Antrittsenzyklika Pius XII. Summi pontificatus

Hut, bischöflicher Krummstab, Kleidungsstücke eines Papstes

Papst Pius XII Porträt in seiner päpstlichen Reinheit

Die Antrittsenzyklika von Pius XII.

Summi pontificatus

vom 20. Oktober 1939

Welthuldigung an Christus den König

Auszüge

176 Wenn Wir die äußeren Geschehnisse und geistigen Wandlungen dieser vierzig Jahre im Lichte der Ewigkeit überblicken, ihren Wert und Unwert wägen, dann erschließt sich Unserm geistigen Auge immer mehr der religiöse Sinn dieser Welthuldigung an Christus den König. Sie wollte in ihrer sinnbildlichen Kraft eine Mahnung sein, die Seelen läutern und erheben, innerlich festigen und wehrhaft machen, und damit zugleich in seherischer Weisheit der Gesundung, der Würde, dem wahren Wohl jeder menschlichen Gemeinschaft dienen. Immer deutlicher offenbart sie sich als einer der großen Mahn- und Gnadenrufe Gottes an Seine Kirche und darüber hinaus an eine Welt, die der Erweckung und Wegweisung nur allzu bedürftig war; an eine Welt, die die dem Diesseitskult verfallen, in ihm sich immer hemmungsloser verlor und in kaltem Nützlichkeits-Streben aufging; an eine Menschheit, in der wachsende Schichten sich dem Glauben an Christus und mehr noch der Anerkennung und Anwendung Seines Gesetzes entwöhnt hatten; an eine Weltauffassung, der die Liebes- und Verzichtlehre der Bergpredigt, die göttliche Liebestat des Kreuzes ein Ärgernis und eine Torheit dünkten.

Erinnerung an die Weltweihe

So wie einst der Vorläufer des Herrn den Fragern und Suchern seiner Tage entgegenrief: „Seht das Lamm Gottes!“ (Joh. 1, 29), um ihnen zu sagen, dass der Erwartete der Völker unerkannt in ihrer Mitte weile, so richtete hier der Stellvertreter Christi an die Verneiner, die Zweifler, die Unentschiedenen und die Halben, die dem verherrlichten, in Seiner Kirche fortlebenden und wirkenden Erlöser die Gefolgschaft verweigerten oder mit dieser Gefolgschaft nicht letzten Ernst machten, sein hohevolles und beschwörendes „Seht da euern König!“ (Joh. 19,14)

177 Aus der Verbreitung und Vertiefung der Andacht zum Göttlichen Erlöserherzen, die in der Weihe des Menschengeschlechtes an der Jahrhundertwende und weiterhin in der Einführung des Christkönigfestes durch Unsern unmittelbaren Amtsvorgänger ihre erhebende Krönung fand, ist unsagbarer, Segen erflossen für ungezählte Seelen – ein starker Lebensstrom, der die Stadt Gottes mit Freude erfüllt. (Ps. 45,5) Welche Zeit bedürfte dieses Segens dringender als die gegenwärtige? Welche Zeit leidet inmitten alles technischen und rein zivilisatorischen Fortschrittes so sehr an seelischer Leere, an abgrundtiefer innerer Armut? Kann man nicht auch auf dieses unser Weltalter das entlarvende Wort der Geheimen Offenbarung anwenden: „Du sagst: ich bin reich, ich habe Überfluss und brauche nichts mehr. Und du weißt nicht, dass du elend und erbärmlich bist, arm, blind und bloß?“ (Apk. 3,17)

178 Ehrwürdige Brüder, kann es Größeres, Dringenderes geben, als solcher Zeit „den unergründlichen Reichtum Christi zu verkündigen?“ (Eph. 3,8) Kann es Edleres geben, als vor ihr, die so vielen trügerischen Fahnen gefolgt ist und noch folgt, das Königsbanner Christi zu entfalten, um der siegreichen Standarte des Kreuzes die Gefolgschaft auch der Abtrünnigen wiederzugewinnen? Wessen Herz sollte nicht entbrennen in hilfsbereitem Mitleid angesichts all der Brüder und Schwestern, die durch Irrtum und Leidenschaft, durch Verhetzung und Vorurteile dem Glauben an den wahren Gott, der Froh- und Heilsbotschaft Jesu Christi entfremdet wurden?

