Papst Pius XII. Epistula Fulgens corona
Epistola Apostolica „Fulgens corona“ vom 8. September 1953
Ankündigung eines Marianischen Jahres das auf der ganzen Welt gefeiert werden soll
anläßlich der ersten Jahrhundertfeier der Proklamation des Dogmas
von der Unbefleckten Empfängnis
8. September 1953
Auszug
Rückblick auf das Jahr 1854
Die strahlende Krone der Glorie, mit der Gott die makellose Stirn der jungfräulichen Gottesmutter geschmückt hat, erscheint Uns in hellerem Glanze, wenn Wir jenes Tages gedenken, an dem vor hundert Jahren Unser Vorgänger seligen Angedenkens Pius IX., umgeben von den erlauchten Reihen der Kardinäle und Bischöfe, mit unfehlbarer apostolischer Autorität erklärte, verkündete und feierlich definierte: „Die Lehre, dass die Allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einen einzigartigen Gnadenvorzug des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeder Makel der Erbschuld frei geblieben sei, ist von Gott geoffenbart und muss daher von allen Gläubigen fest und beharrlich geglaubt werden“[Bulle Dogm. Ineffabilis deus, 8.12.1854].
Die ganze katholische Christenheit nahm diesen päpstlichen Lehrentscheid, den sie schon lange und mit Sehnsucht erwartet hatte, mit Freuden auf. Die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter erhielt dadurch bei den Gläubigen einen mächtigen Auftrieb. Und dies wiederum führte naturnotwendig zu einer neuen Blüte im sittlichen Leben der Christenheit. Eine neue Vertiefung erfuhren in gleicher Weise die wissenschaftlichen Arbeiten, die die Würde und Heiligkeit der erhabenen Gottesmutter in helleres Licht rückten.
Lourdes
Es scheint, als habe die seligste Jungfrau Maria selber die Lehrentscheidung, die der Stellvertreter ihres göttlichen Sohnes auf Erden unter der lebhaften Zustimmung der gesamten Kirche ausgesprochen hatte, auf wunderbare Weise gleichsam bestätigen wollen. Denn kaum vier Jahre später erschien die jungfräuliche Gottesmutter in der Nähe einer französischen Stadt am Fuße der Pyrenäen einem unschuldigen und einfachen Mädchen in der Grotte von Massabielle. Sie war jugendlich und voll Güte im Ausdruck, mit leuchtend weißem Gewand und einem ebenso weißen Mantel bekleidet und mit einem blauen, herabwallenden Gürtel gegürtet. Dem Mädchen aber, das ihres Anblickes gewürdigt worden war und das inständig bat, ihren Namen zu erfahren, antwortete sie mit zum Himmel erhobenen Augen und liebreich lächelnd: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis“.
Die Gläubigen haben selbstverständlich diese Begebenheiten im rechten Sinne aufgenommen. Fast unübersehbare Scharen frommer Pilger aus allen Ländern strömten zur Grotte von Lourdes zusammen, belebten ihren Glauben, entzündeten ihre Frömmigkeit und waren bemüht, ihr Leben den christlichen Geboten gemäß zu gestalten. Nicht selten erlangten sodann die Gläubigen dort selbst Wunder, die das Staunen der Allgemeinheit hervorriefen und gleichzeitig ein Beweis dafür waren, daß die katholische Religion die einzige von Gott geoffenbarte und von ihm bestätigte ist.
In besonderer Weise aber haben die Päpste in Rom diese Dinge dementsprechend erfaßt. Sie haben dann auch jenes wunderbare Heiligtum, das die Frömmigkeit von Klerus und Volk innerhalb weniger Jahre dort errichtet hatte, mit besonderen Gnadenprivilegien und anderen Erweisen ihres Wohlwollens ausgezeichnet.
Maria die unbefleckt Empfangene
In dem Apostolischen Schreiben, in dem Unser Vorgänger Pius IX. allen Christgläubigen vorschrieb, dieses katholische Lehrstück fest und unerschütterlich zu glauben, tat er nichts anderes, als die Stimme der heiligen Kirchenväter und der gesamten Kirche, die von der christlichen Frühzeit her durch alle folgenden Jahrhunderte gleichsam herüber klang, sorgfältig aufzunehmen und durch seine Autorität zu heiligen.
