Fürchtet Den der Macht hat in die Hölle zu werfen

Fürchtet Den, der Macht hat in die Hölle zu werfen

Betrachtung zum 22. Januar

Timete eum, qui postquam occiderit, habet potestatem, mittere in gehennam: ita, dico vobis, hunc timete.

„Fürchtet Den, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, diesen fürchtet.“ (Luk. 12,5)

1. Betrachte, ob es nicht höchst auffallend sei, daß dir Gottes fürchterliche Macht so wenig Furcht einflößt. Wenn dich Jemand auf einem hohen Turm nur bei den Haaren hielte, so daß du, sobald er seine Hand zurück zöge, ohne Rettung in einen mit Kröten, Schlangen, Skorpionen und fürchterlichen Drachen gefüllten Abgrund fallen müßtest, die alle mit offenem Rachen dich erwarten; würdest du wohl so verwegen sein, in solcher Lage gegen Jenen den Dolch zu zücken? Und du wagst es, gegen deinen Gott dich zu erheben? Siehst du nicht, Elender, wohin du stürzest, wenn er seine Hand von dir zurück zieht? Siehst du nicht den Rachen der Hölle offen? Und doch fürchtest ihn nicht und bist vielmehr aus der Zahl Jener, die ihn verachten, die ihn herausfordern? „Kühn fordern sie Gott heraus.“ (Job 12,6)

2. Erwäge, was der Name Hölle bedeutet. Die Hölle ist ein Feuerbrunnen, aber von ungeheurer Ausdehnung, mitten in den Eingeweiden der Erde, wo sich alle Strafen wie in ihrem Mittelpunkt vereinigen, und deshalb mit weit größerer Stärke, mit größerer Schärfe als irgend anderswo peinigen. Sie ist ein Brunnen, in den wie in eine öffentliche Schwindgrube aller Unrat der Welt zusammen fließt, ein Brunnen voll Gestank, voll Finsternis und Schrecken, keinem Lufthauch zugänglich; endlich ein Brunnen, der obgleich größer als alle anderen, doch zu eng ist für eine so große Zahl der Verdammten, die gleich einem Platzregen am Tage des Gerichtes hinunter stürzen werden. Deshalb werden dort alle zusammen gepfropft, übereinander gehäuft und geschlichtet sein, wie ein Scheiterhaufen voll Schlachtopfer, die immerdar lodern und rauchen als Brandopfer des Zornes Gottes. Dazu kommt noch, daß jeder Verdammte schwerer sein wird, als wenn er aus Blei wäre. Eine so ungeheure Last – „eine Last von Blei“ (Zach. 5,8) – wie der Prophet Zacharias sagt, eine Last von Hunderten, ja Tausenden und Millionen Körpern werden sie die ganze Ewigkeit tragen müssen, ohne sie auch nur für einen Augenblick abschütteln zu können. Wie Blei werden sie Alle unbeweglich stehen müssen: und obgleich sie von Beulen, Geschwüren und Wunden ganz bedeckt sind, werden sie doch diese Pein tagtäglich zunehmen sehen, so daß sie zuletzt mehr als verstümmelt und zerrissen sein müssen.

Nun berechne ein wenig, was das für eine Pein sei! Wenn du am Podagra (akuter Gichtanfall am Großzehen-Grundgelenk) leidest, so zitterst du schon, wenn Jemand zu dir hintreten will, und schreiest ihm laut zu, dir ja nicht zu nahe zu kommen. Nun erwäge, wie dir zu Mute sein wird inmitten so zahlloser Peinen, die dich grausam martern, wenn du dabei die Last so vieler auf dir liegender Leiber fühlen wirst. Und doch ist Alles, was bisher gesagt worden, nur die Pein, welche der Ort mit sich bringt, weil er nämlich wie ein Brunnen ist: „ein Brunnen des Abgrundes“ (Apok. 9,2), – den Christus mit einem anderen Namen Gehenna, Hölle nennt, ein tiefes, verschlossenes Tal in Judäa, wo einst dem Götzen Baal viele Opferfeuer angezündet wurden.

3. Betrachte nochmal, wie dich Gott über diesem Brunnen an den Haaren schwebend hält; – ist es noch möglich, daß du ihn nicht fürchtest? Sage, was würdest du tun, wenn dich Jemand von einem hohen Turm herab mit der Hand hielte, und unten ein mit Drachen gefüllter Brunnen wäre? Würdest du ihn nicht mit den heißesten Tränen und Seufzern, mit wehmütigen Klagen und allen Ausdrücken eines beklommenen Herzens anflehen? Ebenso mußt du immerdar mit Gott es machen, der da Macht hat, dich in einen viel schrecklicheren Brunnen zu stürzen, wenn er nur einen Augenblick seine Hand zurück zieht. „Er hat Macht, in die Hölle zu werfen.“

Jene Drachen endlich haben, wenn sie den Leib verschlungen, nichts weiter zu tun (Luk. 12,4): sie könnten der Seele nicht schaden, welche ganz unversehrt über sie hinwandeln würde, sollten sie auch noch so fürchterlich zischen. Aber in der Hölle ist die Pein des Leibes, die du jetzt gesehen, die geringste; weit größer, als du zu erkennen im Stande bist, ist die Pein der Seele. Wie kommt es nun, daß du nicht tagtäglich den Herrn bittest, er möge sich doch deiner erbarmen?

4. Erwäge, warum der Herr selbst so oft und auf so vielfache Weise diese beständige Furcht eingeschärft hat. Als er gesagt hatte: Fürchtet Den, der, nachdem er getötet, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen; wiederholte er dasselbe nochmal und sprach: Ja, sage ich euch, diesen fürchtet. Der Grund hiervon ist, weil er auf der einen Seite die höchste Notwendigkeit dieser Furcht für die Welt sah, und andererseits wußte, daß es nicht an Menschen fehlen würde, die eine solche Furcht verdammen, und wenn es ihnen möglich wäre, ganz von sich abschütteln würden, wie ein unbändiges Pferd die Zügel abwirft. Wisse deshalb, daß jene Furcht, die dich zu Gott zurück führt oder an ihm festhält, durchaus lobenswert sei. Deshalb hat Gott selbst so großes Verlangen danach gezeigt, da er einst sagte: „O möchten doch Alle ein solches Herz haben, mich zu fürchten.“ (Deut. 5,29)

Aber merke wohl, daß diese deine Furcht von doppelter Art sein kann: du kannst nämlich die Schuld wegen der Strafe, oder aber die Strafe wegen der Schuld fürchten. Fürchtest du die Schuld wegen der Strafe, welche Gott dir dafür auferlegen kann, besonders in der Hölle; so tust du Recht daran, obwohl deine Furcht knechtisch und deshalb minder verdienstlich ist; denn sie ist jene Furcht des Herrn, die allein die Sünde austreibt (Ekkli. 1,27).Was sollst also du tun? Du sollst die Strafe der Hölle fürchten, aber wegen der Schuld, welche der Strafe immer voran geht. Das ist die kindliche Furcht, die nicht nur gut, sondern heilig ist: „Die Furcht des Herrn ist heilig und dauert in Ewigkeit“ (Ps. 18,10); und diese heilige Furcht wird um so tiefere Wurzeln in deinem Herzen schlagen, je größer die Liebe wird, die dich mit Gott verbindet. –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. I, S. 40 – S. 43

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