Der heilige Chrysostomus über unanständige Kleidung
Damit du auch die hinreißende Beredsamkeit des hl. Chrysostomus etwa verkosten kannst, folgt hier nur ein Muster. In Konstantinopel herrschte unter dem weiblichen Geschlecht eine ungebührliche Hoffart und Modesucht. Viele schienen vergessen zu haben, daß die Kleidung in ihrem Ursprung bestimmt ist, die Schmach der Sünde zu decken, und daß es die Ordnung umstürzen heißt, wenn der Mensch – der Christ – das zu sündhafter Eitelkeit mißbraucht, was für ihn ein Beweggrund der Buße, der Beschämung, der Tränen sein sollte. Einige wagten es, sich öffentlich in unanständiger Kleidung zu zeigen. Diesen stellte der Heilige die Größe ihrer Sünde lebhaft vor die Seele und klagte sie an, daß sie strafbarer seien als solche, welche der öffentlichen Unzucht frönen:
„Denn diese verführen durch ihre verderblichen Reize nur innerhalb ihrer Häuser, ihr aber sucht die öffentlichen Plätze auf, um der Unschuld Schlingen zu legen. Ihr werdet mir vielleicht antworten, daß ihr noch niemanden zur Sünde aufgefordert habt. Ich gebe zu, daß ihr solches noch nie durch eure Reden getan habt; allein wären eure Worte nicht tausendmal weniger gefahrvoll als es euer Anzug und eure Unziemlichkeiten sind? Könnt ihr wohl behaupten, unschuldig zu sein, wenn ihr Andere zur Sünde des Herzens verleitet? Ihr schleift fein den Dolch und versetzt der Seele einen Stoß, der sie tödlich verwundet. Sagt mir: Wen verdammt die Welt? Wen straft der Richter? Den, welcher das Gift hinein trinkt, oder die, welche es bereiten? Ihr habt den verderblichen Becher gemischt, ihr habt den tödlichen Trank dargereicht! Ich sehe in eurem Verbrechen sogar einen Grad von raffinierter Bosheit, der bei den Giftmischern sich nicht findet: diese töten doch nur die Leiber, ihr aber die Seelen, was unendlich schrecklicher ist. – Sind die Unglücklichen, die ihr verführt, etwa eure Feinde? Haben sie euch eine Unbild zugefügt? Nötigt euch irgend eine Ursache zu diesem Betragen? Nein, ihr sucht nur euren närrischen Stolz, eure erbärmliche Eitelkeit zu befriedigen; ihr macht den Mord der Seelen – zum Spiel. – Ihr verdient keinen Glauben, wenn ihr euch damit zu rechtfertigen sucht, daß ihr sagt: Wir beabsichtigen nichts Böses.“ –
Diese und ähnliche Warnungen verschafften dem hl. Johannes den Trost, die gerügten Ärgernisse verschwinden zu sehen; ja sehr viele Frauen entsagten ganz dem Schmuck des Purpurs, der Seide und des Edelgeschmeides. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 67