Unbefleckte Empfängnis und leibliche Aufnahme in den Himmel
Und es scheint Uns, als ob jener kostbarste Edelstein, mit dem die heilige Krone der Allerseligsten Jungfrau Maria vor nunmehr hundert Jahren geschmückt worden ist, heute in noch hellerem Lichte erstrahlt. Wurde Uns doch dank des Ratschlusses der göttlichen Vorsehung das Glück zuteil, gegen Ende des großen Jubeljahres 1950 – mit dankbarer Freude denken Wir immer noch daran zurück – als Glaubenssatz feierlich zu verkünden, daß die Gottesmutter mit Seele und Leib in den Himmel aufgenommen ist. Auf diese Weise wollten Wir auch die Wünsche des christlichen Volkes erfüllen, die man schon damals mit besonderem Nachdruck äußerte, als die Unbefleckte Empfängnis Mariens feierlich verkündet wurde. „Damals nämlich“, so schrieben Wir in der Bulle Munificentissimus Deus [AAS Vol. 35, S. 744], „erwachte in den Herzen der Gläubigen bereits die zuversichtliche Hoffnung, das oberste kirchliche Lehramt möchte doch möglichst bald auch das Dogma der leiblichen Aufnahme der Jungfrau Maria in den Himmel definieren.“
Es scheint, daß nunmehr seit diesem Zeitpunkt alle Christgläubigen aus einem noch tieferen und wirksameren Grund Geist und Herz dem Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis Mariens zuwenden können. Diese bei den Dogmen sind ja mit innerster Notwendigkeit eng miteinander verbunden. Und so bewirkte die feierliche Verkündigung und Klarstellung der Aufnahme Mariens in den Himmel, die gleichsam die Krönung und Vollendung jenes ersten Privilegs Mariens ist, ganz von selbst, daß die wunderbare Weisheit und Harmonie jenes göttlichen Ratschlusses, durch den Gott die Allerseligste Jungfrau Maria vor aller Makel der Erbsünde bewahren wollte, in vollerem und strahlenderem Licht aufleuchtete.
Auf Grund dieser beiden herrlichen Privilegien, die der jungfräulichen Gottesmutter gewährt wurden, erglänzt Anfang wie Ende ihrer irdischen Pilgerschaft in strahlendem Licht; der völligen, von jeder Sündenmakel reinen Unschuld ihrer Seele entspricht in wunderbarer Weise die höchste „Verherrlichung“ ihres jungfräulichen Leibes; und wie sie mit ihrem eingeborenen Sohn im Kampf gegen die Verderben bringende höllische Schlange vereint war, so nimmt sie jetzt an einem glorreichen Triumph über die Sünde und deren traurige Folgen teil.
Maria und das christliche Leben: Reinheit und Unversehrtheit des Lebens
Doch soll diese Jahrhundertfeier nicht nur den katholischen Glauben und die innige Liebe zur jungfräulichen Gottesmutter in den Herzen aller von neuem entfachen; vielmehr muss sich auch die Lebensführung der Christen dem Bild dieser Jungfrau aufs stärkste angleichen. Wie es alle Mütter mit unsagbarer Freude erfüllt, wenn sie auf dem Antlitz ihrer Kinder ihre eigenen Gesichtszüge in einer besonderen Ähnlichkeit sich widerspiegeln sehen, so ist auch unserer süßen Mutter Maria nichts erwünschter und lieber, als wenn sie sieht, wie die, die sie unter dem Kreuz ihres Sohnes an seiner Stelle als Kinder empfangen hat, in ihrem Denken, Reden und Tun die Züge und die Schönheit ihrer eigenen Seele aufweisen.
Damit nun aber diese Liebe zur Mutter kein leeres Wort sei, kein religiöses Scheinbild, keine kraftlose und schnell vergehende Augenblicks-Begeisterung, sondern daß sie echt, wahr und wirksam sei, so muss sie zweifellos jeden von uns, gemäß seiner persönlichen Lage, veranlassen, sich um die Tugend zu bemühen. Und da wir ja des Geheimnisses jener heiligsten Jungfrau gedenken, deren Empfängnis schon unbefleckt und von jeder Makel der Erbsünde frei war, so muss diese Marienliebe uns vor allem zu jener Reinheit und Unversehrtheit des Lebens hinführen, die auch vor dem leisesten Schatten einer Sünde flieht und zurückschreckt.
Rückkehr zu Christus und Gottes Geboten
Die Allerseligste Jungfrau Maria, die ihr ganzes Leben hindurch – sei es in ihren Freuden, die sie so tief erlebte, sei es in ihrer Not und in ihrem bitteren Leid, durch das sie zur Königin der Märtyrer wurde – niemals von den Geboten Gottes und dem Beispiel ihres Sohnes auch nur im geringsten abwich, scheint jedem einzelnen von uns allen heute jene Worte zu wiederholen, die sie bei der Hochzeit zu Kana, auf Jesus Christus gleichsam mit dem Finger zeigend, zu den Dienern sprach: „Was immer er euch sagen wird, das tut“ [Joh. 2,5]!
