Christliche Liebe im Gewerbestand am Beispiel des hl. Eligius
In einer hübschen Fabel wird folgendes erzählt: an einem gewitterschweren Tag gerieten die christliche Liebe und der findige Eigennutz miteinander in Streit und wurden zuletzt handgemein. Die christliche Liebe hätte, wie die Sachen lagen, nach Recht und Billigkeit und wie auch die Zuschauer hofften, Sieger bleiben sollen; allein da das Glück zuweilen auch den Feiglingen hold ist, so behielt der schlaue Eigennutz die Oberhand und die arme Liebe mußte besiegt und beschämt dem herzlosen Gegner sich mit Waffen und Fahnen übergeben. Was tat nun der stolze Eigennutz? Der gemordeten Liebe nahm er gar nichts ab als ihr Gewand. Mit diesem Gewand überkleidete er sehr geschickt sein rauhes, häßliches Wesen und ging hurtig an die Arbeit, die Gewerbe treibenden Leute mit schönen, von Wohlwollen triefenden Worten anzulügen, zu täuschen, auszuplündern und sich gänzlich dienstbar zu machen.
Um den wichtigen Lehrinhalt dieser Fabel richtig zu verstehen, wollen, wir zunächst die christliche Liebe im Gewerbestand betrachten an dem hl. Eligius.
Die Kunstfertigkeit des hl. Eligius
Um das Jahr 588 im kleinen Dorf Chatelac, nahe bei der Stadt Limoges in Frankreich, geboren, hatte Eligius das Glück, von seinen frommen und an zeitlichen Gütern wohlhabenden Eltern Eucherius und Terrogia in hl. Gottesfurcht vortrefflich erzogen zu werden. Da der Knabe eine entschiedene Vorliebe für das Zeichnen und Nachbilden zeigte und ein besonderes Talent für geschmackvolle Schnitzarbeiten verriet, gaben ihn die Eltern dem berühmten Goldschmied Abbo in Limoges, welcher auch die königliche Münze besorgte und wegen seiner Kunstfertigkeit wie wegen seiner Redlichkeit sehr geschätzt war, in die Lehre. Durch seinen aufmerksamen Fleiß, durch seine geschickte Anstelligkeit bei der Arbeit, durch sein heiteres, bescheidenes Wesen, durch seinen frommen Wandel wie durch seine gefällige Dienstwilligkeit eroberte dieser Lehrling sich schnell die Liebe des Meisters und das Wohlwollen aller Gesellen. Im Jahre 620, zum tüchtigen Gesellen ausgebildet, ging Eligius auf die Wanderschaft, kam nach Paris, fand Eingang in das Haus und in die Werkstätte des königlichen Schatzmeisters Bobbo, der ihm Arbeit gab, bald seine seltene Geschicklichkeit bewunderte und seinen edlen Charakter bei dem König rühmte.
König Chlotar II. wollte nämlich einen ausnehmend schönen, mit Gold und Edelsteinen verzierten Thronsessel ganz nach eigener Idee sich machen lassen, fand jedoch keinen hierzu fähigen Künstler. Bobbo war überzeugt, daß sein Geselle Eligius hinreichend Tüchtigkeit für dieses Werk besitze und empfahl ihn dem König für die Ausführung seines Planes. Chlotar genehmigte den Vorschlag und wog dem Empfohlenen das Gold und die Edelsteine vor. Eligius ging mit Eifer an das Werk und vollendete es zur vollsten Zufriedenheit des Königs und seines ganzen Hofes. Aber wie freudig überrascht war der Fürst, als der junge Künstler ihm bald darauf einen zweiten, mit gleicher Zierlichkeit gearbeiteten Sessel überbrachte, den er nur aus den Resten und Abfällen des empfangenen Materials angefertigt hatte! Dieser Beweis an außerordentlicher Kunstfertigkeit machte gerechtes Aufsehen und dieser Beweis von ungewohnter Redseligkeit erwarb ihm das Zutrauen des Königs in dem Grade, daß er ihn an seinen Hof nahm und zu weiteren Arbeiten Silber, Gold Edelsteine ungewogen und ungezählt hingab.
