Beteiligung der Heiden an der Kreuzigung

An einer grauen dunklen Mauerwand hängt ein Kruzifix: Jesus Christus hängt am Kreuz in erschütternder Weise

Warum die Heiden sich an dem Tod Christi beteiligten

Die Bedeutung der Beteiligung der Heiden an der Kreuzigung

Das Kreuzopfer des Herrn sollte den Opfern, dem Gottesdienst und dem Priestertum der Juden die Erfüllung geben, und ein Ende machen; es sollte auch den Götzendienst des Heidentums zerstören. Es sollten darum Juden und Heiden am Kreuzopfer Christi, des Herrn, sich beteiligen, und in deren Mitte erfüllte der göttliche Erlöser darum sein hochpriesterliches Amt in der ausdrucksvollsten Weise. Es sollte von nun an die Weissagung erfüllt werden: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang wird mein Name groß werden unter den Völkern, und an allen Orten wird meinem Namen geopfert,, und ein reines Opfer dargebracht werden; denn groß wird mein Name werden unter den Völkern, spricht der Herr der Heerscharen“ (Mal. 1, 11); und die andere Weissagung: „Er wird herrschen von einem Meer zum andern, und vom Fluss bis an die Grenzen des Erdbodens. Vor ihm werden sich nieder werfen die Äthiopier, und seine Feinde den Staub lecken. Die Könige von Tharsis und die Inseln werden Geschenke opfern; die Könige von Arabien und Saba werden Gaben bringen. Es werden ihn anbeten alle Könige der Erde, alle Völker ihm dienen.“ (Ps. 71, 8-12)

Denn dadurch, daß der Herr auch für die Heiden nicht nur litt und starb, sondern, wie von den Juden, so auch von ihnen dieses Leiden und diesen Tod erduldete, erhielt er eben als Erlöser ein doppeltes Recht, auch über sie zu herrschen, und von ihnen den Glauben, die Liebe und alle Dienstbarkeit zu fordern, wie er selbst in den Psalmen geweissagt hat, indem er von seinem himmlischen Vater sprach: „Der Herr hat zu mir gesagt: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Begehre von mir, so will ich dir geben die Heiden zu deinem Erbe, und zu deinem Eigentum die Enden der Erde.“ (Ps. 2, 6 u. 7 u. 8)

Aus allem dem ersehen wir nun, wie geheimnisvoll und wie viel bedeutend im Leiden und im Tod Christi auch dieser Umstand war, daß sich an demselben auch die Heiden beteiligten, und, was die Juden begonnen hatten, zu Ende führten; und wir erkennen daraus auch, wie angemessen es der göttlichen Vorsehung war, daß sie die gegebenen Verhältnisse auf solche Weise benützte.

Die Vorbedeutung des Kreuzopfers im Judentum

Wenn aber im alten Bund die Opfer, welche die Vorbilder des Opfers Christi waren, ausschließlich von den Juden, nicht aber auch von den Heiden, vorschriftsmäßig dargebracht werden mussten; so kann man daraus doch nicht schließen, daß jenen Opfern an ihrer Vorbildlichkeit Etwas gemangelt oder daß ihnen die Wahrheit, das Opfer des Herrn nicht vollkommen entsprochen habe… Im Kreuzopfer war Christus, der Herr, selbst, wie das Opfer, so auch der Opferpriester. Es hatten weder die Juden noch die Heiden auf das Leiden und auf den Tod des Gottmenschen als auf eine Opferhandlung den geringsten Einfluss; sie wollten auch nichts weniger als opfern, sondern einzig nur ihre Leidenschaften befriedigen, oder die Befehle ihrer Vorgesetzten ausführen. Es waren im alten Bund die von Gott bestellten Opferpriester die Vorbilder des ewigen Hohenpriesters Jesu Christi, und die von Gott bestimmten Opfer die Vorbilder des Opfers am Kreuz; und somit entsprach die Sache dem Schatten, die Wahrheit dem Vorbild, das Kreuzopfer den Opfern des alten Bundes auf das Vollkommenste. Das Leiden und der Tod Christi am Kreuz war nur in so fern ein Opfer, als er nach seinem eigenen Willen und aus Liebe sich hingegeben; in wie fern er aber das Leiden und den Tod von seinen Feinden erduldet hat, waren es Verbrechen, welche von diesen Feinden an ihm begangen wurden.