Die gleiche Aufforderung, nur in einem weiteren Sinne verstanden, richtet sie offensichtlich heute wieder an uns alle, wo es so klar zutage tritt, daß die Wurzel all der Übel, unter denen die Menschen so schwer und bitter zu leiden haben und die die Völker und Nationen in Angst versetzen, gerade darin liegt, daß so viele jene „Quelle lebendigen Wassers verlassen und sich Brunnen gegraben haben, brüchige Brunnen, die das Wasser nicht halten können“ [Jer. 2,13]; daß sie den verlassen haben, der allein „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ [Joh. 14,6] ist. Wenn wir also fehlgegangen sind, müssen wir auf den rechten Weg zurückkehren; wenn Finsternis des Irrtums unseren Geist umhüllt hat, muss sie unverzüglich durch das Licht der Wahrheit verdrängt werden; wenn jener Tod, der allein der wahre Tod ist, von unseren Seelen Besitz ergriffen hat, müssen wir in brennendem Durst energisch nach dem Leben greifen, jenem himmlischen Leben, das keinen Untergang kennt; denn es nimmt von Jesus Christus seinen Ausgang. Und wenn wir ihm treu und vertrauensvoll in dieser irdischen Verbannung folgen, dann werden wir gewiß zusammen mit ihm in der ewigen Heimat die Seligkeit genießen. Das lehrt uns, und dazu ermahnt uns die Allerseligste Jungfrau Maria, unsere Liebreiche Mutter, die uns in der Tat mehr als alle irdischen Mütter mit wahrhafter Liebe liebt.
Solcher Ermahnungen und Aufforderungen, zu Christus zurückzukehren und seine Gebote gewissenhaft und tatkräftig zu erfüllen, bedürfen, wie ihr, ehrwürdige Brüder, wohl wißt, die Menschen heute ganz besonders; denn nicht wenige versuchen ja den christlichen Glauben aus den Seelen bis in seine Wurzeln hinein auszurotten. Sie tun dies entweder mit Hinterlist und Tücke, oder aber durch eine ganz offene, leidenschaftliche und mitreißende Propaganda ihrer Irrtümer, mit denen sie sich so frech brüsten, als ob diese den Ruhm dieses Jahrhunderts mit seinen glänzenden Fortschritten ausmachten.
Mahnung und Hoffnung
Wo aber einmal die Religion mit ihrer Heiligkeit hintan gesetzt ist, wo Gott als der Vergelter des Guten und des Bösen nichts mehr gilt, dort gelten auch die Gesetze nicht mehr und die staatliche Autorität hat ihren Einfluß verloren. Dies ist jedem einleuchtend. Und da ferner durch diese trügerischen Lehren jede Hoffnung auf die unsterblichen Güter beseitigt ist, so ist natürlich leicht einzusehen, daß die Menschen in maßloser Gier nach irdischen Gütern streben, leidenschaftlich fremdes Gut begehren und selbst mit Gewalt an sich reißen, so oft sich ihnen eine Gelegenheit bietet. So entstehen Haß, Neid, Zwietracht und Feindschaft unter den Bürgern; das private und öffentliche Leben wird zerrüttet und selbst die Fundamente der Staaten werden nach und nach untergraben; wohl könnten diese durch die Autorität der Gesetze und der Regierungen noch gehalten und gestützt werden, aber nur mit großer Mühe; schließlich wird die Moral auf Schritt und Tritt durch so schlechte Schauspiele, Bücher, Zeitungen und sogar durch Verbrechen zerrüttet.
Wir stellen zwar nicht in Abrede, daß in dieser Sache sehr viel von Seiten jener geschehen könnte, die die Leitung des Staates in Händen haben. Aber die Heilung so großer Übel muss ohne Zweifel auf einer höheren Ebene gesucht werden; eine höhere Macht als die der Menschen muss hier in Wahrheit zu Hilfe gerufen werden, eine Macht, die die Herzen selber mit himmlischem Licht erleuchtet und die Seelen berührt, die sie durch die göttliche Gnade erneuert und sie unter ihrem Einfluß zu besseren Menschen umwandelt.
Dann erst dürfen wir vielleicht hoffen, daß überall wieder die christlichen Sitten aufblühen; daß die wahren Grundlagen, auf denen die Staaten gegründet sind, aufs stärkste gefestigt werden; daß zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen eine wechselseitige, gerechte und wahre Einschätzung der Dinge verbunden mit Gerechtigkeit und Liebe stattfindet; daß der Hass endlich aufhöre, der immer nur neues Elend gebiert und oft genug die Menschen in ihrer Erbitterung bis zum Blutvergießen treibt; daß endlich alle Streitigkeiten zwischen hoch und niedrig beigelegt und die geheiligten Rechte aller Volksklassen zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden und daß diese im gegenseitigen Einvernehmen und mit der schuldigen Rücksicht zum allgemeinen Nutzen neben- und miteinander bestehen können.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 8. September 1953, dem Feste Mariä Geburt, im 15. Jahr Unseres Pontifikates
Pius XII. PP.
aus: Rudolf Graber, Die marianischen Weltrundschreiben der Päpste in den letzten hundert Jahren, 1954, S. 210 – S. 222
Gesamter Text zu finden hier: Pius XII. Enzykliken und Rundschreiben Fulgens corona
siehe auch den Beitrag: Maria Unbefleckte Königin des Friedens