Der hl. Eligius als Meister
Nun war Eligius vom Gesellen zum Meister erhoben und für seinen Kunstsinn ein weiter Kreis geöffnet. Von allen Seiten kamen ihm bedeutende Aufträge; sein Genie formte die schönsten Gebilde aus dem rohen Metall; aus seiner Werkstätte gingen die zierlichsten Gefäße und Geräte von Gold und Silber, die edelsten Figuren in Erz hervor. Seine Arbeiten fanden allenthalben hohe Bewunderung und brachten ihm reichen Lohn. Allein während er für die Prachtliebe des Königs und der Vornehmen seine Hände rührte, arbeitete er noch eifriger für sich, für seine Gesellen und Lehrlinge an einem noch höheren Werke für die Ewigkeit, an der Himmelskrone. Tag für Tag stand er inmitten seiner Arbeiter, die in groben Blusen mit nackten, sehnigen Armen den Hammer schwangen, am Schraubstock feilten, das geschmolzene Metall formten, die Esse bedienten…
Alle grüßte er freundlich, für jeden hatte er ein anerkennendes Wort, manchem schüttelte er die schwielige Hand, diesen um das Befinden der kranken Mutter, jenen um das Wohlergehen seines Bruders fragend. Der Meister freute sich, daß die munteren Arbeiter in seiner Werkstätte Brot genug verdienten, um auch die Ihrigen damit zu ernähren; er fühlte sich glücklich, daß der Sonnenschein der Fröhlichkeit und Zufriedenheit von dem Angesicht seiner Untergebenen in sein Herz hineinstrahlte. Sein redlich erworbener Reichtum hätte ihm erlaubt, seine Lebenstage im Ruhestand mit feinen Genüssen auszufüllen; aber er hatte das süße, heilige Bedürfnis, für seine Arbeiter zu leben, wie sie für ihn lebten. Nur für sich selbst war Eligius unerbittlich streng; er betete viel und hatte während der Arbeit noch ein hl. Buch vor sich, um seinen Geist mit gottseligen Gedanken zu nähren. Er fastete immer bis gegen Abend – manchmal zwei oder drei Tage lang. Er trug unter seinem Meistergewand, wie es damals Brauch war, ein rauhes Bußhemd.
Den Heiligen und Reliquien erwies er eine besondere Verehrung und die Fassung derselben in kunstreichen Kapseln und Kästchen zur Ausschmückung der Altäre war seine Lieblings-Beschäftigung; und er war unerschöpflich an lehrreichen Erzählungen, passenden Zusprüchen und liebevollen Aufmunterungen für seine Gesellen und Lehrlinge. Und was er ihnen Schönes erzählte von der Wonne der heiligen Gottesliebe, von dem unschätzbaren Besitztum der gegen die vielen Feinde siegreich bewahrten Herzensreinheit, von der himmlischen Süßigkeit und Macht des Gebetes, von dem übernatürlichen Lohn der Sanftmut und Friedfertigkeit und von dem unsterblichen Ruhm des barmherzigen Samariters: das beleuchtete und bestätigte sein eigenes Leben.
Seine Nächstenliebe
Silber und Gold, aus dem tiefen Schoß der Erde gegraben, gräbt sich so gerne wieder in die Tiefen des Menschenherzens und verhärtet dasselbe. Bei dem Meister Eligius war es nicht so. Er schmiedete das edle Metall zum Gebrauch der Reichen, seinen Arbeitslohn verwendete er freigebig zum Wohltun an den Armen, namentlich an die armen Verwandten seiner Gesellen und Lehrlinge. Die Hilfsbedürftigen aller Art strömten zu seinem Hause, wie die Bienen zum Honigstock, so daß man Fremden, welche nach der Wohnung des Goldschmieds Elegius fragten, nur die Weisung gab: „Dort ist er, wo ihr einen Haufen Arme trefft.“ Obschon sein Gewerbe eine wahrhafte Goldgrube war, überstiegen seine ausgaben für Almosen dennoch oft seine Einnahmen.
Ein besonders erbarmendes Herz hatte er für die ausgeplünderten Kriegsgefangenen, welche damals als Sklaven behandelt, auf den Markt geführt und zum Kauf feilgeboten wurden. Eligius kaufte of 40, 50 bis 100 Männer, Weiber und Kinder auf einmal und reichte seine Barschaft zum Lösegeld nicht hin, so verwendete er seine köstlichen Kleider und entbehrlichen Haus- und Zimmergeräte dazu. Diesen gekauften und mit dem Notwendigen versehenen Leute schenkte er dann die volle Freiheit und ließ ihnen die Wahl, entweder in ihre Heimat zurückzukehren, oder bei ihm zu bleiben, bis sie ein angemessnes Auskommen fänden. Nicht selten hatte er seine große Anzahl solcher Leute im Hause, für deren Wohlsein am Leib und an der Seele er mit väterlicher Umsicht und mit mütterlicher Kümmernis besorgt war. Da fand der edle König Dagobert I., welcher im Jahre 628 den Thron bestiegen hatte, oft das stille Vergnügen, seinem sehr geschätzten Hofgoldschmied mit Geld, Kleidern und Lebensmitteln aus drückender Not herauszuhelfen.
