Wunder als Beweis für die göttliche Sendung und Gottheit Jesu
Der Lieblingsjünger des Heilandes (…) beschließt sein Evangelium: „Das aber ist geschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias und Gottessohn ist, und durch diesen Glauben das leben besitzet in seinem Namen.“
Daß Jesus selber das klare Bewusstsein seiner göttlichen Sendung als Erlöser besaß und daraus kein Hehl machte, dafür bürgen uns seines eigenen Worte. Am Jakobsbrunnen zu Sichar sagte er zur Samariterin, die sich auf den kommenden Messias berief: „Ich bin es, der ich mit dir rede.“ Ein anderes Mal finden wir Jesus inmitten seiner Getreuen, umgeben von den Scharen des Volkes, dessen Kranke er heilt. Zwei Männer treten heran und sagen: „Johannes der Täufer hat uns zu dir gesandt und läßt dir sagen: Bist du es, der da kommen soll, oder haben wir einen andern zu erwarten?“ Da antwortet ihnen Jesus: Geht hin und verkündigt dem Johannes, was ihr gehört und gesehen habt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt, und selig, wer sich an mir nicht ärgert.“ (Lk. 7, 19ff; Mt. 11, 2ff) Diese Worte des Herrn sind nichts Geringeres als eine Berufung auf die Weissagung des Propheten Isaias über die Wundertaten des Messias. Der Sinn der Antwort des Herrn ist klar: Ja, ich bin der Messias, den ihr erwartet, und selig, wer an meiner Armut und Niedrigkeit keinen Anstoß nimmt. Diese letzt genannte Szene ist zugleich ein durchschlagender Beweis, daß Jesus – auch bei den Synoptikern – für seine Behauptung der gottgesandte Messias zu sein, sich auf seine Wunder berief. Den ungläubigen Städten Galiläas reif er zu: „Weh dir, Corozain, weh dir, Bethsaida, wären in Tyrus und Sidon die Wundertaten geschehen wie in dir, in Sack und Asche hätten sie Buße getan.“ Mit vollem Recht durfte er von seinen Feinden sagen: „Wenn ich unter ihnen nicht Werke getan hätte, die kein anderer getan, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie gesehen, und doch haben sie mich und meinen Vater gehaßt.“
Die Gottheit Christi ist in den Evangelien mit unverkennbarer Deutlichkeit ausgesprochen. Das hat uns das Bild des Gottessohnes in den Evangelien gezeigt. Freilich, der Heiland trat nicht vor die Volksscharen hin mit den Worten: „Ich bin der eingeborne Sohn Gottes, wesensgleich mit dem Vater und dem Heiligen Geist.“ Niemand hätte ihn verstanden, und wie einen Leugner des einzigen wahren Gottes hätte ihn das Volk zum Lande hinaus gesteinigt. Der Heiland bereitete Sinn und Herz vor. In liebevollster Rücksichtnahme auf das, was die schwachen Menschenkräfte zu fassen und zu tragen vermochten, führte der Herr mit wahrhaft göttlicher Seelenkenntnis und himmlischer Erziehungskunst seine Jünger allmählich zur Überzeugung, daß wirklich Gottes eingeborner Sohn vor ihnen stehe. Die Wunder, die seine Lehre begleiteten und besiegelten, verliehen dieser Überzeugung eine Kraft, die Stürmen trotzen konnte. Nicht auf dem Ausdruck „Sohn Gottes“ allein beruht der Beweis für die Gottheit Christi aus den Evangelien, sondern vor allem in der Art und Weise, wie der Heiland sein Verhältnis zum Vater darstellt, sich über die Propheten erhebt, sich als Gesetzgeber und Richter aller Menschen erweist.
Wie konnte der Herr seine Sendung anders beweisen als durch Wunder und erfüllte Weissagungen? Was brachte in der Tat bei den Jüngern wie beim Volk die Überzeugung zum Durchbruch, Jesus sei der verheißene Messias, wenn nicht die Wunder, deren Zeugen sie waren? Musste es endlich nicht die erste und größte Sorge des Herrn sein, daß er als Gottesgesandter erkannt werde, wenn nicht all sein Lehren, all sein Arbeiten fruchtlos sein sollte?
Daß der Heiland bei seinen Wundern wirklich die Absicht hatte, sich als Messias und Gottessohn zu erweisen, das beweist die Antwort des Herrn an die Abgesandten des Täufers und die Berufung auf die messianischen Weissagungen des Isaias… Die Heilung des Blindgebornen hört ebenso wenig auf, eine Wohltat für den armen Blinden zu sein, wenn der Heiland daran anschließend sich als das Licht der Welt erklärt, als die auch von den Synoptikern erzählte erste Brotvermehrung wegen der von Johannes erzählten eucharistischen Rede aufhört, eine wahre, in Wirklichkeit geschehene Sättigung des Volkes zu sein. Und der von den Synoptikern allein erzählte erste wunderbare Fischfang wird keine bloße Allegorie, weil der Heiland dem Petrus nachher sagt: „Von nun an wirst du Menschenfischer sein.“
Das Konzil von Ephesus definiert feierlich die Einheit der Person in Christus; aber auch das ist eine alte liebe Lehre, welche das Christentum längst aus den Evangelien kannte. Denn auch hier ist ein und derselbe Jesus Christus Gottes eingeborner Sohn und doch wahrer Mensch, das ewige Wort, durch welches alles geschaffen worden, und doch der Sohn der Jungfrau, der für uns am Kreuze starb. Wenn endlich das Konzil von Chalcedon die Wahrheit der zwei Naturen, der göttlichen und der menschlichen, in Christus betonte, so rettete es nur die herrlichen Züge des „Gottessohnes“ und des „Menschensohnes“ im Christusbild der Evangelien, während der Monophysitismus mit Allgewalt dahin trieb, in Christus entweder bloß Gott oder einen bloßen Menschen zu sehen. –
aus: Julius Beßmer SJ, Philosophie und Theologie des Modernismus, 1912, S. 300 – S. 301; S. 306 – S. 307; S. 311; S. 322 – S. 323