Die Menschwerdung des ewigen Wortes
25. März
Sic Deus dilexit mundum, ut Filium suum unigenitum daret.
„So hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn hingab.“ (Joh. 3,16)
1. Betrachte recht aufmerksam die tiefe Bedeutung dieses Ausspruches, der, hervorgegangen aus dem Munde Christi, mehr Wunder als Worte enthält. Daß Gott sich selbst liebt, ist nicht wunderbar, er muss sich lieben; aber daß er Etwas außer sich liebt, ist das größte Wunder, weil er Alles, was außer ihm gut ist, in sich enthält und zwar in größerem Maße, als z.B. das Gold den Wert des Bleies in sich faßt; denn alle jene Dinge, die an sich tot sind, wie Metalle, Steine oder Perlen, sind in Gott lebendig. „Was gemacht ward, war in ihm Leben“ (Joh. 1, 3. u. 4). Jene Dinge, die an sich gemischt sind, sind in ihm rein; jene, die mangelhaft sind, sind in ihm ewig, so daß er, ohne ihrer zu bedürfen, dasselbe machen kann, als wenn er sie benützte. Er kann erleuchten ohne die Sonne, erfrischen ohne Wasser, kühlen ohne Luft, erwärmen ohne Feuer, keimen lassen so viel er will – ohne Erde, weil er die Vollkommenheit aller dieser Dinge in sich hat: und wenn er sich für gewöhnlich ihrer bedient, so tut er es aus Güte, nicht aus Notwendigkeit.
Welches Wunder also, daß er etwas liebt außer sich! Und doch ist es so. Gott hat geliebt. Nur ein Wunder ist noch größer als dieses? Daß du, der nichts Gutes in sich, sondern Alles nur in Gott hat, desungeachtet Gott nicht zu lieben weißt, sondern nur dich selbst.
Das Maß der Liebe
2. Betrachte, daß Gott geliebt, und zwar die Welt, das menschliche Geschlecht geliebt hat. Siehe, ob das nicht wunderbar sei.
Es ist bekannt, daß sich Manche in ganz eigene Dinge verliebten, z.B. in Vögel, Hunde, Pferde und Schlangen; einer verliebte sich sogar in einen Baumstock; allein am Ende haben denn doch diese von solchen Dingen irgend einen Dienst, eine Hilfe oder eine Art von Wohltaten erhalten. Aber was hat Gott je vom Menschen empfangen? Oder was hoffte er von ihm zu erhalten? Seine Herrlichkeit etwa? Aber wie das, da er auch ohne sie sie durch alle Ewigkeit nicht minder glückselig gewesen ist?
Erwäge vielmehr, daß er die Menschen liebte, ohne irgend ein vorher gehendes Verdienst an ihnen zu entdecken, ja sogar trotz aller nachfolgenden Verschuldungen, da er voraussah, daß der größte Teil undankbar gegen ihn sein werde. Und doch hat ihn dies nicht abhalten können, seine Liebe auf Alle ohne Ausnahme zu erstrecken. Er hat die Welt geliebt, nicht Einige in der Welt, sondern die Welt, weil er Keinen ausschließt. „Gott will, daß alle Menschen selig werden“ (1. Tim. 2,4). Und obwohl er die Auserwählten in besonderer Weise liebt: „Jakob habe ich geliebt“, so daß im Vergleich mit ihnen es heißt, daß die Verworfenen hasse: „Esau aber habe ich gehaßt (Röm. 9,13); so liebt er doch Alle ohne Ausnahme mit der herzlichen Liebe eines wahren Vaters und ließ deshalb die Sonne der Gerechtigkeit, seinen göttlichen Sohn für die Guten und Bösen auf Erden erscheinen, und den Tau seiner himmlischen Lehre den Gerechten und den Sündern zukommen.
Siehe also, wie das Wort Welt das erste Maß enthält, welches der Apostel an die Liebe Gottes entdeckt hat, nämlich die Breite (Eph.3,18), die sogar die Feinde, die Unwürdigen, die Undankbaren nicht von der Liebe ausschließt. Hat deine Liebe auch dieses Maß, wenn du nicht einmal Denjenigen liebst, der soweit gegangen ist, sogar dich zu lieben?
Das zweite Maß der Liebe
3. Betrachte, daß der Herr nicht sagt: Er liebt, sondern er hat geliebt. Denn die Liebe Gottes zu den Menschen hatte keinen Anfang; sie war von Ewigkeit; nur die Wirkung dieser Liebe hatte ihren Anfang. Weißt du übrigens, seit wann der Herr dich liebt? So lange als er sich selbst liebt.