Seine Redlichkeit
Als ihm der gütige König ein prächtiges Landgut bei Limoges schenkte, errichtete er dort, im festen Glauben an die Segenskraft des Fürbittgebetes, ein großes Kloster für Benediktiner, versah es mit allem Notwendigen und schrieb in die Übergabe-Urkunde an die Mönche: „Eingedenk meiner Sünden und hoffend, durch euer frommes Gebet von denselben befreit zu werden, erscheine ich hiermit als Bittender vor euch: Ich gebe euch Kleines für Großes, Irdisches für Himmlisches, Zeitliches für Ewiges.“ Bald nachher stiftete er auch in Paris ein geräumiges Frauenkloster für 300 Nonnen. Als Eligius erst nach Vollendung des Baues bemerkte, daß aus Versehen eine Mauer einen Fuß breit über dem vom König ihm bewilligten Platz hinaus gerückt war, so eilte er – beängstigt im Gewissen zum König und klagte unter Tränen wegen des begangenen Fehlers sich selbst an. Dagobert, innig gerührt und staunend über solche Gewissenhaftigkeit, vermehrte seine Schenkung und sprach zu den Hofherren:
„Sehet doch, wie treu diejenigen sind, welche Jesus liebend nachfolgen! Meine Beamten nehmen gewissenlos mir große Grundstücke weg und dieser Goldschmied klagt sich selber voll der Reue an, daß er einige Zoll Landes sich unwissend angeeignet hat!“ Dagobert hielt den Eligius hoch in Ehren, übergab ihm die Leitung des ganzen Münzwesens, besuchte ihn häufig in der Werkstätte, fragte ihn oft um Rat und betraute ihn mit wichtigen Sendungen. Das Ansehen und der Einfluß des königlichen Münzmeisters stieg so hoch, daß Bischöfe in kirchlichen Angelegenheiten, wie Gesandte fremder Mächte in schwierigen Geschäften seine Hilfe sich erbaten. In dem Sonnenglanz so großer Gunst und Geltung am königlichen Hofe fehlte es dem nur von bürgerlichen Eltern abstammenden Münzmeister nicht an adeligen Neidern und hochgeborenen Feinden. Allein die Makellosigkeit seines Charakters und die Redlichkeit seines Wandelns machte alle ihre Pläne und Bosheiten zunichte. Gleich weit entfernt von Stolz wie von Kleinmut wandelte er den Weg der Gerechtigkeit und der Liebe und den giftigen Verleumdungen setzte er nur das bewunderte schweigendes guten Gewissens entgegen. (vgl. Matth. 26,63)
Innigst überzeugt, daß der Thron und das Reich nur dann glücklich sind, wenn die Religion hoch geschätzt, die Würde der Geistlichkeit tatsächlich geehrt und der hl. Glauben im Leben praktisch geübt wird, arbeitete Eligius unermüdlich in seiner hohen Stellung an der Erreichung dieses Zieles. Im Verein mit seinem besten Freunde, dem vortrefflichen Hofkanzler Audonnus, mit dem heiligmäßigen Sulpicius und Desiderius bekämpfte er die Irrlehren, welche damals schon Paris zu verpesten strebten förderte den Glanz der kirchlichen Feierlichkeiten und gab das schönste Beispiel eines aus dem Glauben lebenden Katholiken.
Im Jahre 639 wurde Eligius von einer Synode zum Bischof von Noyon gewählt, dessen gesegnetes, wunderbares Wirken als Kirchenfürst zu erzählen, nicht hierher gehört. Infolge dieser Wahl verließ er seine Werkstätte für immer, in welcher er, von der christlichen Liebe erfüllt, ehrenvoll gearbeitet und der Nachwelt das schöne, voll gültige Beispiel eines vortrefflichen Arbeiters und sehr ehrwürdigen Gewerbsmannes hinterlassen hat. –
aus: Otto Bitschnau, Christliche Standesunterweisungen, 1896, S. 379 – S. 382