Heiligenkalender
24. Oktober
Die gottselige Armella Nikolas, Dienstmagd
(Liebe zu Gott)
Beim Schreiben meiner Legende macht es mir jedesmal besondere Freude, wenn ich ein Heiligenleben finde von einer Person, die in ganz geringem Stand gelegt hat. Man sieht daran, wie das höchste Glück und Gut, nämlich wahre Heiligkeit, besonders gern im Tal der irdischen Niedrigkeit gedeiht.
Vor mehr als 200 Jahren lebte ein armes Hirtenmädchen, welches sich beim Hüten gemeiniglich von den anderen Kindern absonderte, weil es gar so gern in Einsamkeit andächtig war. Besonders waren es die fünf Wunden des Heilandes, die es alle Tage verehrte, und zu ihnen betete, nachdem es einmal an einem Kruzifix fünf Wunden bemerkt hatte; denn das arme Kind hatte nie Schulunterricht bekommen, außer daß es einige Belehrung bekam für die erste hl. Kommunion. Ein besonders großes Mitleiden hatte Armella, so hieß das Mädchen, auch mit den armen Seelen. Wenn sie schwere Arbeit hatte, große Kälte oder Hitze ausstehen musste, so freute sie sich darüber, indem sie es für die armen Seelen aufopferte; desgleichen stellte sie sich oft in die heiße Sonne oder an ein großes Feuer, oder fastete, trug Durst ohne zu trinken, damit es wieder den armen Seelen zu gut komme. Aber auch gegen Lebende war Armella ausnehmend gut und liebreich, so daß Jedermann sie lieb hatte.
Als das fromme Mädchen 20 Jahre alt war, wünschte sie vom Dorf hinweg in die Stadt zu kommen. Dadurch wollte sie den Heiratsanträgen und der vielen Nötigung Lustbarkeiten mitzumachen ausweichen, und hoffte leichter das Wort Gottes zu hören und an verschiedenen Andachtsübungen Teil nehmen zu können. Es fand sich auch eine Gelegenheit; sie kam zu einer guten Frau in der Stadt Ploermel; die Frau war sehr wohl mit der neuen Magd zufrieden, tadelte sie nur, daß sie gar zu viel arbeite, und ließ sie fleißig in Messe und Predigt gehen. Allein nach einem Jahr bekam Armella eine Traurigkeit und Angst, daß sie sich nicht zu helfen wußte; sie ging wieder nach Hause, allein da war es wieder so; Nachdem sie hier einige Male den Dienst gewechselt hatte und ihr Gemüt fortwährend gequält war, ohne zu wissen warum, ließ eine ihr bekannte Klosterfrau die fromme Magd zu sich kommen und machte ihr den Antrag, sie möchte bei ihrer in der Stadt verheirateten Schwester sich verdingen. Armella nahm es an und offenbar hatte Gott sie eben dahin durch durch die innere Unruhe treiben wollen.
In diesem Haus hatte Armella nichts zu tun, als die Kinder zu besorgen; hingegen fand sie, was ihrem frommen Herzen besonders zusagte, es wurde hier alle Abend aus dem Leben der Heiligen vorgelesen, desgleichen hörte sie auch das Leiden Christi vorlesen. Davon wurde nun ihre Seele zu unermesslicher Liebe und Schmerz entzündet. Es kam ihr vor, als sähe sie überall das Blut ihres Heilandes; die Gasse schien ihr manchmal blutig, wie der Kreuzweg in Jerusalem; der Bissen, den sie aß, schien ihr in Blut getaucht; wenn sie trank, glaubte sie Blut zu trinken. Und der stete Gedanke, daß die Liebe zu ihr dem Heiland so großes bitteres Leiden verursacht habe, bewirkte, daß sie vor Glut der Reue und des Schmerzes manchmal sagte: „O mein Herr, gib mir lieber den Tod und die Hölle, als die Anschauung deiner Liebe und meiner Sünden.“ Darum war es ihr eine wahre Erleichterung, wenn sie etwas zu leiden bekam.
