Die heilige Furcht und das Gebet

Heilige Furcht und das Gebet

2. Mai

Cum metu et tremore vestram salutem operamini: Deus est enim qui operatur in vobis et velle et perficere pro bona voluntate.
„Mit Furcht und Zittern wirket euer Heil: denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen wirket nach seinem Wohlgefallen.“ (Philipp. II, 12,13)

1. Erwäge, daß dein Heil nur das Werk einer ausdauernden Anstrengung ist. Willst du es daher gewinnen, so darfst du dich nicht dem Schlafe oder dem Scherze und Vergnügen hingeben; sondern musst beständig bis zum Tode arbeiten.

Darum sagt der Apostel fürs Erste: wirket euer Heil, und er sagt nicht bloß: wirket für euer Heil, sondern: „Wirket euer Heil.“ Denn das ewige Heil ist nicht ein Werk, von dem ein Teil dich angeht, und der andere Gottes Sache ist; sondern es geht zugleich ganz Gott und ganz dich an: und so ist es auch deine Pflicht, dasselbe deinerseits ganz, das heißt unablässig zu wirken: „Wer ausharrt bis ans Ende, der wird selig werden.“ (Matth. 24, 13)

Das Heil mit hoher Sorgsamkeit wirken

2. Erwäge, daß du dein Heil nicht bloß bis ans Ende, sondern auch mit einer hohen Sorgsamkeit wirken musst. Denn gleichwie du bis ans Ende in Ungewissheit schwebst, ob du dein Heil wirklich erlangst; so musst du auch bis ans Ende ein banges Beben, – oder mit anderen Worten, Furcht und Zittern im Herzen fühlen, musst „fürchtend und zitternd“ leben, wie der heilige Markus bei einer anderen Gelegenheit sich ausdrückt. (Mark. 5, 33)
Deshalb setzt der Apostel hinzu: „Wirket euer Heil mit Furcht und Zittern.“ Die Furcht muss aus der Größe und Schwere der Gefahr, das Zittern aber aus der Leichtigkeit, mit der man in derselben umkommt, entstehen.

Betrachte fürs Erste genau die Größe und Schwere der Gefahr. O wie wichtig ist die Sache, um welche es sich handelt! Wenn du nicht das Rechte triffst, so ist das Ganze für alle Ewigkeit verloren: es gibt da kein Mittel, keine Abhilfe mehr; ewig musst du in der Hölle knirschen und toben. „Die Augen des Gottlosen werden müde, und jede Ausflucht schwindet vor ihnen.“ (Job 11, 20)

Nachdem du in dieser Weise auf die Größe und Schwere der Gefahr, die mit Recht Furcht erregen muss, einen Blick geworfen; richte dein Auge auf die außerordentliche Leichtigkeit, mit der man in der Gefahr zu Grunde geht. Diese Leichtigkeit wird dir sicher nicht bloß Furcht, sondern auch Zittern verursachen; und zwar so, daß der Schrecken bis in deine Gebeine dir dringt: „Entsetzen faßte mich und Beben; und alle meine Gebeine wurden erschreckt.“ (Job 4, 14)

Unter deinen Füßen siehst du die offene Hölle, welche, Reihe an Reihe, schwarze Geister empor sendet, um den Angriff auf dich zu beginnen. Rings um dich erblickst du die trügerische Welt, welche ganz voll von zahllosen und noch dazu verborgenen Fallstricken ist, womit sie dir Nachstellungen bereitet. Über deinem Haupte schaust du den Himmel, der, mit Recht erzürnt, jeden Augenblick unterlassen kann, fürbittend zu deinen Gunsten sich zu verwenden. Gehst du ein in dein eigenes Inneres, so findest du da sogleich die empörerischen Begierlichkeiten, welche sich insgesamt auch wider deinen Geist verschwören, um in der so gewaltigen Schlacht ihn zum Weichen zu bringen.

Und ist dies der Fall, wer sollte dann nicht mit Entsetzen erfüllt werden? Man muss wirklich den Glauben ganz und vollkommen verloren haben, wenn „bei allen diesen Dingen das Herz albern und unempfindlich ist.“ (Ekkl. 16, 20)

Gott wirkt die Gnade

3. Erwäge ferner, worin denn eigentlich dieses Entsetzen zu bestehen habe, – während du dich doch in guten Werken übest, wie hier vorausgesetzt wird, da man hier bloß mit jenen sprechen will, welche ihr Heil wirken.

