P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
§ 1. Gott und seine Eigenschaften
Die Einheit Gottes – Es gibt nur einen Gott
Ist mehr als ein Gott?
Nein, es ist nur ein Gott.
„Ich bin Gott, und es ist sonst kein Gott, und keiner ist mir gleich“, so spricht Gott selbst durch den Propheten Isaias (46, 9). Die Lehre von der Einheit Gottes ist in der Hl. Schrift so oft und so klar ausgesprochen, daß es überflüssig scheint, weitere Zeugnisse anzuführen. Die Vernunft lehrt ihrerseits ganz dasselbe. Denn gäbe es mehrere Götter, so wären sie entweder ganz gleich oder ungleich. Wären sie ganz gleich, so wäre keiner das höchste Wesen, mithin keiner Gott. Das ist ja ein Vorzug, den Gott, der unendlich Vollkommene, notwendig besitzen muss, daß er über allem steht und allem gebieten kann, was außer ihm da ist. Wären sie ungleich, so würde aus dem angeführten Grund nur jener wirklich Gott sein, der aus allen der Höchste und Vollkommenste wäre. Diese Wahrheit ist so klar, daß selbst die Heiden, ungeachtet ihrer Vielgötterei, dieselbe nicht völlig mißkannten; denn immer betrachteten sie einen unter den Göttern als den Ersten und Höchsten von allen.
Nicht minder unsinnig und gottlos als die Lehre der Vielgötterei ist die andere, daß alles, was da ist (das All), der eine Gott sei. Und doch gibt es in unserem krankhaften Zeitalter auch Menschen, die diese Torheit behaupten. (1) Nach ihrer Ansicht soll alles, was existiert, ein einziges Wesen sein, das sie Gott nennen. Die ganze Welt ist ihnen nichts anderes als der eine Gott, der die verschiedensten Entwicklungen durchmacht und in den verschiedensten Gestalten erscheint. Diejenigen, die so faseln, nennen sich Pantheisten, vom griechischen Wort Pan (alles) und Theos (Gott), um sich von den Atheisten, die gar keinen Gott annehmen, zu unterscheiden; im Grunde aber ist ihre Lehre um kein haar besser, ja noch schlechter als jene der Atheisten. Denn kann wohl etwas Widersinnigeres gedacht werden als ein Gott, wie die Pantheisten ihn uns schaffen möchten: ein Gott, der als Mensch denkt, als Baum wächst, als Wasser fließt, als Wurm kriecht, als Löwe brüllt, als Bär brummt, als Hund bellt…? Ein Gott, der keusch ist in der christlichen Jungfrau, wollüstig im Wüstling, wohltätig in dem Mitleidigen, und blutdürstig in dem Tyrannen, kurz ein Gott, der alle Tugend und alle Lasterhaftigkeit in sich vereinigt? Haben die blinden Heiden je ein so häßliches Zwitterwesen als Götzenbild aufgestellt? (2) Und das soll (man höre!) das Schönste und Höchste sein, was der menschliche Geist je ausgedacht hat! Das ist die Schöpfung heutiger Weltweisen! Auf das Wort dieser Weisen hin soll ich im Widerspruch mit meinem innersten Bewusstsein, gegen die klarste Einsprache des gesunden Menschenverstandes glauben, daß ich, selbstdenkendes und selbstwollendes Wesen, eins und dasselbe sei mit meinem Nachbarn, mit dem Juden, dem Türken, dem Straßenräuber, dem Hund … und dabei soll ich mich selbst für Gott halten. Das heißt Aufklärung! Philosophie! Wahrlich hier oder nirgend gilt der Spruch des hl. Augustin: „O der großen Gelehrten große Narrheiten!“ (3) Und diese verwerflichste aller Lehren will man auch dem noch gesunden Kern des Volkes einimpfen! Heißt das nicht alle gesellschaftliche Ordnung von Grund aus zerstören? Wie kann da noch eine Spur von Gesittung bestehen, wo die Tugend nur mehr ein leeres Wort und das Laster vergöttert ist? Denn was sind im Sinne derselben die fluchwürdigsten Verbrechen? Nichts als göttliche taten. Ob ich mein Gewand dem Armen gebe oder den Dolch in die Brust meines Vaters senke, das eine ist so gut wie das andere; denn wo alles Gott ist, da ist notwendig alle Tätigkeit göttlich. „Jeder denkende Geist“, sagt ein neuerer Schriftsteller (Barthe, Die religiöse Wahrheit, Kap. 7), „muss zuletzt sagen, daß es nach dieser Lehre keine Freiheit, keine Tugend, kein Verbrechen, keine Sittlichkeit, keine Gesetze mehr gibt, daß kein Gericht, keine geordnete menschliche Gesellschaft mehr möglich ist. Denn der Richter ist Gott, der Verdammte ist Gott, der Henker ist Gott, das Gute ist gott, das Böse ist Gott. Das ist die Weltanschauung, die jede edle Seele, jeden gesunden Kopf empören muss.“ Nein, schrecklicher könnte Gott die Welt nicht strafen, als wenn er sie unter die Herrschaft einer solchen Lehre stellte!