Nachdem Armella ungefähr ein Jahr in diesem Zustand der schmerzvollen Liebe Gottes zugebracht hatte, gab Gott dem Teufel Gewalt, sie schwer zu versuchen. Sie verlor ganz das Gefühl der Liebe Gottes, ja es regte sich sogar Widerwillen gegen Gott und gegen alle guten Werke. Desgleichen hörte alle Reue auf und es km ihr sogar vor, als habe sie eine Freude daran, Gott beleidigt zu haben – dann bekam sie Anwandlungen von Verzweiflung an ihrer Seligkeit und von Gotteslästerungen. Daß sie hierbei nicht unterging, hielt sie nur noch die Furcht Gottes zurück wie ein eiserner Riegel. Ihr Beichtvater , ein Karmeliter-Mönch, mahnte sie, in diesem Zustand dennoch öfters zum hl. Abendmahl zu gehen. Sie tat es aus Gehorsam, aber innerlich war es ihr ganz peinlich; und doch wurde sie gerade dadurch gehalten, daß sie nie in die Versuchungen einwilligte, also auch nicht sündigte.
Dieser unselige Zustand hatte ungefähr ein halbes Jahr lang gedauert, da nahte sich die fühlbare Gnade wieder. Die Anfälle des Satans hörten größtenteils auf, und aus ihrem Herzen brachen wieder mit unermesslicher Gewalt die Flammen der Liebe hervor. Sie sagte damals selbst, sie würde sich mit allem Ungestüm in die Tiefe des Meeres, ja selbst in die Höllenflammen gestürzt haben, wenn man ihr gesagt hätte, der Herr sei dort zu finden. Deswegen war damals ihre größte Freude an den Tod zu denken, weil erst jenseits des Todes der Herr ganz zu finden ist. Die brennende Flamme der göttlichen Liebe in ihrem Herzen war so heftig, daß selbst ihr Leib davon ergriffen ward; sie bekam ein langwieriges Fieber. Darüber wurde ihre Dienstfrau verdrießlich und setzte sich in den Kopf, ihr Siechtum komme von Trägheit, Einbildung und übertriebene Frömmigkeit. Das wollte sie ihr nun austreiben, indem sie Armella mit übermäßiger Arbeit belastete. Früh Morgens musste sie ziemlich weit vor die Stadt hinaus und einen Zuber voll Wasser holen; sie hatte davon Schmerzen, wie wenn bei jedem Schritt der Kopf ihr gespalten würde. Dann kamen sie übrigen Hausarbeiten. Dabei bekam Armella keinen Dank, sondern wurde alle Augenblicke gescholten; daß sie aber in stiller Geduld solches aufnahm, das wurde ihr als Dummheit ausgelegt. Einmal fühlte sich die arme Magd so schwach, daß sie sich nieder legen musste; da kam die Frau, schimpfte sie eine Faulenzerin, die sich nur verstelle, und befahl ihr, Mist in den Garten zu tragen. Dies tat sie dann auch zwei Tage lang und hatte davon so heftige Kopfschmerzen, daß, so oft sie den Korb auf den Kopf nahm, es ihr war, als drücke man so viele Dörner drein, als sie Haare daran hatte. Allein die Betrachtung der Dornenkrone des Herrn machte ihr diese Pein erträglich und süß.
Das Fieber hörte nach einigen Monaten auf; allein jetzt verbot ihr die Frau an Werktagen in die Messe zu gehen und untersagte ihr alle Andachts-Übungen; ihre Magd, sagte sie, werde sonst noch ganz verrückt. Dies war für Armella freilich ein großes Kreuz; allein sie gehorchte um Christi willen in Geduld, und als ihr der Beichtvater sagte, sie könne in einen andern Dienst gehen, sagte sie, das Kreuz, das Gott ihr auferlegt habe, wolle sie durchaus nicht fliehen. So ging es nun einige Jahre fort, wobei Armella bei allen ungerechten Vorwürfen und Unbilden nie eine Widerrede gab, ungeachtet der Teufel sie oft innerlich reizte, sie solle dies nicht leiden und grob ud derb auch hinaus geben.