Die rechtlichen Voraussetzungen für das Todesurteil

Überdies ist der göttliche Erlöser unter dem Vorwand sowohl der jüdischen als auch der heidnischen Gesetze gekreuzigt worden; nach den jüdischen Gesetzen, denn die Juden schrien vor Pilatus: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muss er sterben; denn er hat sich selbst zum Sohn Gottes gemacht“ (Joh. 19, 7); nach den heidnischen Gesetzen, denn auch auf diese Gesetze beriefen sich die Juden vor Pilatus mit der Anklage: „Diesen haben wir befunden als einen Aufwiegler unseres Volkes, und als Einen, der verbietet, dem Kaiser Zins zu geben; indem der sagt, er sei Christus, der König“ (Luk. 29, 3); den letzten entscheidenden Ausschlag aber gab das Geschrei vor Pilatus: „Wenn du diesen los lässest, bist du kein Freund des Kaisers; denn Jeder, der sich zum König macht, widersetzt sich dem Kaiser.“ (Joh. 19, 12)

Daß sich mit den Juden auch die Heiden an den Leiden und an dem Tode Christi, des Herrn, beteiligten, brachten endlich die damaligen Verhältnisse im öffentlichen Leben und im Gerichtsverfahren mit sich, wie dies aus den Verhandlungen über den Herrn selbst hervor geht. Denn die Juden selbst haben die Beteuerung ausgesprochen: „Uns ist es nicht erlaubt, Jemanden zu töten“ (ibid. 18, 31). Nun sagt zwar der heiligen Augustinus von dieser Äußerung: „Sie verstanden darunter, es sei ihnen nicht erlaubt, Jemanden zu töten wegen der Heiligkeit des Festtages, den sie zu feiern bereits begonnen hatten“ (Tract. 114. in Joann.); und der heilige Chrysostomus gibt als Ursache an: „Weil sie wollten, daß er nicht als Übertreter ihres Gesetzes, sondern als Reichsfeind, weil er sich zum König gemacht, getötet werden sollte, was nicht ihrer Gerichtsbarkeit unterstand.“ (Homil. 82. in Joann.) Auch könnte man sagen, sie haben dies darum vorgegeben, weil sie zwar Niemanden kreuzigen, wohl aber Verbrecher gegen ihr Gesetz steinigen durften; und weil sie den Herrn auf die schmerzlichste und schmachvollste Weise töten, das ist, kreuzigen wollten. Allein das Wahrscheinlichste ist, daß ihnen die Römer, unter deren Herrschaft sie standen, die Gewalt über Leben und Tod wirklich genommen hatten, und daß sie auch, wenn sie einen Verbrecher gegen ihr Gesetz nach der Vorschrift desselben steinigen, oder wie immer mit dem Tod bestrafen, und dies öffentlich nach aller Form des Rechtes tun wollten, von der römischen Obrigkeit dazu wenigstens die Erlaubnis erwirken mussten. Wenn sie aber auch ohne diese Erlaubnis den heiligen Stephanus gesteinigt, den heiligen Paulus meuchlerisch zu ermorden sich verschworen, und den heiligen Jakobus von der Zinne des Tempels herunter gestürzt und erschlagen haben; so ist dies wie bei dem Ausbruch einer Volkswut und gegen die gesetzliche Ordnung geschehen, und der jüdische Geschichtsschreiber Josephus berichtet ausdrücklich, daß sie wegen der Ermordung des heiligen Jakobus von der römischen Obrigkeit gestraft worden seien. (Antiq. Libr. XX. c. 8. alias 16.) Es lag also in den damaligen Verhältnissen und in dem öffentlichen Gerichtsverfahren jener Zeit, daß die Juden zwar zum Leiden und zum Tod des Herrn den Anfang machten, die Heiden aber die Fortsetzung und Vollendung dieses Verbrechen bewerkstelligten; die göttliche Vorsehung aber hat diese gesellschaftlichen Zustände benützt, um ihre geheimnisvollen und wunderbaren Absichten zu verwirklichen.