Wie aber diese seine Liebe keinen Anfang hatte, so wird sie auch in alle Ewigkeit kein Ende nehmen. „Die Barmherzigkeit des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten“ (Ps. 102,17). Ja diese Liebe ist so andauernd, daß Gott, wenn wir aus eigener Schuld die Freundschaft mit ihm zerreißen, unveränderlich in seiner unendlichen Liebe sehnsüchtig verlangt, daß wir dieselbe wieder anknüpfen. „Die Liebe hört nie auf“ (1. Kor. 13,8). Gott steht immer bereit, uns in seine Gnade aufzunehmen, als ob er unserer Werke nötig hätte. Wir dürfen ihn nur um Verzeihung bitten, so vergißt er sogleich alle Beleidigungen. „Du hast Unzucht getrieben mit vielen Buhlen; aber kehre zu mir zurück, so will ich dich annehmen“ (Jer. 3,1). Die Liebe Gottes ist in sich höchst vollkommen; es ist darum nicht zu befürchten, daß sie je ein Ende nehme, da sie ja auch nie einen Anfang hatte. Sie ist in Gott, und wenn Gott geliebt hat, so liebt er noch und wird auch künftig lieben, und somit, was ihn betrifft, nie ermangeln, uns zu lieben. „Ich bin Gott und verändere mich nicht.“ (Mal. 3,6).
Siehe also, wie die Worte: Gott hat geliebt, uns das zweite Maß der göttlichen Liebe andeuten, das der Apostel als die Länge bezeichnete. Hat auch deine Liebe dieses Maß, wenn du Denjenigen, der dich eine Ewigkeit liebte, nicht einmal einen Tag lang zu lieben weiß?
Das dritte Maß der göttlichen Liebe
4. Betrachte, daß Gott die Welt nicht bloß geliebt, sondern so geliebt hat, daß er seinen eingebornen Sohn hingab.
Betrachte in dem Wörtlein so die Heftigkeit der Liebe, die den Herrn zu solchem Übermaß hingerissen hat. Und welches war dies Übermaß? Die Erhabenheit seiner Gaben. Oder scheint es dir wenig, daß er seinen eingebornen Sohn hingab? Nicht einen Untertan, oder Knecht, nicht einen Menschen, wie du bist, auch nicht einen Engel, Erzengel oder Seraph, nein, den Sohn, und zwar seinen Sohn, d.h. jenen Sohn, den er nicht von Andern empfangen hatte, wie z.B. jene Söhne sind, die von ihren Eltern dem Herrn, wie sie sagen, geopfert, aber in Wahrheit nur wieder zurück gegeben werden; sondern den Sohn, der in jeder Beziehung sein war. Bei den Menschen ist überdies die Wesenheit des Vaters verschieden von jener des Sohnes. Wenn Abraham seinen Sohn opferte, so opferte er damit nicht auch sich selbst. Aber bei Gott konnte es nicht anders sein. Er musste notwendiger Weise einen Sohn hingeben, der war, was der Vater selbst ist, wenn er beschlossen hatte, nicht einen angenommenen, sondern seinen wirklichen Sohn zu opfern. Denn der Sohn Gottes ist der Wesenheit nach vom Vater nicht verschieden, obgleich er verschieden ist der Person nach.
Und dieser Sohn war noch dazu sein Eingeborner. Wenn er mehrere Söhne gehabt und einen davon hingegeben hätte, sogar den erstgeborenen; so wäre das nicht so wunderbar gewesen. Aber den Eingebornen hingeben, das geht über alle Fassungskraft.
So kann man leicht glauben, daß er uns das Mindere nicht versagen werde, nachdem er uns das Höchste gegeben, das er geben konnte. Ja, da er uns Christum gegeben, hat er uns nicht Alles gegeben, was er geben konnte? „Der seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns Alle hingegeben hat, wie sollte er uns nicht Alles mit ihm geschenkt haben? (Röm. 8,32)“ Er hat uns Alles das gegeben, was in Bezug auf uns von höherer Ordnung ist, – um dessen zu unserer Seligkeit zu genießen; und das sind die göttlichen Personen. Er hat uns Alles gegeben, was beinahe gleicher Ordnung mit uns ist, – um vereint damit zu leben; und das sind die Chöre der Engel. Er hat uns Alles gegeben, was niederer Ordnung ist, – um uns dessen zu bedienen; nämlich die übrigen Geschöpfe, deren Verwendung von Christus abhängt, der ihr Herr ist. Wer sieht demnach nicht, daß er uns Alles gegeben, indem er uns Christum gab? Jene Zeit, „in der denen, die Gott fürchten, nichts mangelt“ (Ps. 33,10), ist also schon gekommen?