Einmal im Sommer wollte die Frau baden und nahm die Magd mit sich. Da sie am Bach standen, war Armella ganz still und in sich versunken. Da fuhr die Frau sie an: „Du dummes Tier, was hast du wieder für Grillen?“ Armella sagte in aller Sanftmut: „Ich habe an die große Angst und Traurigkeit des Heilandes gedacht, wie er über den Kidron gegangen ist.“ Dabei brachen ihr die Tränen aus den Augen. Nun gingen der so lange verblendeten Frau die Augen auf, sie erkannte die großen Tugenden ihrer Magd und bekam sie sehr lieb. Weil es aber von jetzt an nichts mehr zu lernen, zu leiden und zu verdienen gab in ihrem bisherigen Dienst, so fügte es Gott, daß sie fortkam. Es verheiratete sich nämlich die älteste Tochter mit einem Edelmann und begehrte von ihrer Mutter, daß sie ihr die Armella mitgebe.
An dem Ort ihres neuen Dienstes wurde Armella nun einen Weg geführt, welchen die Geisteslehrer die finstere Nacht, die scharfe Reinigung nennen. Seit einigen Jahren war ihr Herz im tiefsten Frieden gewesen, so daß alle Widrigkeiten ihre innere Ruhe nicht stören konnten, sondern ihr noch angenehm waren. Jetzt überließ Gott gleich seinem Diener Job die Seele seiner Dienerin dem Teufel zur Plage. Alle Liebes-Empfindungen, ja selbst das Andenken daran war in ihr verschwunden, dafür ward sie schrecklich geplagt von den abscheulichsten Vorstellungen und angefochten von unreiner Liebe. Das Andenken an Gott brachte ihr keine Erleichterung in der innerlichen Angst und Bitterkeit. Was ihr Herz allein noch über den Abgrund der wüstesten Sünden wie eine Kette fest hielt, war die Furcht Gottes, aber diese Kette war gleichsam glühend und verursachte ihr selbst wieder Qual. So ging es zwei Jahre fort und alle geistliche Mittel schienen vergeblich zu sein; da wurde es an einem Tage in ihrer Seele so arg, wie wenn alle Teufel auf sie losgelassen wären. Sie rannte hinaus auf`s frei Feld und schrie wie verzweifelt zu Gott, er möge sie doch sterben lassen, daß sie ihn nicht länger beleidige. Und sieh`, mitten in den heftigsten Klagen, in der tiefsten Angst und Nacht der Seele wurde sie plötzlich mit unermesslicher Freude erfüllt, und sie sah tageshell, was für einen kostbaren Gewinn sie durch diese Versuchungen gewonnen habe. Sie sagte selbst nachher, Gott habe sie mit dem Unrat der Anfechtungen rein gemacht, wie er einst mit dem Kot den Blinden im Evangelium sehend gemacht habe.
Wie wenn man ein halb ersticktes Feuer frei macht,78 so brachen jetzt die Flammen der Liebesglut übermäßig aus ihrem Herzen. Sie suchte und fand einen vortrefflichen Beichtvater, einen Jesuiten, der jeden Funken irgend einer unrechten Neigung bei ihr zu erforschen und auszutilgen besorgt war. Wenn aber die Seele von Etwas außerordentlich stark bewegt ist, so erträgt es der schwache Leib meistens nicht in die Länge. Durch die Liebesgewalt in ihrer Seele bekam sie heftige Schmerzen im Herz und eine brennende Glut im ganzen Körper, wie wenn sie in einem Feuerofen wäre. Das einzige Mittel, wodurch sie etwas Erleichterung fühlte, war ein Aderlass von Zeit zu Zeit. Da faßte einmal ein Wundarzt unziemlichen Argwohn gegen sie und äußerte es auch dem Beichtvater. Dieser, um sie auf die Probe zustellen, sagte es ihr in einer Art, als hätte er auch diesen Verdacht. Da hatte die fromme Seele eine große Freude über diese Schmach und sagte: „Gott sei gelobt, mein Vater, daß er solche Gedanken bei euch zugelassen hat.“
Es sind nun in ihrer Lebensgeschichte noch mancherlei äußere und innere Ereignisse erzählt, wodurch Gott seine getreue Magd von einer Stufe der Vollkommenheit zur andern führte – ich will nur Einzelnes daraus erzählen. (Fortsetzung folgt) –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 136 – S. 141