Muss diese Furcht etwa darin bestehen, daß du immer ganz betrübt einhergehst? Muss sie darin bestehen, daß du immer das Herz voll Kummer trägst? Nein, denn die Angst geziemt denen, welche nicht tätig arbeiten, oder welche, wenn sie etwas wirken, doch nichts anderes als Böses zu tun pflegen: „Trübsal und Angst über die Seele eines jeden Menschen, der Böses tut.“ (Röm. 2, 9) Sie muss darin bestehen, daß du immer ganz demütig dich hältst. Und warum dies? Weil du immer, du magst arbeiten so viel du willst, doch unbedingt notwendig hast, daß Gott dir Kraft zum Wirken gebe.

Darum fährt der Apostel fort: „Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen wirket nach seinem Wohlgefallen.“ Du wirkst gerade so viel, als Gott dir Gnade zum Wirken verleiht. Aus dir selbst vermagst du gar nichts: und darum sehe zu, ob du in der Tat vor seinem erhabenen Angesicht dich fürchten und zittern musst, wenn du erkennst, daß alles Gute, das du wirkst, einzig und allein von ihm kommt! „Hält er die Wasser zurück, so muss alles vertrocknen.“ (Job 12, 15)

Dazu bemerke noch, daß er die Gnade, welche du von ihm empfängst, dir in keiner Weise schuldig ist, indem nicht die mindeste Pflicht ihn dazu bestimmt; sondern daß er sie dir rein aus Liebe, aus freundliche Erbarmung und nach seinem Wohlgefallen erteilt. Sonst wäre sie keine Gnade mehr. Und darum kann er auch jeden Augenblick, wann er nur will, aufhören, sie dir in den Schoß zu schütten: „Er brachte herüber vom Himmel her den Ostwind, und führte herbei in seiner Kraft den Südwind.“ (Ps. 77, 26)

Die Gnade mit aller Treue bewahren

4. Erwäge dann: obgleich der Herr zweifelsohne jeden Augenblick, wann er nur will, aufhören kann, dir seine Gnade zu geben, welche macht, daß du das Gute wirkst, die sogenannte wirksame Gnade nämlich; so wird er dessen ungeachtet niemals ablassen, sie dir bereitwilligst zu erteilen, wenn du sie von deiner Seite mit aller Treue bewahrst. Denn es ist wahr: er gibt sie dir nach seinem Willen, oder nach seinem Gefallen, aber nach seinem gütigen Willen, nach seinem Wohlgefallen; das heißt: er gibt sie dir nicht mit einem übelwollenden, bösgesinnten und tückischen Herzen, sondern mit einem Herzen, das im höchsten Grade geneigt ist, dir Wohltaten zu erweisen: „Der Herr wartet, daß er sich eurer erbarmt.“ (I. 30,18)

Es reicht also hin, daß du es an dir selbst nicht fehlen lassest, daß du dich tätig zeigest, daß du Fleiß und Kraft anwendest, und besonders, daß du dich stets seiner Güte und Erbarmung empfiehlst. Denn dies ist es am Ende, was er vor allem aus deiner Furcht und aus deinem Zittern zu erzielen beabsichtigt: daß du immer in seiner Nähe bleibst.

Und so, wenn du es wohl überlegst, musst du zu der Überzeugung kommen, daß diese Furcht und dieses Zittern in deiner Seele zu deiner größeren Sicherheit erforderlich ist, weil es notwendiger Weise dich treiben muss, allezeit sogleich zu Gott deine Zuflucht zu nehmen: „Josaphat, von Furcht erschüttert, nahm seine ganze Kraft zusammen, um den Herrn zu bitten.“ (2. Chr. 20, 3)

Diese Furcht soll machen, daß du ihn anrufst; diese Furcht soll machen, daß du ihn bittest, auf dich zu merken; diese Furcht soll machen, daß du ihn demütig anflehst; und so wird diese Furcht am Ende bewirken, daß du dich rettest aus den Stürmen und Wettern. Sobald du unterläßt, immer wieder und wieder dich dem Herrn zu empfehlen, bist du verloren.

