Das Geheimnis der Menschwerdung
Teil 2-5
Die Wirkungen der Menschwerdung für Gott
Dieses Geheimnis ist so recht die Ehre und Verherrlichung Gottes, weil es vor allem, wie kein anderes, die Eigenschaften Gottes enthüllt. – Zuerst die Weisheit in der Mannigfaltigkeit und Einheit ihrer Schöpfungen. Hier krönt sie ihre Erfindungen durch den glorreichen Schlussstein und die Krone aller Schöpfung. – Dann die Allmacht. Hier läßt sie nicht Sterne und Welten, Erde, Meer, Menschen und Engel aus ihrem Schaffen hervor gehen, sondern Herrn der Schöpfung den Gottmenschen, ein Wunderwerk, das alle Enden des geschaffenen und Ungeschaffenen wesenhaft in sich zusammen faßt und verbindet. – Ferner die Güte und Barmherzigkeit, die sich nirgends herrlicher zeigt als im Geben und Vergeben. Wo gibt Gott freigebiger als in der Menschwerdung? Er gibt da nicht bloß seine Güter, Natur, Gnade und Glorie, sondern sich selbst, und nicht bloß zum Nutzen, zum Anschauen, Genuss und Besitz, sondern zur wesenhaften Vereinigung, zu einer Vereinigung, die jede andere Vereinigung übertrifft und als Mitgift die ganze Fülle der natürlichen und übernatürlichen Güter Gottes nach sich zieht. Die Gabe ist nichts Geschaffenes sondern die ungeschaffene und unendliche Person des Sohnes Gottes. – Und diese Güte verherrlicht auch die Gerechtigkeit. Die Menschwerdung hat ihr Ziel in der Versöhnung und Genugtuung der Gerechtigkeit. Rund und voll wird ihr in derselben bezahlt für den Menschen und auf dieselbe Weise, wie Schuld zugezogen wurde, durch ein stellvertretendes Haupt. Diese Schuld war für die Güte Gottes gerade der Grund, die Annäherung an die Menschheit durch die Menschwerdung zu vollziehen, so daß die Schuld den Menschen weit höher zu Gnaden und Ehren brachte, als er vor seinem Fall besessen.
Gott wird aber nicht bloß verherrlicht dadurch, daß er seine göttlichen Eigenschaften offenbart, sondern auch dadurch, daß der Mensch veranlaßt wird, Gott zu loben und ihm Ehre zu erweisen. Dieses Lob und die Anbetung, die Gott von seinen Geschöpfen gebührt, wird in der Menschwerdung auf eine ganz neue und Gottes höchst würdige Weise gewonnen. Durch die Menschwerdung wird Gott eine unendliche Anbetung und Genugtuung geboten, deren die ganze Schöpfung aus sich nie fähig war. In der Menschwerdung erhielt Gott einen Gott zum Anbeter und Genugtuenden, der alles in unendlicher Weise bietet. Und wäre dieses unendliche Maß der Verherrlichung Gottes noch einer Vermehrung fähig gewesen, so würde sie ihm zu Teil durch den Umstand, daß dieser Gott aus reiner Liebe in völliger Entäußerung und Verdemütigung, in der Hingabe in den schmählichsten und leidenvollsten Tod die Genugtuung vollziehen will, daß er dieses Opfer stets mystischer Weise fortsetzt in unzähligen Seelen, die sein Beispiel dazu ermuntert, und in dem eucharistischen Opfer, das nie ausgeht auf den Altären der katholischen Kirche. Diese drei Opfer, das Kreuzopfer, das eucharistische Opfer und das mystische Opfer in den Herzen der Menschen, sind Ausstrahlungen des priesterlichen Opfergeistes Jesu und machen das Erdenrund zu einem lebendigen Tempel der Ehre und Verherrlichung Gottes. Mit der Menschwerdung gong also für die Ehre Gottes ein ganz neues und herrliches Weltalter an, und deshalb fangen die Engel an der Wiege des Gottmenschen: „Ehre sei Gott in der Höhe“ (Luk. 2, 14).
Das ist also das Geheimnis der Menschwerdung. Sein innerstes Wesen ist die wunderbare Vereinigung der menschlichen Natur mit der zweiten göttlichen Person und das Eintragen der Menschheit in die Gottheit. Sein Ergebnis ist der Gottmensch, dieses große und wunderbare Wesen, das Vorbild, der Urheber und das Ziel der ganzen Schöpfung; das geheimnisvolle Wesen, das an der Stirne aller Zeiten steht und an der Spitze aller Völker schreitet; das, wie es alle Arten des Daseins, so auch alle Würden in sich vereint, in dessen Namen sich alle Knie beugen im Himmel und auf Erden; dieses Wesen, die Verzweiflung seiner Gegner, die süße Liebe und Bewunderung des Himmels und das Leben und der Trost der Erde. Die Wirkungen der Menschwerdung aber umspannen alles; alles sonnt sich im Lichte dieses göttlichen Werkes. Die ganze Schöpfung, zeit, Ewigkeit, selbst den Thron der Gottheit umsäumt es mit prächtigem Glorienschein, der die heilige Dreifaltigkeit erfreut und der Erde ihren Segen und ihr ewiges Wohlgefallen zuwendet.
An dieses große und trostreiche Geheimnis erinnert uns stets der heilige Advent mit seinen Gesängen der Erwartung und Sehnsucht, mit seinen lieblichen Frühmetten und seinen hellen Glocken. Wie vielen Trost haben sie schon über diese alte Welt hingesungen!
In wie viele Herzen haben sie besseres Verlangen, wachsende Hoffnung und neues Vertrauen gebracht! Die Welt ist so reich an Schmerz und Unglück und so bitter arm an Trost. Es gibt Krankheiten und Wunden, für die keine Arznei zu finden ist als der Gottmensch. Er ist nicht bloß Arzt, sondern auch Arznei, Arznei für unsern Verstand, für unser Herz, für unsere Sünden und selbst für den Tod. Der Gottmensch stellt immer alles her. Wenn unsere Religion eine Religion des Trostes ist, dann ist sie es durch dieses Geheimnis. Was wären wir ohne dasselbe? Es könnte uns nur reuen, gelebt zu haben. Nun aber haben wir ihn, und deshalb freuen wir uns und danken Gott, daß er ihn uns gegeben, und lieben wir ihn, benutzen zu seiner Ehre und zu unserem Heile die Güter, die er uns gebracht, und teilen wir sie auch andern mit, so gut wir es vermögen. –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes, Bd. 1, 1912, S. 90 – S. 93