit seiner zahlreichen giftigen Drachenbrut, das Kind zu verschlingen, wenn es nicht rechtzeitig entflieht, – so drängen uns die Schrecknisse, welche die menschliche Gesellschaft, vielleicht schon in der nächsten Zukunft, zerfleischen werden.
Wer ist aber dieser schreckliche Drache mit seiner giftigen Drachenbrut? Der Drache ist der Unglaube, und seine giftige Brut sind alle Bedrängnisse der Kirche und alle Arten von Elend in der menschlichen Gesellschaft.
Gegen die Kirche zeigt sich aber der Unglaube nicht wie bei den Heiden, welche nur deshalb ungläubig sind, weil sie die wahre Glaubenslehre nicht kennen, sondern wie bei abgefallenen Rebellen, welche die Kirche hassen und bekriegen. Daher sehen wir die von Gott gegebene Lehre der heil. Kirche mit allen Waffen des Spottes und der Verdrehung bekämpft, ihre Anordnungen und Gebote trotzig übertreten, ihre Heilsmittel verachtet, ihre Rechte mit Füßen getreten, ihre treuen Diener und entschiedenen Vorkämpfer angefeindet und verleumdet, die christliche Erziehung der Jugend so weit möglich der Zerstörung geweiht, ja wie es im größeren oder kleineren ;Maßstabe wiederholt an verschiedenen Orten, wenn auch noch nicht bei uns, bereits geschehen, förmliche und offene Erklärung unversöhnlichen Krieges gegen Gott selbst, der nicht mehr genannt werden solle, als nur um ihn zu hassen und zu lästern, nach der vor Jahren schon gemachten Äußerung: Es wird kein Glück auf Erden möglich sein, wenn nicht zuvor alle Brücken abgerissen werden, welche von der Erde zum Himmel führen. Und nachdem so der wahre Gott verlassen ist, werden an seiner Statt drei Götzen angebetet: der Erwerb, der Genuß und die Gewalt, so hohl und grausam, wie in alter Zeit der Moloch. Das war ein aus Erz gegossene Götzenstatue mit einem Ochsenkopf; inwendig hohl, zum Heizen, wie ein Ofen. Und war diese Statue glühend heiß, so kamen die Götzendiener herbei und beteten sie an, und warfen dann als Opfer die eigenen Kinder in die glühenden Arme des Ungeheuers, worin sie zu Hunderten dieses entsetzlichen Feuertodes starben.
Damit sind wir aber schon übergegangen, die zerstörenden Folgen des Unglaubens bei der menschlichen Gesellschaft überhaupt zu betrachten. Siehe da um den Götzen des Erwerbes, welch` eine atemlose Hetze der Hunderttausende, welche Alle bloß durch Schwindel erwerben, nicht durch ehrliche nachhaltige Arbeit verdienen wollen! Und um den Götzen des Genusses, welch` ein maßloses Rennen nach schmachvollen Genüssen, bei welchen die Menschenwürde nicht bloß untergeht, sondern auch bewußt und absichtlich verleugnet wird! Und endlich, welch ein unverantwortliches Untergraben aller Grundsätze des Rechtes, das zuerst im Großen zwischen Reichen und Völkern gewaltsam unterstützt wurde, und seitdem in allen Schichten der Gesellschaft wankt und stürzt. Und auf diesen Trümmern des Rechtes wird das Götzenbild der Gewalt aufgerichtet; darum stehen sich die Reiche in Waffen und die Nationen in Haß einander gegenüber. Diesem schmachvollen Götzendienst entsprechend zieht der Unglaube auch die Erkenntnis-Kräfte seiner Bekenner vom Streben nach höherer Erkenntnis ab und beschäftigt sie damit, jeden höheren Standpunkt der menschlichen Gesellschaft zu untergraben, bis der Mensch in raschem Absturz dahin kommt, nichts anderes mehr zu sein, als ein Stück Maschine bei der Arbeit, und in den übrigen Beziehungen ein Tier, noch unglücklicher, als die übrigen Tierarten, weil er allein vor denselben die Fähigkeit zur Verzweiflung und zum Selbstmord voraus hat.