Und siehe jetzt, wie die Worte: Seinen eingebornen Sohn, das dritte Maß der göttlichen Liebe bezeichnen, das der heilige Paulus die Höhe nennt. Ist dieses Maß auch bei deiner Liebe, wenn du so wenig dich empor schwingst? Du opferst Demjenigen, der so viel für dich getan, nicht einmal ein kleines Vergnügen! „Erhebe dich hoch und sei glorreich“ (Job 40,5)
Das vierte Maß der göttlichen Liebe
5. Betrachte das letzte Wort: „Daß er hingab“, welches beweist, wie tief diese Liebe durch die Hingabe des Eingebornen sich herabließ. Er sagt nicht schenken, sondern hingeben. Einen kostbaren Edelstein kann man ohne seinem Wert Eintrag zu tun, auch dem gemeinsten Menschen schenken, aber nicht um eine Kleinigkeit, für einen Apfel oder ein Brot vertauschen. Und doch – um was hat Gott seinen eigenen Sohn hingegeben? Um den Menschen zu gewinnen. „Um den Knecht zu erlösen, hast du den Sohn hingegeben“. Hätte er ihn hingegeben, damit er glorreich unter den Menschen herrschen könnte, große Abgaben erhielte oder Triumphe feiern könnte; so wäre eine solche Hingabe dennoch etwas erstaunlich Großes gewesen. Aber ihn hingeben, damit er für das Heil der Menschen sterbe, – o welches Wunder! Und heißt das nicht den Sohn erniedrigen, um den Knecht gleichsam über den Sohn zu erhöhen? Allerdings. Um uns der göttlichen Natur teilhaftig zu machen, hat er die göttliche unter die menschliche erniedrigt. Wo darum in der heiligen Schrift von der Hingabe Christi die Rede ist, wird nie der Wort Geschenk gebraucht, wie vom heiligen Geist; sondern es werden vielmehr Ausdrücke gewählt, die eine Gegenleistung oder einen Wechselvertrag bedeuten. „Er sandte seinem Volk Erlösung (Ps. 110,9). Für uns hat er ihn hingegeben (Röm. 8,32). für euch wird er hingegeben werden (1. Kor. 11,24). Er kam, um sein Leben für die Erlösung Vieler zu geben (Mark. 10,45). Das scheint der letzte Grad der Erniedrigung zu sein, zu der ein so gütiger Gott kommen konnte, nämlich Alles zu schenken, außer den Sohn; den Sohn aber nur hinzugeben, um einen Gewinn zu machen. „Es ist besser, daß ein Mensch sterbe für das Volk“ (Joh. 11,50).
Siehe endlich, wie das Wort hingab das vierte Maß der göttlichen Liebe andeutet, welches der Apostel als die Tiefe bezeichnet. Und findet sich auch bei deiner Liebe dieses Maß, da du so stolz bist, auch nachdem du an deinem Herrn diese Wunder der Erniedrigung gesehen hast?
6. Betrachte als Schluß des Wunders, daß diese ganze so übermäßige Liebe bei Gott durchaus nicht unvernünftig war. Und warum? Weil sie eben die Liebe eines Gottes ist. „Gott hat geliebt.“ Diese Liebe, die alle Vernunft und alle Regeln übersteigt, hat ihren guten Grund, aber nur in einer unendlichen Güte. „Ich will sie aus freiem Antriebe lieben“ (Os. 14,5). Eine andere vollkommen genügende Antwort läßt sich nicht geben.
Aber diese Liebe können wir darum auch nie so begreifen, wie sie ist, sondern nur bis zu einem gewissen Grade. „Ich strebe danach, um es auf irgend eine Weise zu begreifen“ (Philipp. 3,12). nur die Heiligen im Himmel begreifen sie, die sie schon klar erkennen. Darum ermahnte der Apostel die Gläubigen, sich zu bereiten, um eines Tages an diesem Glück ebenfalls Teil zu haben. „Damit ihr mit allen Heiligen begreifen möget, welches die Breite und Länge, Höhe und Tiefe sei“ (Eph. 3,18). Wie können wir übrigens, so lange wir wie Fledermäuse auf dieser Welt herumstreifen, je so leuchtende Pfade verfolgen, wie die der göttlichen Sonne sind? „Fassest du etwa die Fußstapfen Gottes“, sprach der Herr zu Job (Job 11,7-9), „und findest du auf vollständige Weise den Allmächtigen? Er ist höher als der Himmel, was willst du machen? Tiefer als die Hölle, woher willst du (ihn) erkennen? Sein Maß ist länger als die Erde und breiter als das Meer.“
Dies ist das vierfache Maß, das wir an der göttlichen Liebe betrachtet haben, wozu der erhabene Ausspruch Christi uns das Licht an die Hand gab: So hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn hingab; ein Ausspruch, den du dein ganzes Leben lang mit beständiger Erquickung betrachten kannst. –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. I, S. 235 – S. 241