Wenn Gemeinden ohne katholische Seelsorger sind
Die vollkommene Reue eine Gnadenquelle im Leben und ein Rettungsanker im Tode.
I. Was ist die vollkommene Reue?
Die Reue ist ein Schmerz der Seele und ein Abscheu über die begangenen Sünden mit dem Vorsatz, in Zukunft nicht mehr zu sündigen. Sie wird eingeteilt in die unvollkommene und die vollkommene Reue. Die unvollkommene Reue entspringt aus Furcht vor der Hölle und vor dem Verlust des Himmels; sie genügt bei der Beichte, wenn ein Anfang von Liebe zu Gott damit verbunden ist. Die vollkommene Reue hingegen, auch kindliche oder Liebesreue genannt, entspringt aus der vollkommenen Liebe zu Gott, sie ist ein herzlicher bitterer Schmerz über die Sünden deshalb, weil wir dadurch Gott, das höchste und liebenswürdigste Gut, beleidigt haben. Die Furcht vor der Hölle und die Hoffnung des Himmels brauchen von der vollkommenen Reue nicht ausgeschlossen zu werden, müssen aber zurücktreten. Der wahrhaft Liebende verlangt nach dem Himmel, um mit dem Gott seines Herzens vereinigt zu werden, und fürchtet die Hölle nur deshalb, weil er dort auf ewig von Gott getrennt sein würde; aus der Größe der Strafe erkennt er die Größe der Gott zugefügten Beleidigung. Der eigentliche Beweggrund seiner Reue aber ist die Liebe zu Gott, beginnend mit der dankbaren Liebe gegen Gott als Wohltäter, wachsend in der kindlichen Liebe gegen Gott als Vater, und sich aufschwingend zur hochschätzenden und wohlwollenden Liebe gegen Gott als das in sich selbst höchste und liebenswürdigste Gut, zu jener reinen und uneigennützigen Liebe, welche Gott ganz und allein wegen seiner selbst, wegen seiner unendlichen Vollkommenheiten über Alles liebt und ihn auch lieben würde, wenn es weder einen Himmel zu hoffen, noch eine Hölle zu fürchten gäbe. Aus dieser Liebe entspringt dann ein überaus großer Schmerz, einen so liebenswürdigen Gott beleidigt zu haben, ein wahrer Haß und Abscheu gegen die Sünde und der feste Vorsatz, lieber Alles zu verlieren und selbst den bittersten Tod auszustehen, als Gott durch eine schwere Sünde zu beleidigen, auch alle läßlichen Sünden als Beleidigungen des höchsten Gutes nach Kräften zu meiden, die zur Besserung notwendigen Mittel zu gebrauchen, Buße zu tun und die schlimmen Folgen der Sünde möglichst wieder gut zu machen.
Ein solcher Reueschmerz erfüllte die hl. Maria Magdalena, als sie zu den Füßen Jesu in Tränen zerfloß; den hl. Petrus, da er hinaus ging und bitterlich weinte; den Schächer am Kreuz, als er zu Jesus sprach: „Herr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ Diesen festen Vorsatz hatte der hl. Paulus, welcher beteuerte: „Weder Tod noch Leben, noch irgend eine Kreatur wird mich zu scheiden vermögen von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu.“ Röm. 8; desgleichen der hl. Anselmus, welcher erklärte: „Wenn ich auf der einen Seite einen glühenden Feuerofen und auf der andern eine läßliche Sünde sähe, dann wollte ich lieber in den Ofen gestürzt werden, als Gott durch eine läßliche Sünde beleidigen.“
Die wahrhaft dankbare Liebe, d. h. jene Liebe, welche nicht so sehr an die Gaben, sondern vielmehr an Gott, den Geber, denkt und ihn wegen seiner unendlichen Gültigkeit über Alles liebt, ist eine vollkommene Liebe und darum die aus ihr entspringende Reue auch eine vollkommene Reue. Dasselbe gilt von der kindlichen Liebe. Vgl. Deharbe, Vollkommene Reue S. 139ff. Den oben angedeuteten Beweggründen entsprechen ebenso viele Grade oder Stufen der vollkommenen Lieb und Reue.
II. Was bewirkt die vollkommene Reue?
Der Mensch kann auf dreifache Weise für schwere Sünden Vergebung erlangen, erstens durch das Sakrament der Taufe, zweitens durch das Sakrament der Buße, drittens durch die vollkommene Reue in Verbindung in Verbindung mit dem Verlangen nach dem Sakrament. Die Kirche lehrt nämlich hinsichtlich der vollkommenen Reue, daß dieselbe verbunden mit dem Verlangen nach dem Sakrament (der Taufe bei den Ungetauften, der Buße bei den Getauften) den Sünder schon vor dem wirklichen Empfang des Sakramentes mit Gott aussöhnt und ihm Verzeihung aller Sünden erlangt. Die vollkommene Reue setzt die vollkommene Liebe Gottes voraus, diese aber und die Ungnade Gottes können nicht zusammen in der Seele bestehen, jene Liebe hebt die Ungnade auf, ihr heftiges Feuer verzehrt die Sünde. Beispiele sind David, Maria Magdalena, Petrus, der Schächer u. A. Von Magdalena sagte der Herr: „Ihr werden viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat.“ Luk. 7.
Die vollkommene Reue rechtfertigt also den Sünder, und zwar nicht bloß im Notfall und in Todesgefahr, sondern überhaupt und immer, wenn sie nur wahrhaft vorhanden ist. Weil aber im Neuen Bund nach Christi Anordnung jede schwere Sünde der Schlüsselgewalt der Kirche unterworfen werden soll, so muss mit dieser Reue das Verlangen zu beichten verbunden sein. Dasselbe braucht jedoch kein ausdrückliches zu sein, sondern es genügt das in der vollkommenen Liebe von selbst eingeschlossene Verlangen nach dem Sakrament oder überhaupt der feste Vorsatz, Alles zu tun, was Gott verlangt. Das hl. Konzil von Trient lehrt: „Obgleich es zuweilen geschieht, daß die Reue durch die Liebe vollkommen ist und den Sünder schon vor dem wirklichen Empfang des Bußsakramentes mit Gott versöhnt, so lehrt doch der hl. Kirchenrat, daß diese Versöhnung nicht jener Reue allein ohne das Verlangen nach dem Sakrament, welches Verlangen in ihr eingeschlossen ist, zugeschrieben werden darf.“ Konzil von Trient 14. Sitzg. 4 Kap. Wenn man deshalb bei nächster Gelegenheit zur heiligen Beichte gehen: das ist Pflicht, weil Christi Gebot. Dazu nötigt uns auch die Ungewissheit, ob unsere Reue wahrhaft vollkommen gewesen. Ein verschuldeter Aufschub der Beichte nach begangener schwerer Sünde wäre ein ziemlich sicheres Zeichen, daß die Reue, welche man etwa über diese Sünde erweckt hat, nur eine unvollkommene gewesen und die Todsünde nichtgetilgt hat. –
aus: Gemeinden ohne Seelsorger, Der Tod ohne Priester. Die vollkommene Reue. Ein Lehr- und Trostbüchlein für römisch-katholische Christen, Mit kirchlicher Approbation, 2. Auflage, 1874, S. 41 – S. 44