Unter diesen giftigen Folgen des Unglaubens seufzen die Reiche, klagen die Nationen und jammern die einzelnen Menschen. An Verlangen, Abhilfe zu schaffen, fehlt es nicht. Seit Jahren sind solche Weltärzte in großer Anzahl aufgetreten. Manchem hat sich, wie einem neuen Messias die allgemeine Erwartung zugewendet und von ihm Heilung gehofft; umsonst; denn die angewendeten Heilmittel waren entweder nutzlos oder gar schädlich. Darum ist auch der Erfolg aller dieser Heilversuche der, den jetzt alle Völker seufzend empfinden; größeres Mißbehagen, schwererer Druck, tieferes Elend, näher heran ziehendes Drohen schrecklicher Strafgerichte des beleidigten Gottes.
Jedoch getrost! Es gibt Einen, der von jenen Krankheiten uns heilen, gegen diese Strafgerichte uns sicher stellen kann; Jesus Christus, welcher gerade in dieser zweifachen Eigenschaft in die Welt gekommen ist, als Arzt und als Versöhner. Zuvörderst ist er unser Arzt; denn schon das Wort Jesus heißt Heiland. Das will sagen heilend, der uns heilt von unserer Krankheit, der Arzt. Und diesen tröstlichen Namen hat er eigens deshalb angenommen, weil er zu dem Zweck in die Welt kam, um das arme Menschengeschlecht, welches tief krank danieder lag, zu heilen. Um sein mildreiches Herz steht die Umschrift, die er selber sich gemacht: Misereor super turbam. „Mir bewegt sich in Mitleid mein armes Herz über die Leiden meines armes Volkes!“ Er kann die Mutter hinter dem Sarg ihres Sohnes nicht weinen sehen, ohne denselben zu erwecken und lebend ihr wiederum zurück zu stellen. Er weint selbst am Grab des Lazarus und zögert nicht, ihn seinen trostlosen Schwestern wiederum zu erwecken. Selbst wenn er auf das verstockte Jerusalem nieder blickt, das sich eben anschickt, ihn zu kreuzigen, vergißt er auf seine eigenen Leiden und kann sich der Tränen nicht enthalten beim Gedanken, daß diese Stadt nach einigen Jahren ihres Unglaubens wegen durch so schwere Drangsale vernichtet werden soll. Zu diesem göttlichen Arzt also wollen wir fliehen, in sein göttliches Herz, welches uns ja durch die Wunde offen steht, wollen wir uns hinein retten, ja wir wollen ganz und gar dem göttlichen Herzen Jesu uns widmen, uns ihm aufopfern, ihm als Eigentum uns schenken.
Zwar sind wir ohnehin schon sein Eigentum aus mehrfachen Gründen. Zuvörderst sind wir sein Eigentum wie jedes andere Geschöpf, weil er uns erschaffen hat; ferner wie alle andern Menschen, weil er uns erlöst hat; zudem noch wie alle anderen Christen, weil er uns zu seiner Erkenntnis geführt hat; endlich wie alle andern Katholiken, weil er uns in der heil. Kirche alle geoffenbarten Wahrheiten und alle Heilsmittel geschenkt hat. Dadurch aber, daß wir uns jetzt noch eigens dem göttlichen Herzen Jesu weihen, werden wir noch in ganz besonderer und ausgezeichneter Weise sein Eigentum und erhalten ein ganz eigenes Recht darauf, daß der Herr uns auch als sein Eigentum liebe, beschütze und verteidige, und durch wahrhaft christlichen Wandel selig mache.