Die erste Gnade gibt Gott auch dem, der ihn nicht darum bittet; nach der ersten Gnade aber gibt Gott, wenn wir den Worten des heiligen Augustinus glauben, keine andere mehr, außer dem, der ihn darum anfleht: „Bittet, und es wird euch gegeben werden.“ (Matth. 7, 7) Daher sehen wir, daß der Herr seiner Kirche verhieß, er werde über sie in gleicher Fülle den Geist der Gnade und den Geist des Gebetes ausgießen: „Ich werde ausgießen über die Bewohner Jerusalems den Geist der Gnade und des Gebetes“ (Zach. 12, 10); weil ohne den Geist der Gnade der Geist des Gebetes nicht einmal bestünde, und weil hinwieder ohne den Geist des Gebetes der Geist der Gnade uns nimmer zu Teil würde.

Was ist es also, das eigentlich dein Heil und deine Rettung bewirkt? Diese Furcht und dieses Zittern ist es, weil es macht, das du betest, indem du siehst, wie du jeden Augenblick in der höchsten Gefahr dich befindest, schweren Schiffbruch zu leiden. Wenn du daher Furcht und Zittern im Herzen fühlst, so gelte dir dies für ein gutes Zeichen, da der heilige Geist es ist, der da sagt: „Selig der Mensch, der immer furchtsam ist.“ (Prov. 28, 14)

Die zuvorkommende und die begleitende Gnade

5. Erwäge, daß diese Notwendigkeit zu beten ins Unendliche wächst, weil Gott es ist, der eben so das Wollen wie das Vollbringen in uns wirkt. Er wirkt das Wollen mit der zuvorkommenden Gnade; er wirkt das Vollbringen durch die unser Mitwirken begleitende Gnade.

Die zuvorkommende Gnade heißt jene, durch welche er zuerst dich zum Guten anregt. Und wie geschieht dieses? Auf eine zweifache Weise: indem er deinen Verstand erleuchtet, und deinen Willen bewegt und anfeuert. Er erleuchtet deinen Verstand, indem er dich lebendig erkennen läßt, wie notwendig, wie geziemend, wie vorteilhaft, nützlich und schön es für dich ist, das Gute zu tun; er befeuert und entflammt deinen Willen, indem er jene Gefühle und Bewegungen in dein Herz gießt, welche dich kräftig und wirksam das lieben und begehren machen, was du erkennst. Dies ist die Art und Weise, in welcher der Herr das Wollen in deinem Herzen wirkt, indem er dich wohl zum Guten treibt, aber mit einer Kraft, welche deiner würdig und für dich angemessen ist: durch die Kraft der Liebe.

Die dein Wirken begleitende Gnade heißt dann jene, welche, nachdem durch die zuvorkommende Gnade der Anfang gemacht worden, immerfort Hand in Hand mit dir geht, bis das begonnene Werk vollendet ist. Sie ist darum ihrem Wesen nach nichts anderes, als ein Fortdauern jener Erleuchtungen und Antriebe, welche der Herr im Anfange dir gab, um dich zum guten Werk zu bewegen; sie ist zugleich auch eine Vermehrung und Vergrößerung jener Erleuchtungen und Antriebe, indem Gott in wunderbarer Liebe stets mit dieser Gnade dir nahe ist, dich leitet, führt und behütet: so daß unter den zahllosen Stürmen, welche von unten wie von oben sich wider das schwankende Schifflein deines freien Willens erheben, jene Erleuchtungen niemals erlöschen, und jene Antriebe, welche denselben unterstützen und halten, niemals ihre Kraft verlieren.

Auf diese Weise wirkt der Herr in dir nicht bloß das Wollen, sondern nicht minder auch das Vollbringen: ja auf diese Weise wirkt er selbst ganz dein eigenes Wirken: „Alle unsere Werke hast du, Herr unser Gott! uns gewirkt.“ (Is. 26, 12,13)

Ist dies aber eine zweifellose Wahrheit, scheint es dir dann nicht, daß du wirklich in einer fortwährenden Notwendigkeit lebst, dich im Gebete deinem Gott zu empfehlen? Sei es, daß er mit seiner Gnade dir zuvorkomme, oder daß er mit derselben dich begleite, – immer tut er dir etwas, was zu tun er durchaus nicht verpflichtet ist, da er dir beidenfalls nichts als Barmherzigkeit erzeigt: „Deine Barmherzigkeit wird mir zuvorkommen (Ps. 58, 11): Deine Barmherzigkeit wird mir folgen.“ (Ps. 22, 6)