Die Berufung der Heiden als neues Gottesvolk

Da sehen wir nun einerseits das Gebaren von Völkern, von den Juden und von den Heiden, von der ganzen Menschheit der Führung Gottes gegenüber, und andererseits das Walten der göttlichen Vorsehung diesem Gebaren der Menschen gegenüber, und zwar in Bezug auf die Heilsordnung, auf den Weg zum ewigen Heil. Wie sehen die Heiden in ihrem Abfall von Gott auf lange Zeit verlassen im Sinne der Worte des Völkerapostels: „Gott überließ sie den Lüsten ihres Herzens. – Wie sie die Erkenntnis Gottes verworfen, überließ sie Gott dem verwerflichen Sinn, zu tun, was sich nicht geziemt.“ (Röm. 1, 24 u. 28) Wir sehen das Volk Israel ohne sein Verdienst auserwählt und hoch begnadigt, wie geschrieben steht: „Er fand es im wüsten Land, am Ort des Grauens, der weiten Öde, führte und lehrte es und bewahrte es, wie seinen Augapfel. Wie der Adler seine Jungen zum Flug lockt und über ihnen schwebt; also breitete er seine Flügel aus und nahm es und trug auf seinen Schultern.“ (Deut. 23, 10 u. 11) Wir sehen dann dieses Israel seinen Undank und seinen Frevel gegen Gott bis zum Gottesmord steigern, und deshalb von Gott auf lange Zeit aufgegeben und verlassen, nach dem Wort des Erlösers: „Seht, euer Haus wird euch wüst gelassen werden!“ (Matth. 23, 38) Wir sehen aber jetzt die Heiden berufen und auserwählt, aus ihnen die Kirche Gottes erstehen nach der Weissagung: „Es suchen mich, die vorher nicht nach mir fragten; es fanden mich, die mich nicht suchten. Ich spreche zu dem Volk, das meinen Namen nicht anrief: Sieh, hier bin ich; sieh, hier bin ich!“ (Isai. 65, 1; Röm. 10, 19 u. 20 u 21) Diese Wahrheit liefert uns die Geschichte der Kirche Christi und der ihr gleichzeitigen Heidenwelt. Verläßt Gott ein Volk, so ist es Gerechtigkeit; erwählt Gott ein Volk, so ist es Barmherzigkeit. Wie Gott aber seine Gerechtigkeit und seine Barmherzigkeit walten läßt, wo, wann, wie und über wen er die Gerechtigkeit oder die Barmherzigkeit walten läßt, das ist ein unerforschliches Geheimnis seines Ratschlusses. Dieses Alles gilt auch für den einzelnen Menschen. Daher die Mahnung des heiligen Paulus: „Wirket euer Heil mit Furcht und Zittern“ (Phil. 2, 12); aber auch die Zuversicht, mit welcher uns der Prophet beten lehrt: „Ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz wirst du, o Gott! nicht verachten“ (Ps. 50, 19); denn Gott hat bei seinem Leben geschworen: „So wahr ich lebe, spricht Gott, der Herr, ich will nicht den Tod des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Weg und lebe.“ (Ezech. 33, 11)

Unsere Pflicht als Christen

Die Juden und Heiden, welche den Herrn gekreuzigt haben, waren keine Christen, noch nicht gerechtfertigt und geheiligt, wie wir; und weit schuldbarer ist der, welcher nach erlangter Begnadigung wieder frevelt, als jene, welche vor derselben Verbrechen begehen. Wir müssen daher vielmehr an die eigene Brust schlagen und unsere eigenen Sünden bereuen, als die Feinde des Herrn anklagen und verurteilen. In diesem Sinne schreibt der heilige Augustinus über jene, die nach dem Erlösungstod des Herrn ihn durch ihre Sünden, wie der heilige Paulus sagt, „Jeder für sich, neuerdings kreuzigen und verspotten“ (Hebr. 6, 6), von dem letzten Gerichtstage: „Wie dem Thomas, der nicht geglaubt, ohne zu berühren, und zu sehen, so wird (Christus) auch seinen Feinden seine Wunden zeigen, nicht, um ihnen, wie dem Thomas, zusagen: Weil du gesehen, hast du geglaubt; sondern um als die Wahrheit zu ihrer Überführung zu sagen: Seht da den Menschen, den ihr gekreuzigt habt; seht da den Gottmenschen, an den ihr nicht habt glauben wollen! Seht ihr die Wunden, die ihr mir geschlagen; erkennt ihr die Seite, die ihr mir durchbohrt habt? Denn durch euch und euretwegen ist sie geöffnet worden, und ihr habt dennoch nicht hinein gehen wollen.“ (De symbol. Libr. II. c. 8)

Ist es nicht vielmehr Pflicht für uns, für alle Unbilden, welche die Juden und Heiden ihm angetan haben, und an welchen auch unsere Sünden Schuld sind, den möglichsten Ersatz zu leisten, und für seine unendliche Erbarmung, mit der er dessen ungeachtet die Juden und die Heiden und mit ihnen auch uns zum Glauben berufen hat, uns erkenntlich zu erweisen? Denn ihre Bosheit und ihre Schuld überstieg alles Maß, und musste den Herrn mehr Schmerzen, als alle Misshandlungen und als der Tod selbst. –
aus: Georg Patiss SJ, Das Leiden unsers Herrn Jesu Christi nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin, 1883, S. 223 – S. 229

Bildquellen

Beiträge von P. Georg Patiß zur Passion Christi

Buch mit Kruzifix
Unterricht für den Gründonnerstag
Kreuzwegandacht zum Herzen Jesu