Welcher Streiter Christi – er sei Priester oder Laie – wird sich nicht zu gesteigerter Wachsamkeit, zu entschlossener Abwehr aufgerufen fühlen, wenn er die Front der Christusfeinde wachsen sieht? Muss er doch Zeuge sein, wie die Wortführer dieser Richtungen die Lebenswahrheiten und Lebenswerte unseres christlichen Gottesglaubens ablehnen oder doch tatsächlich verdrängen; wie sie die Tafeln der Gottesgebote mit frevelnder Hand zerbrechen, um an ihre Stelle neue Gesetzestafeln zu stellen, aus denen der sittliche Gehalt der Sinai-Offenbarung, der Geist der Bergpredigt und des Kreuzes verbannt sind.

Wer sollte nicht mit wehem Schmerz gewahren, wie solche Verirrung traurige Ernte unter denen hält, die in Tagen ruhiger Geborgenheit sich zur Gefolgschaft Christi zählen, die aber – leider mehr Namens- als Tatchristen – in der Stunde der Bewährung, der Anfechtung, des Leidens, der getarnten oder offenen Verfolgung eine Beute des Kleinmuts, der Schwäche, des Zweifels, der Unentschlossenheit werden, und, von Angst erfasst wegen der Opfer, die sie um des christlichen Glaubens willen bringen sollten, sich nicht ermannen können, den Leidenskelch der Christustreuen zu trinken?

184 Wir sind Stellvertreter Desjenigen, Der in entscheidender Stunde vor dem Vertreter der höchsten irdischen Macht von damals das große Wort sprach: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass Ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf Meine Stimme“ (Joh. 18,37). Als solcher erachten Wir es gerade auch in Unsern Tagen als besondere Pflicht Unseres Amtes, mit apostolischem Freimut der Wahrheit Zeugnis zu geben. Diese Pflicht umfasst notwendig die Darlegung und Widerlegung der menschlichen Irrtümer und Fehlungen, die erkannt werden müssen, wenn sie behandelt und geheilt werden sollen: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen“ (Joh. 8,32). In der Erfüllung dieser Unserer Sendung werden Wir Uns nicht von irdischen Rücksichten beeinflussen lassen; weder Misstrauen und Widerspruch, Ablehnung und Unverständnis, noch die Furcht missverstanden oder falsch ausgelegt zu werden, kann Uns davon abhalten. Wir werden jedoch stets handeln beseelt von jener väterlichen Liebe, die, selber mit den Schmerzen der Kinder leidend; ihnen das Heilmittel angibt, und Wir wollen Uns immerfort bemühen; das göttliche Vorbild aller Hirten nachzuahmen, den Guten Hirten Jesus, Der Licht ist zugleich und Liebe, „die Wahrheit tätigen in Liebe“ (Eph. 4,15).

185 Am Eingang des Weges, der zur geistigen und sittlichen Not unserer Tage führt, steht der todbringende Versuch von nicht wenigen, Christus zu entthronen; die Verwerfung des Gesetzes der Wahrheit, das Er verkündete; des Gesetzes der Liebe, die der Leben spendende Odem Seines Reiches ist.

Die Königsrechte Christi wieder anerkennen, zurückfinden zum Gesetz Seiner Wahrheit und Seiner Liebe, das ist der einzige Weg der Rettung für den Einzelmenschen und die Gemeinschaft.

Vernachlässigung des Sittengesetzes

189 Eine zusammenfassende lehramtliche Stellungnahme zu den Irrtümern der Gegenwart mag einem späteren, von den Bedrängnissen des äußeren Geschehens weniger beunruhigten Zeitpunkt vorbehalten bleiben; jetzt jedenfalls beschränken Wir Uns auf einige grundlegende Hinweise.