(1) Der Glaube an einen persönlichen Gott wurzelt zu tief im menschlichen Herzen, als daß er je ausgerottet werden könnte. Aber in der Zeit, wo eine zügellose Tagespresse bemüht ist, alle Grundpfeiler der bürgerlichen Ordnung zu unterwühlen; wo Gotteslästerer, welche die Heiden mit Landesverweisung und die Türken mit dem Strange bestraft hätten, den Ruhm der Freisinnigkeit ernten; wo das Gift des Atheismus und Pantheismus auf die perfideste Weise dem Volk beigebracht wird; wo man in allem Ernst sich bestrebt, den krassesten Pantheismus sogar unter der Firma des hl. Evangeliums und der Christuslehre einzuschmuggeln, und das Wort des Satans: „Ihr werdet sein wie die Götter“ als die höchste Wahrheit anpreist (S. Laien-Evangelium, Jamben von Fr. Sallet): in einer so gefahrvollen Zeit mag es da oder dort nicht unzweckmäßig sein, auch von heiliger Stätte aus das Ungereimte und Verderbliche solcher Gottlosigkeit zu zeigen. Sah doch selbst das Vatikanische Konzil sich in die Notwendigkeit versetzt, den so krassen Unsinn des Pantheismus in mehreren Kanones (zum 1. Kap. Der 3. Sitzung) ausdrücklich zu verdammen. Es versteht sich aber von selbst, daß dabei die größte Umsicht und Klugheit notwendig ist, zumal wenn man vor dem Volk spricht, damit man nicht durch ungeschicktes Bekämpfen des Unglaubens die ersten keime desselben ins Herz lege.
(2) Vom Pantheismus, der Lieblings-Theorie unserer modernen Philosophen, sagt selbst der Skeptiker Bayle (Diction. Histor. Et crit. Art. Spinoza), ein Mann mit gesundem Sinne würde sich eher entschließen, mit eigenen Zähnen und Nägeln die Erde umzuhacken, als sich um die Vertretung einer so abgeschmackten und widersinnigen Lehre zu bemühen. Sie enthalte den schändlichsten und tollsten Unsinn, der sich denken läßt; sie stelle einen begriff von Gott auf, welcher unendlich törichter und abscheulicher sei als alles, was je die heidnischen Dichter in Bezug auf die Gottheit ersonnen haben; denn diese bürdeten doch den Göttern nicht alle Schandtaten und Verbrechen auf, die von dem gesamten Menschengeschlecht je verübt wurden. Aber im System der Pantheisten ist alles Gott, Gott demnach das einzige tätige und leidende Wesen, welches existiert, er allein ist folglich Grund wie Ziel von allem Bösen in der Welt, es mag vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sein.
(3) Magna magnorum deliramenta doctorum. (Serm. 241. c. 6., alias: De temp.. 143) –
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Ein Hilfsbuch für die Christenlehre und katechetische Predigt, 1. Band Lehre vom Glauben, 1911, S. 159 – S. 161