Der Apostel gegen so viele Irrlehren

6. Erwäge endlich: die Stelle des Apostels, welche du gegenwärtig betrachtest, ist, obgleich nur aus so wenigen Worten bestehend, stets wie ein reichhaltiger Köcher gebraucht worden, woraus man fortwährend eine Menge von Pfeilen genommen, um damit die abscheulichen Gestalten so vieler Irrlehren zu durchbohren, welche vor Zeiten unter dem christlichen Volk entstanden sind, und auch gegenwärtig noch immer entstehen.

Es gibt da Leute, welche sagen, die guten Werke seien nicht notwendig, um selig zu werden, sondern es reiche dazu der Glaube allein hin. Aber wie dies, – wenn der Apostel mit so starken und ausdrücklichen Worten die Werke verlangt? „Wirket euer Heil!“
Andere sagen, jeder Christ müsse für sicher und gewiß annehmen, daß er vor Gott in Gnade stehe, daß er dem Herrn wohl gefällig, gerechtfertigt und zur himmlischen Herrlichkeit auserwählt sei. Aber wie dies, wenn der Apostel selbst denen, welche ihr Heil zu wirken eifrig beflissen sind, mahnend zuruft, sie sollen nicht bloß sich fürchten, sondern sogar zittern? „Mit Furcht und Zittern wirket euer Heil!“

Andere sagen, der Mensch könne einzig und allein durch die Kraft seines freien Willens, ohne die Hilfe der Gnade Gottes, selig werden. Aber wie dies, – wenn der Apostel ausdrücklich sagt: „Gott ist es, der in uns das Wollen und das Vollbringen wirkt“?

Andere dagegen sagen, der Mensch habe keinen freien Willen, er sei durch die Sterne, durch das Glück, durch den Zufall, durch das Verhängnis, oder durch die Notwendigkeit der Vorsehung getrieben und gezwungen. Aber wie dies, – wenn der Apostel sagt, daß Gott in uns, nicht aber außer uns das Wollen und Vollbringen wirkt?

Eine andere Meinung sagt, die Fortsetzung der guten Werke komme von Gott, der Anfang derselben aber gehe allein von uns selbst aus. Aber wie dies, – wenn der Apostel deutlich es ausspricht, daß Gott nicht bloß das Vollbringen, sondern auch „das Wollen in uns wirkt“?

Wieder Andere hegen die entgegen gesetzte Meinung, und behaupten, das Beginnen des Werkes komme von Gott, uns allein aber stehe alsdann die Fortsetzung zu. Aber wie dies, – wenn der Apostel versichert, daß Gott nicht bloß das Wollen, sondern auch „das Vollbringen in uns wirkt“?
Andere endlich lehren, daß Gott in der Tat alles Gute in uns, jedoch aus Rücksicht auf unsere eigenen Verdienste. Aber wie dies, – wenn der Apostel ausdrücklich erklärt, daß Gott in uns Alles „nach seinem Wohlgefallen wirkt“? Man kann in uns nicht das geringste Verdienst voraussetzen, das der Gnade vorher ginge, indem ja eben von der Gnade unser ganzes Verdienst abhängt.

So siehst du denn, daß alle Worte dieser Stelle eben so viele Pfeile sind, die der Apostel uns hier bereit legen wollte, um sie gegen die widerlichen Gestalten der Irrlehren zu gebrauchen, deren Entstehen er schon in seinem Geist vorhersah.

Du nimm diesen Spruch des Apostels freudig an, schätze und verehre ihn hoch und halte ihn fest bewahrt in dem Innersten deiner Seele, um mit desto größerem Eifer das zu wirken, was allein zu wirken Not tut, – dein ewiges Heil. Wenn du nun, auch während du dasselbe eifrig wirkst, doch fürchten und zittern und immer bebenden Herzens bleiben musst; wie würde es, Unglücklicher! mit dir stehen, wenn du dafür gar nicht tätig wärest? „Wenn der Gerechte kaum gerettet wird, wo wird der Gottlose und der Sünder erscheinen?“ (1. Petr. 4, 18) –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. II, S. 219 – S. 227

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