Das Fest der Geburt der allerseligsten Jungfrau Maria
Der heutige Tag ist einer der süßesten, freudigsten und seligsten Tage für alle Kinder der heiligen Kirche, denn heute wurde Diejenige geboren, durch welche das Menschen-Geschlecht wieder hergestellt, alle Sprüche der Propheten, alle den frommen Altvätern gegebenen Verheißungen erfüllt, die Hoffnung des gefallenen Menschengeschlechtes aufgerichtet, das Sehnen desselben nach Erlösung gestillt, der Kopf der verfluchten Schlange zertreten werden sollte! Heute trat Maria, unsere gebenedeite Mutter und Herrin, ganz schön und rein, unberührt von jeder Makel der Sünde, mit allen Gaben des Himmels geschmückt, in die Welt: Heute ist das Geburtsfest der gnadenvollen Mutter des Erlösers, des Sohnes des lebendigen Gottes! –
„Wenn der Geburtstag der Großen dieser Welt“, ruft der hl. Petrus Damianus aus, „die doch nur vergängliche Güter und Wohltaten zu erteilen vermögen, in uns lebhafte Freudengefühle erwecken, welche Wonne müssen wir nicht fühlen am Tage der Geburt der allerseligsten Jungfrau Maria! Welche Danksagungen und Lobpreisungen sollen wir nicht dem Herrn bringen für seine großen Erbarmnisse, die er uns erwiesen; wie vertrauensvoll sollen wir nicht die Fürsprache der Mutter der Mutter bei ihrem Sohn anflehen?“
„Heute“, ruft der heilige Johannes Damascenus aus, „heute wehen über die Erde wahrhaft himmlische Lüfte, Lüfte, welche uns Frieden und Heiterkeit, die Rückkehr schöner Tage und das Ende des Winters melden. Freuet euch und frohlocket ihr Himmel, Erde breche in Jubel aus. Es freue sich die ganze Natur, denn jetzt is da jene unschuldige, glückselige Mutter, welche den guten Hirten gebären wird, der sich in ihr zum Lamm bilden will, um in seinem Blut die Sünden der ganzen Welt zu tilgen und das durch die Makel der Sünde entstellte und befleckte Gewand unserer alten Sterblichkeit zu zerstören.“
O sei immer und ewig gesegnet du verehrungswürdiger Geburtstag unserer erhabenen und unsterblichen Königin, unserer geliebtesten und liebenswürdigsten Mutter, unserer erbarmungsreichsten Wohltäterin! Sei in Ewigkeit gepriesen auf Erden wie im Himmel, von den Engeln und Menschen, von den Gerechten und Sündern! Den Tag, wo uns der liebe Gott, nach dem Geschenk seines Sohnes, das schönste, trostreichste Geschenk gemacht hat, den konnte die heilige Kirche zu feiern nicht vergessen.
Schon mehr als tausend Jahre wird das Fest dieses gesegneten Geburtstages unserer erhabenen Mutter in der Kirche mit großer Feierlichkeit begangen. Schon im Jahre 688 machte der Papst Sergius Mariä Geburt zu einem der vier Feste der Mutter Gottes; der heil. Gregor der Große und der heil. Ildephons reden schon von diesem Fest; alle Christen des Morgenlandes feierten dieses Fest mit großem Gepränge. Bis zum Jahre 1243 hatte aber das Fest noch keine Oktave; erst Papst Innozenz IV. hat es mit einer Oktav zu feiern befohlen, und zwar aus folgender Ursache: Nach dem Tod seines Vorgängers, des Papstes Cölestin, blieb der päpstliche Stuhl 18 Monate verwaist. Die heilige Kirche befand sich in großer Bedrängnis; da taten die Kardinäle das Gelübde, daß zur Ehre der gebenedeiten Gottesmutter derjenige, welcher den päpstlichen Thron besteigen werde, das Fest der Geburt Mariä mit einer Oktave in der ganzen Kirche zu feiern anordnen solle. – Die Himmelskönigin hatte Wohlgefallen an dem Gelübde, sie kam der heil. Kirche zu Hilfe; die Wahl des Papstes ging glücklich von statten und fiel auf den Kardinal Sinibaldi, der den Namen Innozenz IV. annahm. Dieser erfüllte alsbald das Gelübde und führte das Fest Mariä Geburt mit einer Oktave in der ganzen Kirche ein. – Er selbst machte die schöne Antiphon, welche die Geistlichen am heutigen Tage in den Tagzeiten beten: „Deine Geburt, o Mutter Gottes und Jungfrau! hat der ganzen Welt Freude verkündigt; denn aus dir ist hervorgegangen die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott, welcher lösend den Fluch, uns gegeben hat den Segen und zu Schanden machend den Tod, uns dafür das ewige Leben mitgeteilt hat.“
…
Danke auch du, christliche Seele, daß Jesus, der Sohn Gottes, sich eine so ganz reine, liebliche Mutter auserwählt hat, die am heutigen Tag in die arme, in Finsternis und Schatten des Todes liegende Welt kam, wie die aufsteigende Morgenröte, schön wie der Mond, auserkoren wie die Sonne. Sie ist das Meisterwerk der unendlichen Liebe Gottes, das einzige Menschenkind, das bei der Geburt schon das Ebenbild Gottes im lautersten, ungetrübten Glanz widerstrahlte. Himmel und Erde staunen dies Wunder der Gnade an, die Hölle zittert ob dem Erscheinen dieses heiligen Kindes, weil sie fühlt, daß mit diesem gebenedeiten Kind der Sturz ihres Reiches beginnt. –
O werfen wir uns heute nieder vor der verehrungswürdigen Wiege dieses heiligen, unbefleckten Kindes, das von Ewigkeit bestimmt war, Mutter des eingeborenen Sohnes Gottes und auch unsere Mutter zu sein; werfen wir uns auf die Knie und verehren wir aus Herzensgrund und mit aller Liebesinbrunst dieses Kind der Gnade, welches in der Wiege ruht; denn das ist der Wille dessen, der uns Alles durch die Vermittlung Mariens hat geben wollen. Laßt uns mit dem heiligen, liebeglühenden Johannes Damaszenus ausrufen: „O ersehntes und tausendmal glückseliges Kind, du bist gebenedeit über alle Töchter Eva`s! Du Sproß David`s, bestimmt Mutter Gottes, des Königs Himmels und der Erde, zu sein. Du empfängst heute ein unvergleichliches und ganz einziges Dasein weniger für dich als für uns Alle; denn du bist berufen, das Werkzeug des Heils für das menschliche Geschlecht, ja das Werkzeug unserer Vergöttlichung zu sein!“ – Werfen wir uns nieder vor der Wiege der Jungfrau und rufen wir sie um ihre Hilfe, um ihren Beistand an in den Bedrängnissen und Versuchungen unseres Lebens; denn „gewiß“, sagt der heilige Petrus Damianus, „dürfen wir zuversichtlich hoffen, daß wir die Macht ihres Beistandes an dem heutigen Tag empfinden werden, wo die ganze katholische Kirche sich beeifert, ihr alle Beweise kindlicher Verehrung zu geben. –
aus: Georg Ott, Marianum, Legende von den lieben Heiligen und gottseligen Dienern Unserer Lieben Frau und den berühmtesten Gnadenorten der hohen Himmels-Königin, 1860, II. Teil, Sp. 2035 – Sp. 2039