Die gegenwärtige Zeit, ehrwürdige Brüder, hat zu den falschen Lehren der Vergangenheit noch neue Irrtümer gehäuft bis zu einem Grade, dass sie zu einem Ende mit Schrecken führen mussten. Vor allem liegt die eigentliche Wurzel der Übel, die in der modernen Gesellschaft zu beklagen sind, in der Leugnung und Ablehnung eines allgemeingültigen Sittengesetzes für das Leben des Einzelnen und das Leben der Gesellschaft, wie für die Beziehungen der Staaten untereinander: es herrscht heute weithin Verkennung oder geradezu Vergessen eines natürlichen Sittengesetzes.

190 Dieses natürliche Recht beruht auf Gott als seinem Fundament. Er ist der allmächtige Schöpfer und Vater aller, ihr höchster und unabhängiger Gesetzgeber, der allwissende und gerechte Vergelter der menschlichen Handlungen. Wo Gott geleugnet wird, da wird die Grundlage der Sittlichkeit erschüttert; die Stimme der Natur wird geschwächt, wenn nicht erstickt; jene Stimme, die auch den Ungebildeten und selbst noch den unzivilisierten Wilden lehrt, was gut und was böse ist, erlaubt und unerlaubt; jene Stimme, die Verantwortung für die eigenen Taten vor einem höchsten Richter predigt.

191 Wenn man fragt, wie es zur Leugnung der Grundlage der Sittlichkeit gekommen ist, so lautet die Antwort: es hat damit begonnen, dass man sich von der Lehre Christi entfernte, deren Bewahrer und Lehrer der Stuhl Petri ist. Vor Zeiten hat diese Lehre Europa seinen geistigen Zusammenhalt gegeben, und Europa, erzogen und veredelt durch das Kreuz, hat einen solchen Aufschwung genommen, dass es Erzieher anderer Völker und anderer Erdteile werden konnte. Durch ihre Entfernung von dem unfehlbaren Lehramt der Kirche aber sind nicht wenige der getrennten Brüder so weit gekommen, dass sie selbst das Grunddogma des Christentums, die Gottheit des Erlösers, geleugnet, und so den allgemeinen Auflösungsprozess beschleunigt haben.

192 Als Jesus gekreuzigt wurde, „brach eine Finsternis über das ganze Land herein“ wie der heilige Bericht erzählt (Mt. 27,45); ein Schrecken erregendes Sinnbild dessen, was geschah, und was geistiger Weise dauernd geschieht, wo immer der Unglaube in Blindheit und Selbstüberheblichkeit Christus aus dem Leben der Gegenwart, besonders aus dem öffentlichen Leben tatsächlich ausgeschlossen und mit dem Glauben an Christus auch den Glauben an Gott verdrängt hat. Als Folge davon kamen die sittlichen Werte, nach denen in früheren Zeiten das private und öffentliche Tun beurteilt wurde, gleichsam außer Kurs: Mensch, Familie und Staat, wurden dem wohltuenden und erneuerndem Einfluss des Gottesgedankens und der kirchlichen Lehre durch die immer rascher fortschreitende, hochgepriesene Laisierung des gesellschaftlichen Lebens entzogen; und nun hat diese auch in Gegenden, wo viele Jahrhunderte hindurch die Strahlen der christlichen Kultur leuchteten, immer klarere, immer deutlichere, immer mehr beängstigende Anzeichen eines verderbten und verderblichen Heidentums wieder aufkommen lassen: „Finsternis brach herein, als sie Jesus gekreuzigt hatten.“ (Röm. Brevier, Karfreitag. IV. Respon.)

Friede den Menschen die guten Willens sind

240 Was sie an der Katholischen Kirche achten, ist die sichere Festigkeit, mit der die Kirche durch zwei Jahrtausende die christliche Glaubens- und Lebensregel bewahrt hat. Was sie achten, ist die unerschütterliche Geschlossenheit der kirchlichen Hierarchie, die geeint um Petri Nachfolger, sich selbstlos aufopfert, um das Licht der Frohbotschaft in die Menschheit hineinzutragen, sie zu führen und zu heiligen; die in mütterlichem Verstehen weitherzig ist gegen alle, aber unbeugsam bleibt, wenn sie, selbst um den Preis von Verfolgung und blutigem Tod, erklären muss: Non licet, es ist nicht erlaubt!