Aber ebenso ist Jesus auch unser Versöhner vor der göttlichen Gerechtigkeit, unser Schild gegen die drohenden Geschosse der Strafgerichte Gottes. Gott straft niemals gerne, sondern nur durch die Sünde der Menschen gezwungen; und auch dann straft er die noch in diesem Leben weilenden Sünder niemals, um an ihnen Rache zu nehmen, sondern nur, um sie noch durch väterliche Züchtigung vor der ewigen Strafe zu retten. Gegen den Unglauben nun und gegen die daraus entspringenden schrecklichen Beleidigungen Gottes zieht seit Jahren ein schweres Gewitter der göttlichen Strafgerichte heran, und wird sich über ganze Länder, Völker und Reiche entleeren. Was sollen wir dagegen machen? In ähnlichen Fällen hat es Gott, welcher niemals aufhört, ein gütiger Vater zu sein, von jeher geliebt und selbst die Menschen angeleitet, wie sie seiner göttlichen Gerechtigkeit in Demut, Buße und eifrigem Gebet entgegen gehen sollen, um sie dadurch zu entwaffnen. Überdies viel vermag dabei die öffentliche Bekehrung der Gesamtheit, wie wir bei Ninive sehen, wo der Herr vor der allgemeinen öffentlichen Buße selbst sein schon gesprochenes und feierlich verkündetes Strafgericht wiederum rückgängig machte. –
Wo aber die Gesamtheit sich nicht bekehrt, kann es einer kleinen Anzahl von frommen Betern gelingen, die allgemeinen Strafen Gottes von ganzen Städten und Ländern abzuhalten, wie wir es bei Sodoma sehen, wo die Bewohner jener ganzen herrlichen und weiten Gegend mit fünf Städten verschont geblieben wären, wenn nur noch sechs Gerechte mehr gewesen wären, als sich dort wirklich befanden. Aber auch in andern Zeiten und Ländern ereignet sich dieses viel häufiger, als die Meisten sich vorstellen, daß nämlich die große Anzahl der Bösen nur deshalb von den schrecklichsten Strafen Gottes verschont bleibt, weil es noch fromme Beter gibt, um derentwillen der Herr auch die Bösen verschont, fromme Beter, denen aber die Bösen keinen andern Dank wissen, als daß sie sie verhöhnen, verfolgen, oder, was noch viel schlimmer ist, sogar zu verführen trachten, die armen Verblendeten, welche es in ihrem Unglauben nicht bedenken, daß sie durch die Verführung jeder unschuldigen oder wieder bekehrten Seele eine weitere Stütze einreißen, bis sie endlich unter der einstürzenden Wucht der göttlichen Strafgerichte zermalmt werden! Aber auch einzelne heilige Beter haben schon manchmal von ganzen Städten und Ländern die allgemeinen Strafen Gottes abgehalten oder wiederum aufhören machen. So hatte Gott die gänzliche Ausrottung des Volkes Israel schon beschlossen und ausgesprochen; Moses betet für sie und erhält Begnadigung für Alle. So war später über dasselbe Volk eine fürchterliche Pest herein gebrochen und raffte sie nach Zehntausenden dahin; David betete für sie und bietet sich als Opfer dafür an, und der Engel des Todes steckt sein Schwert in die Scheide, die Pest hört auf. Es kommt also alles darauf an, daß wir uns wahrhaft bekehren, wie die Niniviten; daß wir uns ferner bemühen, selbst fromme Beter zu werden und solche unter uns zu haben; daß wir weiters besonders fromme Seelen zur Fürbitte für uns gewinnen.
Wenn ich jedoch den Unglauben und seine entsetzlichen Folgen täglich mehr überhand nehmen, und so viele mit nichts anderem beschäftigt sehe, als dieses schrecklichste aller Übel nur noch weiter und weiter zu verbreiten, und die Strafrute Gottes immer tollkühner heraus zu fordern, so bin ich bei allen soeben genannten Schutzmitteln noch nicht beruhigt; ich suche für alle mir Anvertrauten, für die Guten und Bösen, nach einem mächtigeren Fürbitter, nach einem kräftigeren Beschützer, nach einem sicheren Schild gegen die Geschosse der strafenden Gerechtigkeit Gottes. Und, Gott sei Dank, ich hab` einen gefunden, der mächtig genug ist. Jesus Christus selbst ist der starke Schild, der uns deckt, ja die unüberwindliche Festung, in die wir uns retten sollen. Um aber seiner Fürbitte und seines allmächtigen Schutzes desto gewisser zu sein, wollen wir uns ganz dem göttlichen Herzen weihen, uns ganz ihm aufopfern, uns ganz als Eigentum übergeben. Und dadurch erhalten wir auch ein ganz eigenes Recht darauf, daß der Herr uns als sein besonderes Eigentum liebe, beschütze und verteidige, zuvörderst vor dem Unglauben und vor den daraus kommenden Folgen der Sünden und Strafen. –
aus: Franz Hattler SJ, Das große Herz-Jesu-Buch für die christliche Familie, 1897, S. 232 – S. 235