241 Und doch, ehrwürdige Brüder, die Lehre Christi, die allein den Menschen eine sichere Glaubensgrundlage bieten kann, von der aus der Blick in selige Fernen schweift und das Herz göttlichen Dingen sich weit erschließt; die Lehre Christi, die in den großen Zeitnöten mächtige Hilfe verleiht, – sie und das rastlose Mühen der Kirche, jene Lehre zu verkünden, zu verbreiten und die Menschen nach ihr zu bilden, sind nicht selten Gegenstand misstrauischen Verdachts, als ob sie den Unterbau der staatlichen Autorität erschütterten und sich deren Rechte anmaßten.

242 Solchem Argwohn gegenüber erklären Wir mit apostolischer Offenheit: bei allem Festhalten an dem, was Unser Vorgänger Pius XI. verehrungswürdigen Angedenkens in seinem Rundschreiben „Quas primas“ vom 11. Dez. 1925 über die Gewalt Christi des Königs und Seiner Kirche gelehrt hat, liegen der Kirche derartige Bestrebungen vollkommen fern; sie breitet ihre mütterlichen Arme gegen die Welt aus nicht um zu herrschen, sondern um zu dienen. Sie beansprucht nicht, sich innerhalb des Eigenbereichs anderer rechtmäßiger Gewalten an deren Stelle zu setzen; sie bietet ihnen vielmehr ihre Hilfe an, ganz nach dem Beispiele und im Geiste ihres göttlichen Stifters der „umherzog Wohltaten spendend“ (Apg. 10,38). Die Kirche predigt mit Nachdruck Gehorsam und Ehrfurcht gegenüber der weltlichen Autorität, die ja ihre hohe Abkunft von Gott herleitet; sie hält sich an die Lehre ihres göttlichen Meisters, Der sagte: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gebührt!“ (Mt. 22,21) Sie will sich keine Macht anmaßen, sondern lässt in ihrer Liturgie singen: „Der raubt nie ein irdisch Reich, Der himmlische vergeben kann“. (Hymn. an Epiph.) Sie beugt nicht die menschliche Kraft nieder, sondern erhebt sie zu allem Hochherzigen und Edlen; sie prägt Charaktere, die unentwegt zu ihrem Gewissen stehen. Die Kirche, die den Völkern die Gesittung brachte, hat sich nie gegen den kulturellen Fortschritt der Menschheit gestemmt, im Gegenteil, ihr Mutterstolz schaut auf ihn mit Freude und Gefallen. Was ihr Wirken will, haben die Engel an der Krippe des Mensch gewordenen Gottes wunderbar verkündigt, als sie des Höchsten Ehre sangen und den Menschen guten Willens die Friedensbotschaft brachten: „Ehre sei Gott in der Höhe, und auf Erden Frieden den Menschen Seiner Huld!“ (Lk. 2,14); es ist der Friede, den die Welt nicht geben kann; ihn hat der göttliche Erlöser Seinen Jüngern als Erbe hinterlassen: „Den Frieden hinterlasse ich euch, Meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh. 14,27); nach dieser erhabenen Lehre Christi, die Er Selbst im Gottesgebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammenfaßt, haben Millionen von Seelen den Frieden gefunden, finden ihn heute und immerdar. Die Geschichte von fast zweitausend Jahren – und ein großer Redner Roms hat die Geschichte treffend „die Lehrmeisterin des Lebens“ genannt (Cic. Orat. 1,2,9) – liefert den Beweis von der Wahrheit des Schriftwortes, dass jene den Frieden nicht finden, die sich Gott widersetzen. Denn Christus allein ist der „Eck-Stein“ (Eph. 2,20), auf dem das Heil des Einzelmenschen und der Gesellschaft festbegründet steht. –
aus: Wilhem Jussen SJ, Gerechtigkeit schafft Frieden, Reden und Enzykliken des heiligen Vaters Papst Pius XII. 1946, S. 132- S. 176

Gesamte Enzyklika: Weltrundschreiben über die Not und Irrtümer der Zeit und deren Überwindung – Summi pontificatus

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